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Ein Filmhaus für Locarno


21. Juli 2017

Bild: Der PalaCinema. Der Lamellenvorhang auf dem Dach wird bei Wind von Bewegungsmustern gezeichnet. © Locarno Festival

Lange wurde er erwartet, der neue PalaCinema von Locarno. Nun werden die Kinosäle aufs Festival hin eröffnet; die restlichen Mieter ziehen im Herbst ein. Was das Haus alles bietet. Und wie das Kino Ex*Rex zum GranRex wurde.

Von Kathrin Halter

Eben doch ein Palazzo! denkt man beim ersten Anblick. Zwar ist das ehemalige Schulhaus hinter der Piazza Grande, das auch schon «Casa del Cinema» getauft wurde und nun schlicht PalaCinema heisst, beim Besuch Ende Juni noch von Bretterwänden umstellt. Ein Monat vor Festivalbeginn präsentiert sich das Gelände als grosse Baustelle, und bange fragt man sich, wie hier bald Hunderte von Festivalgängern den Weg in jene drei Kinos finden werden, auf die das Festival zählt.

Die Fassade aber ist schon fertig: In ihrem klassizistischen Stil, den hohen Fenstern und dem eleganten Grau-Weiss erinnert das Haus tatsächlich an einen Palazzo. Entworfen wurde der Umbau, nach einem internationalen Wettbewerb, vom gebürtigen Spanier Alejandro Zaera-Polo und dem Tessiner Dario Franchini.
 

Was das Haus alles leisten soll

Umberto Ceccarelli kommt einem ent­­­­gegen, Verantwortlicher der Bauleitung vom Pala­cinema, und lächelt. Ja, man sei im Verzug, was will man tun. Die Kinosäle aber werden gewiss rechtzeitig fertig. Alle übrigen Räume sind im Herbst bezugsbereit.  Wir balancieren über Bretter zum Eingang. Das Entrée ist in Goldfarbe gestrichen; diese zitiert, so Ceccarelli, den hohen Lamellenvorhang, der die Dachterrasse umhüllt und bei Wind von Bewegungsmustern gezeichnet wird.

Im Untergeschoss liegen die beiden Kinos mit je 150, im Obergeschoss das grosse mit 500 Plätzen, die dem Festival die lange ersehnte infrastrukturelle Entlastung bieten sollen. Dort wird die Wettbewerbsreihe «Cinéastes du présent» laufen. Imposant der grosse Saal im Obergeschoss, der noch von Gerüsten verstellt ist und übergeht auf die weite Dachterrasse, wo dereinst Empfänge und Anlässe stattfinden sollen, auch während des Jahres. Nach Schutz vor der Sonne sucht man hier vergebens – da werden sich die Veranstalter noch etwas ausdenken müssen.

Vermieterin der Hauses ist die Trägergesellschaft Palacinema Locarno AG, nach der das Haus benannt worden ist. Dieses soll während der festivallosen Zeit als «audio­visuelles Kompetenzzentrum» mit ganzjährigem Betrieb funktionieren und überregional ausstrahlen, so die alte Hoffnung. Die Idee ist schon zwanzig Jahre alt; 2009 einigte man sich auf den jetzigen Standort. Sogar von einer Schweizer Filmakademie auf Tessiner Boden wurde (vom zeitweiligen Konzeptmana­ger Marco Müller) schon fantasiert.
 

Die Mieter

Mehrmals drohte das Projekt zu scheitern, auch wegen eines Lega-Referendums im Herbst 2013. Budgetiert sind 33,6 Mio Franken, davon steuert der Kanton Tessin 6 Millionen aus dem Swisslos-Fonds bei, von der Stadt Locarno kommen 6 Millionen samt Defizit­garantie. Hauptsponsor mit 10 Millionen (und Retter des Projekts nach einem drohenden Aus) ist die Stiftung Stella Chiara der Brüder Hellstern mit Stiftungsratpräsident Martin Hellstern.

Ausser dem Festival, das im Herbst seine Büros beziehen und ein Festivalarchiv einrichten wird, will nun die Cinémathèque suisse eine Tessiner Dependence einrichten und die RSI ein Postproduktions-Studio. Weitere Mieter sind die Ticino Film Commission sowie die beiden Tessiner Film(hoch)schulen der Suspi und das CISA, das den Studiengang des Spezialisierungs-Nachdiplomjahrs nach Locarno verlegen will. Auch Focal wird im Haus Kurse anbieten.

Und was geschieht mit den drei Kinosälen während des Jahres? 800 Sitzplätze für das verschlafene Locarno – vorstellen kann man sich das nicht so recht. Betreiber ist Enjoy Arena, an der auch Edi Stöckli (Besitzer der Arena Cinemas in Zürich, Freiburg und Genf sowie des CineStar in Lugano) beteiligt ist.
 

