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«Die Anhörung» im Herzen des Schweizer Asylprozesses

Adrien Kuenzy
17. April 2024

Lisa Gerig hat mit ihrem Dokumentarfilm verschiede: Preis der Solothurner Filmtage, Schweizer Filmpreis für den besten Dokumentarfilm und Preis der Stadt Zürich. © Joachim Clematide

Lisa Gerigs mehrfach ausgezeichneter Dokumentarfilm, der an den Solothurner Filmtagen und als Westschweizer Premiere am Festival du Film et Forum International sur les Droits Humains gezeigt wurde, rekonstruiert die Interviews von Asylsuchenden in der Schweiz. Treffen mit der Regisseurin.

Wie entstand die Idee zu «Die Anhörung«?

Der Prozess, der vor einiger Zeit begann, wurde hauptsächlich von meinem Engagement im Asylbereich als Aktivistin geleitet. Alles begann mit einer gründlichen Recherche, bei der ich zahlreiche Gespräche mit Asylsuchenden und verschiedenen Experten führte, um das Thema zu erfassen. Danach begann ich, mich mit den Asylsuchenden zu treffen, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Eineinhalb Jahre lang arbeiteten wir an dem Projekt, besprachen die Risiken und die notwendigen Schritte. Die Entscheidung, diesen Film zu drehen, war eine natürliche Entscheidung, die durch jede neue Entdeckung zu diesem Thema verstärkt wurde.


Wie haben die Geschichten der vier abgewiesenen Asylsuchenden Ihre Herangehensweise an die Realisierung des Films beeinflusst?

Einige Aspekte waren eine echte Herausforderung, insbesondere die Vermittlung des klaustrophobischen Gefühls des Asylsystems, nachdem der Antrag gestellt wurde. Mein Kameramann und ich beschlossen, uns die ganze Zeit im Gebäude aufzuhalten, um eine Spannung zwischen menschlichen Emotionen und der Strenge der Verwaltung zu erzeugen. Wir waren uns im Team einig, dass es während der Dreharbeiten notwendig war, für die Protagonisten ununterbrochen anwesend zu sein, da wir wussten, wie heikel es für sie war, diese Momente erneut zu durchleben.

 

Wie haben Sie es geschafft, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich die Beteiligten sicher fühlten?

Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen mussten das Projekt, das wir durchführen wollten, verstehen. Sie hatten die Möglichkeit, jederzeit aufzuhören oder eine Pause zu machen. Wir begannen die Dreharbeiten mit jedem einzeln und mieteten ein Gebäude für zwei Monate, um den Raum zu erkunden. Die Asylsuchenden waren so konzentriert, dass sie die Kameras und das technische Team um sich herum vergassen.

 

Was sind Ihre Hauptziele, wenn Sie diese Geschichten teilen?

Mit dem zunehmenden Erfolg des Films und der Aufmerksamkeit, die er erregt, hoffe ich, dass der Film einen wirksamen Beitrag zu einer engagierten Debatte über ein faires Asylverfahren leisten wird. Und ganz konkret für die Protagonisten des Films hoffe ich, dass diese Arbeit den Kampf um eine Aufenthaltsbewilligung beschleunigen wird und sie nach Jahren endlich einen Entscheid erhalten werden! Auch Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider hat sich beim Schweizer Filmpreis mit einer der Protagonisten unterhalten, was unsere Hoffnung bestärkt hat.

 

Der Film zeigt einen Rollentausch, bei dem die Vernehmungsbeamten des Staatssekretariats für Migration (SEM) die Fragen der Asylsuchenden beantworten müssen. Was wollten Sie damit zeigen?

Die Idee entstand in den Gesprächen mit den Asylsuchenden während der Recherche. Sie wollten auch Antworten auf die Fragen erhalten, die sie stellten. Wir hofften, dass diese Umkehrung die vorhandene Machtdynamik aufzeigen und so zum Nachdenken anregen würde.

 


Hatten die Asylsuchenden oder die Angestellten des SEM ein Mitspracherecht bezüglich des Inhalts des Films?

Wir legten grossen Wert darauf, dass die involvierten Personen die Möglichkeit hatten, vor der Veröffentlichung Änderungen zu verlangen. Sie waren die ersten, die den Film nach der Montage sahen. Es waren keine Änderungen erforderlich. Alle fühlten sich zutiefst respektiert. Der Film bietet keine einfachen Lösungen an, sondern will dazu einladen, die Komplexität zu ertragen. Es geht nicht darum, Gut und Böse zu kategorisieren, sondern vielmehr darum, die vielen Herausforderungen aufzuzeigen. Wir alle sind dafür verantwortlich, zu handeln, wenn wir Probleme erkennen.

 

Sie werfen wichtige Fragen über die Genauigkeit von Übersetzungen, Missverständnisse und wie die Zukunft von Asylsuchenden von der Art und Weise abhängt, wie sie ihre Geschichte erzählen, auf. Wie haben diese Fragen Ihre Sicht auf das Asylsystem beeinflusst?

Je mehr ich mich informierte, desto radikaler wurde meine Sichtweise, insbesondere was die Überprüfung der Glaubwürdigkeit betrifft, die oft fehleranfällig ist. Die Asylverfahren in der Schweiz sind fehlerhaft. Es ist von entscheidender Bedeutung, die Rechte der Antragstellenden zu schützen und gleichzeitig die etablierten Methoden infrage zu stellen. Ein Film kann eine Rolle spielen, indem er diese Herausforderungen beleuchtet und die Debatte, auch mit Politikern, anregt.

 

Hoffen Sie, dass Sie damit Veränderungen oder eine Bewusstseinsbildung bewirken können?

Natürlich ist meine Position in diesem Film klar erkennbar, und das finde ich auch wichtig. Ich denke jedoch, dass es nicht meine Aufgabe als Filmemacherin ist, konkrete Veränderungen vorzuschlagen, sondern vielmehr einen Raum für Diskussionen zu öffnen und Fakten zu liefern. Die Debatte über Migration ist oft zu emotional aufgeladen und es mangelt an Fakten. Respekt und Menschenwürde werden oft vernachlässigt, und die Asyldebatte wird manchmal dazu missbraucht, Probleme zu verwalten und daraus Politik zu machen. Dadurch werden die Probleme auf Verallgemeinerungen reduziert. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, einen akribischen und präzisen Film als Diskussionsgrundlage zu erstellen. Der Film hat bereits viele Debatten ausgelöst und zahlreiche Persönlichkeiten zu Wort kommen lassen. Er wurde auch im SEM gezeigt, was ebenfalls wichtig ist.

 

 

 

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