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«Man muss sich bewusst sein, dass man nicht als Mensch kritisiert wird.»

Teresa Vena
20. Dezember 2023

Die Amtszeit von Ivo Kummer als Filmchef im Bundesamt für Kultur geht zu Ende. Zum 1. Februar 2024 übergibt er seinen Posten. Wir haben ihn zu einem Bilanzgespräch getroffen.

Wenn Sie auf Ihre Amtszeit zurückschauen, in diesen Jahren haben Sie viel Widerstände erlebt. Gibt es Momente, die Ihnen besonders nahe gegangen sind?

Ich komme ja ursprünglich auch aus der Branche selbst und habe mit dem Amtsantritt einen totalen Seitenwechsel gemacht. Ich war in der Leitung der Solothurner Filmtage, habe selbst Filme produziert. Der Weg in die Verwaltung war für mich zuerst ein Kulturschock. Zudem befanden sich damals die Branche und das BAK in einem Zerwürfnis. Man hat sich nicht verstanden, es gab gegenseitige Anschuldigungen, man provozierte gegenseitig. Zu Beginn wollte ich wieder eine Vertrauensbasis schaffen. Das ist zum Glück gelungen und man konnte wieder produktiv zusammenarbeiten. Auch wenn es immer noch einige gab, die nicht mitmachten. Doch wir konnten insgesamt konstruktiv zusammenarbeiten und haben einiges mit der Branche erreicht. Dazu gehören die MEDIA-Ersatzmassnahmen, die Meldepflicht für Onlineplattformen, die Filmgesetzrevision, die Filmstandortförderung, die jährlich zusätzliche 6 Millionen für die Filmherstellung brachten.

 

Wie waren Ihre Anfänge?

Ich schätze, ich brauchte etwa zwei Jahre, bis ich überhaupt die Sprache der Verwaltung verstanden habe, bis ich wusste, wie ich mich im System bewegen muss, wie man strategisch vorgehen kann, um die BAK-Direktion, den Bundesrat und schliesslich das Parlament überzeugen zu können. Das war für mich eine sehr lehrreiche Schule. Es war auch immer eine schöne Zeit. Was mich stört, auch jetzt noch, ist der doch manchmal recht rüde Tonfall in der Kommunikation. Ich habe Briefe bekommen, die mich erschrecken liessen ob ihrer Aggressivität. Was mich erstaunt hat, ist die grosse Anspruchshaltung der Branche in Bezug auf Subventionen. Das haben andere Branchen nicht so explizit. Gleichzeitig erfährt man aber auch grosse Dankbarkeit, das stimmt. Doch die Spannbreite zwischen den beiden Polen ist gross. Sicher ist, dass man keine Freunde gewinnt in dieser Position. Man verliert eher welche. Das bedauere ich natürlich. Doch das ist vermutlich auch normal in diesem Kontext. Wer Subventionen bekommt, bedankt sich manchmal dafür, wer keine bekommt, reklamiert dafür.

 

Was würden Sie Ihrer Nachfolge diesbezüglich empfehlen?

Bleib bei dir, bleib authentisch, zieh deine Linie durch, egal ob sich dein bester Freund plötzlich zum liebsten Feind entwickelt. So war es bei mir. Man muss sich bewusst sein, dass man nicht als Mensch kritisiert wird. Das eigene Ego muss man aber der Sache, den Bedürfnissen oder Notwendigkeiten der Branche, unterordnen können. Es geht darum, möglichst intelligente Entscheidungen zu treffen und Projekte für eine gewisse Langfristigkeit aufzubauen. Überhaupt brauchen Prozesse viel Zeit, aber das Resultat muss nachhaltig sein. Es ist eben nicht einmal ein Marathonlauf, sondern ein Bergsteigen, bei dem man auch vor und zurück muss, um den richtigen Aufstieg zu finden. Da ich Sternzeichen Steinbock bin, hat mich das zum Glück nicht eingeschüchtert.

 

Würden Sie sagen, dass sich das Arbeitsklima grundsätzlich verbessert hat?