Lange auf Investitionen gewartet

Besuch beim künstlerischen Direktor in den Büros an der Via Ciseri, gleich hinter der Piazza Grande. Die Räume sind klein und wenig repräsentativ. Die Realisation des PalaCinema ist für das Festival natürlich wichtig, das sagt Carlo Chatrian: «Zum einen beweist es den Willen der Stadt Locarno und vom Kanton Tessin, die problematische Infrastruktur des Festivals zu verbessern. Seit 30 Jahren wurde nicht mehr wesentlich darein investiert. Die wichtigsten Spielorte – das Fevi, die Piazza Grande und La Sala – werden ja nur während des Festivals genutzt; bezüglich Komfort können diese Orte nicht mit regulären Kinos konkurrieren.» Zudem geben die neuen Säle im PalaCinema mehr Spielraum für die Programmation, so werden die Abstände zwischen den Vorstellungen länger, es gibt mehr Zeit für Gespräche, Zusatzvorstellungen sowie – eine Neuigkeit – drei Vorstellungen pro Film neu auch für «Signs of Life» und «Hors Competition» (bisher je zwei Vorstellungen). Ob sich alles bewährt, wird die Ausgabe 2017 zeigen, die Chatrian diesbezüglich als «Edition d’essai» tituliert. Die Retrospektive übrigens, dieses Jahr zu Jacques Tourneur und seit langem ein Lieblingskind des Direktors, bleibt am selben Ort. Das Ex*Rex soll schon bald als GranRex auferstehen.
 

Das GranRex, wirklich gross

Auch hier ist Hochbetrieb beim Besuch Ende Juni. Rund um die Uhr wird durchgearbeitet, und auch da lautet die erste Frage: Reicht die Zeit bis Festivalbeginn? «On fait le miracle du cinéma», sagt Patricia Boillat und lacht. Das Kino als jener Ort, wo alles möglich wird. Boillat hat gemeinsam mit Elena Gugliuzza Umbau und Nutzungskonzept des GranRex entworfen und überwacht die Bauarbeiten im Kino. Diese haben sich um vier Monate verzögert; die Baubewilligung liess auf sich warten.

Der Saal hat nun 450 Sitzplätze (vorher waren es 437), es gibt mehr Beinfreiheit und er wird behindertenzugänglich. Auch wurde eine richtige Projektionskabine eingebaut, die man vor 50 Jahren, kaum zu glauben, schlicht vergass und dann nachträglich in einem Nebengebäude integrieren musste. Im Gegensatz zum PalaCinema sind im GranRex auch 16mm-und 35-mm-Projektionen möglich – unabdingbare Voraussetzung für jede Retrospektive. Die Decke wurde neu gerahmt, die Aktustik verbessert, die Wände schallisoliert, die Beleuchtung verbessert. Und doch sieht alles ganz vertraut aus – was auch beabsichtigt ist, so Patricia Boillat. 3600 Kubikmeter misst das riesige, 1966 eröffnete Kino, das somit zwanzig Jahre jünger ist als das Festival selbst. (Das Ensemble mit den angrenzenden Wohnungen und dem Coop-Laden im Erdgeschoss entstand schon 1963). Auch gibt es jetzt Logen für Schauspieler, die Bühne wurde auf 60 Quadratmeter vergrössert und erleichtert so die polyvalente Nutzung des Kinos auch als Konzertraum oder Theater. Filmclubs hätten schon Interesse angemeldet, sagt Elena Gugliuzza. Im Unterschied zu den Kinos desPalaCinema wird das GranRex vom Festival nämlich selber bewirtschaftet, auch in dem übrigen elf Monaten des Jahres. Grund dafür ist ein neuer Langzeitvertrag mit einer Mietgarantie von 30 Jahren. Nun wird das Festival als Hauptnutzer das GranRex an Drittveranstalter weitervermieten. Hoffentlich zahlt es sich aus.

Bild: Der PalaCinema. Der Lamellenvorhang auf dem Dach wird bei Wind von Bewegungsmustern gezeichnet. © Locarno Festival

Retrospektive Jacques Tourneur:
2. bis 12. August

GranRex

▶  Originaltext: Deutsch

Movieofmylife

Niccolo Castelli hat schon mitgemacht, Clemens Klopfenstein oder Stina Werenfels. Nicolas Wadimoff und Tiziana Soudani. Amy McDonald, der rumänische Filmemacher Cristian Mungiu, sogar Dario Argento. Aber auch viele Unbekannte, die in 70 Sekunden den «wichtigsten Film ihres Lebens» beschwören. Mit dem Handy, Einfall, Witz oder andeutungsweise, mal verspielt, mal elliptisch. Wobei der Filmtitel, dies die Bedingung, erst am Schluss verraten werden darf. Movieofmylife heisst der Wettbewerb des Festivals, zu finden sind die Beiträge auf seiner Homepage, und einige davon werden wir dann auf der Piazza Grande beim Warten aufs Hauptprogramm zu sehen bekommen.

Movieofmylife ist eines jener Programme, das dazu helfen soll, für das Festival ein jüngeres Publikum zu gewinnen. Dazu wird auch die «Youth Advisory Board» gezählt, eine Gruppe Jugendlicher aus aller Welt, die das Festival beraten wird, wie man Junge besser anspricht.


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