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Das Projekt Heirat


21. Juli 2017

Die drei Produzentenverbände SFP, GARP und IG wollen fusionieren. Oder könnten. Eine Motion macht nun Druck. Drei lang Zerstrittene müssten zusammenfinden.

Von Kathrin Halter

Ende Jahr könnte es soweit kommen. Ein kleines Wunder, made in Switzerland. Fast alles spricht dafür, kaum jemand mag noch dagegenhalten. Und doch klingt jeder, mit dem man spricht, vorsichtig. Schliesslich braucht es gerade in der Schweiz lange, bis sich neue Ideen durchsetzen. Zumal es hier auch um Richtungskämpfe geht, um Unverträglichkeiten und alte Kräche, an die man sich aus Gewohnheit erinnert. Auch wenn sich zumal jüngere Produzentinnen und Produzenten immer weniger dafür interessieren.

Einer, der davon schon lange genug hat, ist Ivan Madeo. Der Produzent (Contrast Film) ist zusammen mit Stefan Eichenberger Initiator des Versuchs, die drei Produzentenverbände zu fusionieren. Das Anliegen hat er seit eineinhalb Jahren zu seiner Mission gemacht, wie er sagt. Gewiss hat ihm seine umgängliche, gewinnende Art dabei geholfen; gleichzeitig scheut sich Madeo inzwischen nicht mehr vor dem Klartext: «Jetzt geht es darum, diese obsolet gewordenen Fehden hinter uns zu lassen. Nach mehreren gescheiterten Versuchen, sie zu überwinden, sieht es endlich besser aus. Die anstehenden Herausforderungen für die Branche sind nämlich immens – und meistern kann man diese nur gemeinsam.» Für die meisten Kollegen seiner Generation sei es absolut unverständlich, wenn die Verbände getrennt statt gemeinsam für dasselbe kämpfen. «Die Trennung schwächt uns als Produzenten und die Schweiz als Produktionsland. Sie bedeutet eine Energie-, Zeit- und Geldverschwendung. Besonders unzeitgemäss ist das Schweizer Gärtchendenken, da vermehrt internationale Probleme auf uns alle zukommen: von Urheberrechts- über Koproduktions- bis hin zu Verleihproblemen.»

Madeo weiss mittlerweile die Mehrheit der Produzenten hinter dem Fusionsprojekt. Eine persönliche Umfrage letztes Jahr bei grossen wie kleinen Produzenten stimmt ihn optimistisch. Am 7. Februar wird die «Motion zur Wiedervereinigung der Produzentenverbände» bei SFP, IG und GARP eingereicht; unterschrieben haben 30 namhafte Produzentinnen und Produzenten aus allen Verbänden und Sprachregionen.


Die Motion

Darin heisst es: «Wir hier signierende ProduzentInnen können heute kaum mehr verstehen, warum die drei Verbände, die sich über weitaus die meisten Inhalte und Ziele unserer Branchenanliegen einig sind, getrennt auftreten und getrennt agieren. Wir sind sogar der Überzeugung, dass die drei (...) Schweizer Produzentenverbände eine Schwächung für unseren Berufsstand darstellen.»

Die Motion legt nahe, dass die Leitung der Verbände ihre Differenzen beilegen. Zudem schlägt sie eine konsultatorische Abstimmung innerhalb der drei Verbände vor, zu einer Wiedervereinigung inklusive gemeinsamem Sekretariat und Vorstand. Die Hälfte des neuen Verbandsvorstands solle zudem mit Produzentinnen und Produzenten der jüngeren Generation besetzt werden.

