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«Eine schlanke Vorlage»

Kathrin Halter
28. März 2022

Ein Gespräch mit Ivo Kummer über das Filmgesetz und weshalb er am 15. Mai auf eine Annahme hofft. 

Existiert schon eine Liste all jener Firmen, die von den neuen Investitionspflichten betroffen wären?

Die Streamingdienste müssen schon seit 2016 ihr Filmangebot und die Abrufe dem Bundesamt für Statistik melden. Die Fernsehsender berichten ihrerseits dem Bundesamt für Kommunikation. Wir kennen deshalb die Akteure. Ein Register wird es jedoch erst nach einem Inkrafttreten des Filmgesetzes geben. Dort werden sich alle Anbieter und Veranstalter eintragen müssen; nicht alle haben danach aber auch Investitions- und Quotenpflichten. Genau definiert werden diese erst in der Filmverordnung, wo auch Mindestschwellen festgelegt werden wie z.B. der Mindestumsatz von 2,5 Millionen Franken pro Jahr sowie die Mindestanzahl angebotener Filme pro Jahr. Das bedeutet, dass kleinere Fernsehsender, zum Beispiel Tele Bärn oder Tele Züri, wie bereits heute schon von den neuen Regelungen nicht betroffen sein werden.

 

Das Gesetz sieht Investitionsmöglichkeiten vor in die Herstellung von Auftragsfilmen und von Serien sowie in die Herstellung oder den Ankauf von Spiel- und Dokumentarfilmen. Ist es zwingend, dass dabei jeweils eine Schweizer Produktionsfirma beteiligt ist?

Ja. Das Ganze richtet sich nach dem Filmgesetz, dessen Kernstück die unabhängige Filmproduktion ist. Entscheidend bei Auftragsfilmen sind die Besitzverhältnisse und die wirtschaftliche Unabhängigkeit: Würde eine Filmproduktionsfirma zu 60 Prozent einem Medienunternehmen gehören, wäre sie nicht mehr unabhängig. Ebenfalls nicht, wenn eine Firma über 50 Prozent ihrer Geschäftstätigkeit im Auftragsverhältnis für einen einzigen Anbieter ausführen würde. Koproduktionen mit Fernsehveranstaltern wie der SRG oder Online-Plattformen sind jedoch möglich.

 

Wären minoritäre Koproduktionen anrechenbar, wenn sich eine Schweizer Firma zum Beispiel an einer deutschen oder französischen Netflix-Produktion minoritär beteiligt?

Wenn die Schweizer Produktionsfirma unabhängig ist, wäre eine solche Konstellation als Koproduktion anerkennbar. Damit die Investitionspflicht aber erfüllt ist, müsste die Plattform den minoritären Anteil in Schweizer Elemente investieren .  

 

Und wenn die unabhängige Schweizer Firma nur ausführend wäre und der künstlerische Lead von einer Firma wie Netflix ausginge?

 Dann handelt es sich um eine Auftragsproduktion, und das ist nach dem Gesetz explizit möglich.

 

Falls nur die Regie oder ein Drehbuch aus der Schweiz käme, wäre das auch anrechenbar?

Eine minoritäre Koproduktion nur mit Regie und Drehbuch zusammen wäre anerkennbar, wenn die Verträge mit der Schweizer Produktionsfirma abgeschlossen würden. Ob Verträge, die ein Streaming-Anbieter direkt mit Drehbuchautoren abschliesst, als Aufwendungen anrechenbar wären, wird noch festzulegen sein. Wahrscheinlich eher nicht.   

 

Gibt es noch weitere Auflagen, was anrechenbar ist und was nicht? Was ist mit Doku-Soaps wie «Bachelorette»?

Wir können uns im Einzelfall nicht vorab zu einzelnen Inhalten äussern. Im Fokus der Investitionspflicht stehen aber ganz klar filmische narrative Formate im Bereich Dokumentar-, Spielfilm, Animationsfilme und neuere Produktionsformate (VR). Diese können als Serien oder einzelne Filme gestaltet sein. Lizenzierte Fernsehshows fallen eher nicht unter diese anrechenbaren Filme.

 

Das sind auch inhaltliche Kriterien – wie will man diese festlegen?

Es geht um Gefässe. Wir schreiben keine Inhalte vor, aber es müssen gestaltete Filme sein. Formate wie Doku-Soap wird es auch weiterhin geben, sie sind einfach nicht anrechenbar. Solche Detail-Bestimmungen werden wir ebenfalls erst in der Filmverordnung vorschlagen, die dann wiederum in die Vernehmlassung geht.

 

Bei welchen Filmförderinstitutionen können Ersatzabgaben geleistet werden? 

Das werden Institutionen sein, die nach transparenten Kriterien fördern und die möglicherweise über ein Beschwerdeverfahren verfügen. Es können regionale Filmförderer sein wie Cinéforom oder die Zürcher Filmstiftung, es können aber auch nationale private Institutionen wie zum Beispiel ein statutenmässig ausgeweiteter Teleproduktionsfonds sein. Die Institutionen könnten sich beim BAK bewerben, welches die Anmeldungen prüft und eine Liste publiziert.

 

Könnte dafür auch eine Stiftung gegründet werden?

Grundsätzlich schon. Ob es das braucht, ist aber eine andere Frage. