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Der Streik meines amerikanischen Onkels

Stéphane Mitchell
03. November 2023

Stéphane Mitchell, Drehbuchautorin © Delphine Luchetta

«You won!» Als Antwort auf meine SMS schickt mir mein Onkel ein Video, das er mit seinem Smartphone im Palladium in Hollywood aufgenommen hat und das Hunderte von amerikanischen Kollegen und Kolleginnen zeigt, die dem Vertrag applaudieren, der am 9. Oktober 2023 unterzeichnet wurde – nach einem 146-tägigen Streik, der die Schreibtätigkeit für Kinofilme, TV-Serien und zahlreiche Unterhaltungssendungen lahmlegte, die alle aus der Feder von Drehbuchautoren und -autorinnen stammen. Während des viereinhalb Monate dauernden Streiks hielt Allan jeden Morgen vor den Fox Studios Wache, um seine Kollegen und Kolleginnen zu unterstützen. Der heute pensionierte Drehbuchautor, der bekannte TV-Sitcoms wie «Laugh-in», «M*A*S*H» oder «Roseanne» schrieb, versteht ihre Forderungen, denn die Branche hat sich seit seiner Zeit stark verändert.

Aus Schweizer Sicht erscheint dieser Streik zugleich einfach und komplex. Einfach, da es im Grunde um Lohnerhöhungen, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Arbeitnehmerschutz geht – klassische Streikforderungen also. Komplex, da weder die Organisation, noch die Situation der Branche mit unserer vergleichbar ist. In den USA gehört ein Grossteil der Drehbuchautoren und -autorinnen der Writers Guild of America (WGA) an, einer Gewerkschaft, die ihre Rechte vertritt und zugleich eine Kranken- und Pensionskasse anbietet – ein Muss in einem Land, wo es keine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung gibt. Dieses Monopol verleiht der Gilde die nötige Verhandlungsstärke gegenüber dem mächtigen AMPTP (Verband der TV- und Filmstudios), denn sie entscheidet in Absprache mit ihren über 11‘500 Mitgliedern darüber, ob diese im gesamten Land ihre Arbeit niederlegen.

Auch die Situation ist eine ganz andere: Die amerikanische Drehbuchindustrie läuft auf Hochtouren und überschwemmt die ganze Welt mit linearen und nicht-linearen Inhalten – ob es einem gefällt oder nicht. Während eines früheren Streiks der WGA im Jahr 2007 wurde dem amerikanischen Volk erst bewusst, in welchem Mass Drehbuchautoren und -autorinnen zur Diversität der TV-Programme beitragen, denn der Bildschirm blieb häufig einfach leer. Damals ging es um die Tantiemen der Drehbuchautoren und -autorinnen für DVD-Verkäufe und den Vertrieb via Internet. Dieses Jahr standen die Vergütung der Schreibtätigkeit, die Tantiemen aus dem Streaming-Geschäft und der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) im Zentrum der Verhandlungen.

Was haben die amerikanischen Drehbuchautoren und -autorinnen gewonnen? Kurz zusammengefasst hat die WGA einen Mindestlohn in allen Medienbereichen, höhere Tantiemen, eine angemessene Vergütung für das Schreiben von TV-Serien von der Vor- bis zur Post-Produktion, höhere Zuschüsse für die Kranken- und Altersversorgung sowie eine Verbesserung der Berufsstandards und des Arbeitnehmerschutzes erreicht. In Bezug auf KI wurden vier Hauptpunkte verhandelt, darunter ein Verbot, Drehbücher zur Schulung von KI zu nutzen oder mit KI Material zu erstellen, was die Verdienste oder Rechte eines Drehbuchautors oder einer Drehbuchautorin untergraben würde.  

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