Seit meinem Beginn hat es sich massiv verbessert, innerhalb der Branche und im BAK. Das liegt zum Beispiel an den Kommunikationsgefässen, die wir eingerichtet haben. Während der vierteljährlichen Konferenzen mit den Präsidenten der Produktions- und Regieverbänden wie auch den filmtechnischen Betrieben tauscht man sich über verschiedene Probleme aus. Ich finde, dass in diesem Rahmen dann aber auch alles auf den Tisch kommen muss, und nicht wieder plötzlich ein Beschwerdebrief irgendeines Verbands hereinflattert oder ein offener Brief im Cinébulletin erscheint. Ein anderes Gefäss mit einem halbjährlichen Austausch fasst auch die regionalen und kantonalen Filmförderstellen sowie die SRG zusammen. Mit den Verbänden gibt es zusätzlich themenspezifische Arbeitsgruppen, um Veränderungen oder Strategien besprechen zu können. Die Befriedung der Branche, ist mir, glaube ich, natürlich gemeinsam mit meinen Kollegen und Kolleginnen in der Sektion Film, schon gelungen. Die nachkommende Generation hat zudem natürlich nicht zwingend die gleiche Geschichte durchgemacht. Sie ist auch offener, weil nicht vorbelastet. Es sollte also eher einfacher als komplizierter werden.

 

Welche sind die grössten Befriedigungen Ihrer Amtszeit?

Neben den sachlichen Fakten und Projekten, ist das der Erfolg des Schweizer Films an internationalen Festivals. Als ich anfing, hatte der Schweizer Film international ein Mauerblümchendasein. Der Ausbau der internationalen Vernetzung ist wichtig, erst recht nach dem MEDIA-Ausschluss, und das ist auf guten Wegen, auch wenn man stetig daran arbeiten muss. Der Schweizer Film ist an den wichtigen Festivals präsent, es gibt schöne Festivalkarrieren einzelner Filme. Es ist befriedigend, wenn man an solchen Premieren eingeladen wird, man darf stolz sein auf die Filme. Ich freue mich auch über die heutige Vielfalt der Filme. Das zeugt von einer guten Expertentätigkeit der Fachkommissionen und zeigt, dass unser System nicht ganz so schlecht sein kann.

 

Werden Sie jetzt wieder zurück auf die andere Seite wechseln, wieder Filme machen und über Filme schreiben?

Ich werde jetzt viel Zeit haben, um Leserbriefe zu schreiben. (lacht) Nein, ich werde mich eher zurückhalten. Auf jeden Fall nicht etwa meine Nachfolge öffentlich kommentieren. Für Ratschläge, falls gewünscht, bleibe ich natürlich zur Verfügung. Ob ich wieder wie früher produzieren werde, glaube ich eher nicht. Vielleicht mache ich selbst wieder etwas Eigenes. Was mich interessieren würde, wäre Juryarbeit an Festivals oder bei Begutachtungen von Projekten. Auf jeden Fall bleibt meine Berufswelt die Kultur und der Film. Diese hat sich allerdings seit meinen Anfängen, in den frühen 1980er Jahren, stark verändert. Damals befand sich der Schweizer Film noch ein bisschen in einer Pionierphase. Danach kam meine Generation, die angefangen hat, professionelle Strukturen aufzubauen, um davon leben zu können. Das war dann die Konsolidierungsphase und jetzt kann man darauf aufbauen. Das Fundament steht. Die Zeiten und die kommenden Herausforderungen finde ich sehr spannend. Wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht beispielsweise oder den grossen Wandel mit den neuen Erzählformaten sowie den neuen Akteuren in der Filmfinanzierung, dank der an der Volksabstimmung angenommener Investitionspflicht.

 

Was werden Sie am meisten vermissen?

Mir wird das Team der Sektion Film sehr fehlen. Ebenso der kollegiale Austausch über Filmpolitik mit der Branche, das Suchen nach besten Lösungen oder lebbaren Kompromissen für die Weiterentwicklung des Schweizer Films und Filmkultur.

 

Welche Filme schauen Sie eigentlich privat am liebsten?

Das ist ein offenes Geheimnis: Filme mit gesellschaftlich relevanten Themen, die uns berühren, irritieren und herausfordern das eigene Denken und Handeln kritisch zu reflektieren. Filme, die uns als Gesellschaft weiterbringen in sozialen und humanistischen Fragen.

 

 

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