Sandra Hüller spielt in «Anatomie d’une chute» eine Figur, die ihren gleichen Namen trägt. © Les Films Pelléas - Les Films de Pierre
Trotz der kurzen Dauer des Interviews während des Festivals in Cannes nimmt sich Sandra Hüller für jeder Antwort Zeit zum Nachdenken, und spricht immer mit grosser Bescheidenheit und Leidenschaft über ihren Beruf. Die deutsche Schauspielerin ist dieses Jahr mit zwei starken Filmen im Wettbewerb an die Croisette zurückkehrt. In «The Zone of Interest» von Jonathan Glazer spielt die 45-jährige Schauspielerin die Frau des Lagerkommandanten von Auschwitz-Birkenau. Sie führen ein Familienleben in einem Haus in der Nähe des Konzentrationslagers. Auf radikal andere Weise taucht sie durch «Anatomie d'une chute» von Justine Triet in die Figur einer Autorin ein, die verdächtigt wird, ihren Partner getötet zu haben. Beide Filme werden demnächst in unseren Kinos anlaufen. Das war das Gespräch, an dem wir mit einer kleinen Gruppe von Journalisten, teilgenommen haben.
Die Art und Weise, wie wir mit Justine Triet zusammengearbeitet haben, hat mir sehr geholfen. Als Regisseurin fordert sie nicht, sondern macht eher Vorschläge. An ihrer Seite ähnelt ein Dreh dem Theaterprozess. Sie gibt einem viel Zeit, um sich zu entwickeln, die Figur zu entfalten, Fehler zu machen und, wenn nötig, noch einmal von vorne anzufangen. Die erste Szene des Interviews mit der Studentin musste zum Beispiel komplett ein zweites Mal gedreht werden. Zu Beginn der Dreharbeiten fühlte ich mich sehr unter Druck gesetzt, da ich nicht wusste, wie ich diese Figur darstellen sollte. Später wurde alles klarer, als ich nach und nach in jeden Moment von Sandras Leben eintauchte.
Zunächst einmal hat mir gefallen, dass es «The Zone of Interest» gelingt, sich von der historischen Dimension zu distanzieren. Sagen wir auch, dass ich nie wirklich Lust hatte, an einem Projekt teilzunehmen, das den Faschismus darstellt. Das war wirklich nicht etwas, was ich machen wollte. Aber als ich Jonathan Glazer kennenlernte, wusste ich, dass er mein Partner sein würde, und ich hatte viele Gespräche mit Verwandten, die mir sagten: «Irgendjemand muss es ja machen». Es ist wichtig, die Perversität unseres Lebensstils aufzuzeigen, den wir alle täglich praktizieren. Wir verschliessen aus Bequemlichkeit die Augen vor Dingen, die uns Angst machen oder unseren Frieden stören. In Bezug auf «Anatomie eines Sturzes» hat mich die Dimension der Sprache sehr interessiert. Ich hatte bereits mit Justine Triet gearbeitet und sie wurde zu einer Freundin. Ich habe sofort zugesagt, als sie mir von dem Drehbuch erzählte, weil es eine Herausforderung war.
Ich weiss es nicht. Ich meine, sie ist eine Schriftstellerin, viele Leute hören ihr zu. Ich habe das nicht so empfunden. Ich habe eher das Gefühl, dass es ihr sehr unangenehm ist, ihre Beziehung so ausführlich zu beschreiben. Das wünsche ich niemandem.
Wissen Sie, nach «Toni Erdmann» wusste ich überhaupt nicht, was ich tun sollte, wohin ich gehen sollte, das war eine Krisenzeit für mich. Man verlangte von mir, immer und immer wieder die gleichen Figuren zu spielen, Geschäftsfrauen. Aber ich hatte das bereits getan und fragte mich, was ich als nächstes erforschen wollte. Ich habe also verschiedene Dinge ausprobiert, die nicht unbedingt zu mir passten, und ich musste wirklich den Weg zurück zur Freude finden. Natürlich wusste ich, dass ich gute Arbeit leiste, aber ein sinnvolles Thema zu finden, das Fragen widerspiegelt, die ich mir wirklich stelle, das hat wirklich Zeit gekostet. Vor diesen beiden Projekten habe ich nur Theater gespielt.