Als erster reagierte der SFP: Am 10. Mai erteilen die Mitglieder an der Genervalversammlung dem Vorstand einstimmig den Auftrag, den Zusammenschluss «mit aller Kraft» voranzutreiben. (Ivan Madeo wird zusammen mit Mirjam von Arx an dieser GV neu in den Vorstand des SFP gewählt). Anfang Juni spricht sich auch die IG «grundsätzlich» für eine Fusion aus, anlässlich einer jener Koordinationstreffen, an der sich jeweils Leute aus dem Vorstand von GARP, IG und SPF absprechen. Dabei schlägt die IG vor, dass pro Verband zwei Personen zusammen mit Rechtskonsulent Thomas Tribolet neue Statuten formulieren und die Fusion vorbereiten. Diesen Vorschlag sollen SFP und GARP nun diskutieren. Optimisten hoffen auf eine Gründungsversammlung des neuen grossen Schweizer Produzentenverbands per Ende Jahr.    

Die Vorbehalte

Michael Steiger, IG-Mitglied und bis 2016 Kopräsident des Verbands, hat die Motion ebenfalls unterschrieben und möchte «die Idee ­pu­shen», wie er sagt. Die Entwicklung sei extrem positiv, eine Wiedervereinigung an der Zeit. «Von Haus aus ein Optimist», hofft er darauf, dass sich die Produzenten bis Ende Jahr zusammenraufen; das wäre schon nächstes Jahr, bei der Vernehmlassung der neuen Förderkonzepte, vital.

Vorbehaltlos steht aber auch die IG nicht hinter einer Fusion. Es brauche noch mehr Übereinkunft in Grundsätzen, so Steiger. Dazu zählt er die Haltung gegenüber den Begutachtungsverfahren beim BAK: Obwohl man bei der IG das Intendantensystem nicht (mehr) für mehrheitsfähig hält, poche man auf ein «funktionierendes System», konkret: ein Satellitensystem, das das gegenwärtige A/B-System, das niemand befriedige, ersetzen soll.

Auch über die erfolgsabhängige Filmförderung (respektive deren konsequente Umsetzung) müsse man sich noch einig werden, so Simon Hesse, Co-Präsident der IG. Die Stimmung an den Koordinationstreffen, an denen er teilnimmt, sei im übrigen super; ein Zusammenschluss der Verbände ein alter Wunsch der IG, die das sogar in ihrer Charta formuliert hat («Angesichts der Grösse des Landes strebt die IG einen einzigen Verband an, um die Interessen der Produzenten wirksam zu vertreten»). Um einen Neuanfang zu ermöglichen, brauche es in einem fusionierten Verband deshalb ein gut durchmischter Vorstand ausschliesslich mit Leuten, die noch nie in einem Vorstand waren. (Beschlossen wurde dies im Mai an der Generalversammlung der IG.)

Wenig Konkretes hört man von der GARP. Der Verband begrüsse eine enge Zusammenarbeit und finde die Annäherung sehr interessant, so Kaspar Winkler, Produzent (Tilt Production) und Vorstandsmitglied bei GARP; den Vorstoss habe man schon an der GV in Solothurn unterstützt. Die Frage sei nun, wie die diese Annäherung aussehe. Die Vorschläge seien noch zu wenig konkret; zum weiteren Vorgehen, wie von der IG vorgeschlagen, habe die GARP noch gar nicht Stellung beziehen können. Zugleich legt man Wert darauf, die eigene Identität nicht aufzugeben. «Wir wollen unsere Mitglieder behalten und eine Interessengruppe nicht nur von Produzenten, sondern auch von Regisseuren und Autoren respektive von Autoren-Produzenten bleiben», sagt auch Ruth Waldburger, Co-Präsidentin der GARP, die sich im übrigen zu möglichen Formen eines neuen Verbands nichts äussern mag. Man sei noch nicht so weit.
 

Eine Generationenfrage

All die verbandsinternen und -übergreifenden Diskussionen, das ganze austarierte System von Absprachen und Ausgleich erinnert manchmal an eine kollektive Psychotherapie. Da gibt es den neuen Elan, eine Aufbruchstimmung. Und dann denkt man wieder: Ist das ein Eiertanz! Wer mit Verbandsleuten spricht und jenen zuhört, die beim Fusionsprojekt als Vermittler wirken, wird jedenfalls zurückhaltend mit Prognosen.

