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Marco Solari: «Die Präsidentschaft muss in erster Linie dafür sorgen, dass die Ambitionen der Direktoren finanziert werden können.»

Teresa Vena
21. August 2023

© Locarno Film Festival

Diese 76. Ausgabe des Locarno Film Festival war die letzte des Präsidenten Marco Solari. Wir haben ihn zu einem Bilanzgespräch getroffen.        

Welches sind die Herausforderungen für das Festival in den kommenden Jahren? 

Ich denke, das grösste Ziel ist es, auch in den kommenden Jahren zu den sieben, acht, bedeutendsten Festivals der Welt zu gehören und sich möglicherweise noch weiter zu verbessern und noch wichtiger zu werden. Dies ist unerlässlich, unverzichtbar. Meine Aufgabe in den letzten zwanzig Jahren bestand darin, das Festival auf ein bestimmtes Niveau zu bringen, was dank aussergewöhnlichen künstlerischen Leitern und Leiterinnen und ebenso aussergewöhnlichen operativen Leitern und Leiterinnen möglich wurde. Das Festival ist heute ein Festival, über das in der ganzen Welt gesprochen wird. 

Eine konkrete Herausforderung, die bevorsteht, betrifft die Modernisierung oder den Ersatz des FEVI, das bis 3.200 Personen fasst, sich aber in einem beklagenswerten Zustand befindet. Das Festival ist allerdings ohne einen so grossen Saal nicht denkbar sodass auch an ein Provisorium gedacht werden muss.

 

Welche Rolle spielt der Präsident oder die Präsidentin zukünftig? 

Der Präsident hat eine ganze Reihe von Aufgaben, aber natürlich muss die Präsidentschaft in erster Linie dafür sorgen, dass die Ambitionen der Direktoren finanziert werden können. Es ist uns gelungen in zwanzig Jahren die Mittel von 4 auf 17 Millionen zu erhöhen, und die nächste Präsidentin, im Moment noch designierte Präsidentin, wird nun das Festival in die Zukunft führen. 

 

Wenn Sie an Ihren Arbeitsalltag für das Festival denken, was werden Sie vor allem vermissen? 

Ich werde vor allem den Kontakt mit den jungen Leuten vermissen, mit all diesen jungen Leuten, die mich mit ihrer Vitalität und ihrem Enthusiasmus bereichert haben.  Im Grunde genommen ist meine grosse Leidenschaft aber die Literatur, doch die Literatur führt einen in die Einsamkeit, während das Kino und die Festivals in der Gemeinschaft gemacht werden. Für jemanden wie mich, der diese Präsidentschaft nicht nur als eine Funktion sieht, sondern als etwas viel Tieferes, viel Wichtigeres, ist es ein bisschen so, als würde man der Familie den Grossvater entreissen. Aber das ist normal, da schliesst sich der Kreis. 

 

Gibt es Dinge, die Sie im Nachhinein lieber anders gemacht hätten? 

Es gibt immer Schwachstellen in der Organisation. Als Team haben wir gut gearbeitet, wir haben uns weiterentwickelt. Diejenigen, die es von aussen betrachten, werden sagen, dass wir bei einigen Dingen mehr oder schneller hätten handeln sollen. Wir haben versucht, alles zu geben, was wir geben konnten. Es gab durchaus Krisen wie als Roman Polanski wegen im Tessin ausgebrochener Polemik verzichtete ans Festival zu kommen beispielsweise. 



Gibt es Jahre, an die Sie sich mit besonderen Emotionen erinnern?

Das ist leicht, zu beantworten. Ich habe mich jedes Jahr über das Festival gefreut, das erste Festival war ein bisschen wie ein erstes Kind. Aber auch danach gab es viele Emotionen, viele Entdeckungen.

 

Sie haben gesagt, dass Ihre erste Leidenschaft die Literatur ist. Wenn Sie ans Kino denken, welche Filme sehen Sie am liebsten?

Ich möchte Filme sehen, in denen es keine Vulgarität gibt. Ich mag keine Gewalt, ich mag keine Thriller. Ich habe diesbezüglich eine seltsame Sensibilität entwickelt. Eines der schrecklichsten Ereignisse des blutigen 20. Jahrhunderts ist für mich die Shoah. Ich kann keine Filme zu diesem Thema sehen, weder Dokumentarfilme noch Spielfilme. Ich habe mir nie «Schindlers Liste» oder «Das Leben ist schön» angesehen. Ich kann es einfach nicht, es ist etwas, das mich so sehr ergreift, dass ich es nicht in einem Bild sehen kann, weil dieses Bild sowieso trivialisiert wird, es drückt nicht einmal im Entferntesten das Grauen dieser Zeit aus. Ich mag Filme, die gut erzählen, ich bin verliebt in den schönen Film. Das sind zum Beispiel die Filme von Visconti, Fellini, Germi, Risi oder der Brüder Taviani. Einige meiner Lieblingsfilme sind «Il Gattopardo», ein wunderbarer Film, oder «Tod in Venedig», «La nave va», «Prova d’orchestra» oder «La notte di San Lorenzo», sowie alle, wirklich alle, Filme von Orson Welles, das sind Meisterwerke, die ich immer wieder gesehen habe.

 

 

 

 

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