Manchmal sei es zum Verzweifeln, sagt auch Ivan Madeo, wieviel Taktik und Geduld es brauche, um Positionen einander anzunähern. Aber in der Schweiz sei das Ziel nur so zu erreichen. Dasselbe erlebt Thomas Tribolet. Auch er hat vielen Leuten zugehört und ist dabei vorsichtig, um nicht zu sagen, skeptisch geworden. Berufsbedingt, als ausgleichender Part im Rollenspiel, denkt der Anwalt bereits an Kompromissvarianten. Die am wenigsten überzeugende Idee ist wohl diejenige, wonach zuerst einmal ein Dachverband entstehen könnte, gewissermassen als Zwischenstopp auf dem Weg zur Fusion. Noch ein viertes Gebilde? Nicht nur für Ivan Madeo ist das schwer vorstellbar. Würde die GARP bestehen bleiben und gleichzeitig Mitglied im neuen Verband werden, könnte hingegen zum Beispiel Michael Steiger damit leben.

Madeo interpretiert Zustimmung oder Widerstand gegen eine Neugründung vor allem als Generationenfrage: «Ältere Produzentinnen und Produzenten sind sich noch uneinig. Für die Jüngeren ist der Zusammenschluss in einen Grossverband selbstverständlich.» Diese Einschätzung teilen Thomas Tribolet und Simon Hesse. Dass sich jüngere Produzenten viel weniger für alte Fehden und auch ideologisch geprägte Meinungsverschiedenheiten interessieren – darin liegt die grösste Chance für das Projekt.

Bild: Geschieden und bald wieder verheiratet: Katharine Hepburn mit Cary Grant und James Stewart in «Philadelphia Story» (1940) von George Cukor. Sammlung Cinémathèque suisse, alle Rechte vorbehalten

▶  Originaltext: Deutsch
 

Wie es zur Trennung kam

2001 treten elf von 40 Mitgliedern aus dem SFP (Schweizerischer Verband der Filmproduzenten und -produzentinnen) aus und gründen die GARP (Gruppe Autoren Regisseure Produzenten). Dabei sind die Produzenten Robert Boner, Ruth Waldburger und Marcel Hoehn sowie Regisseure wie Markus Imhoof und Markus Imboden. Diese wollen «konstruktiv statt defensiv» ans Bundesamt für Kultur und ans Schweizer Fernsehen herantreten. Der Zusammenschluss versetzt die Branche in Aufruhr; beim SFP wird teils beargwöhnt, da entstehe ein «Machtkartell», das seinen Einfluss in Bern verstärke. Bei den vorausgegangenen Meinungsverschiedenheiten innerhalb des SFP geht es also nicht nur um die Förderpolitik des Bundes und das Verhältnis zum BAK, sondern auch (wie 2008 wieder) um Misstrauen über angebliche Seilschaften.

2009 schliessen sich 15 Produktionsfirmen, darunter C-Films, Langfilm, Hugofilm, Turnus Film und Zodiac Pictures zur Interessengemeinschaft unabhängiger Schweizer Filmproduzenten (IG) zusammen.  Mit dabei sind auch die Westschweizer Produzenten Pierre-Alain Meier und Thierry Spicher, die zuvor vom SFP nicht aufgenommen worden sind. Dies mit der Begründung, Spicher und Meier würden zu sehr die Politik von Nicolas Bideau vertreten, des umstrittenen Filmchefs im Bundesamt für Kultur. Aus Protest gegen den Entscheid tritt darauf Lukas Hobi als SFP-Präsident zurück und verlässt den Verband; ihm folgten Hessegreutert-Film und C-Films.

Beim Richtungsstreit unter den Produzenten geht es auch um die Position der Produzenten im kreativen Prozess. Die IG will diese stärken und die erfolgsabhängige Filmförderung zugunsten der Produzenten erhöhen; bei der Begutachtung wird das Intendantenmodell dem Milizsystem vorgezogen. Die Gegner dieser Politik sehen dabei die Vielfalt und die künstlerische Freiheit von Autoren und Regisseuren in Gefahr. (kah)

 

 

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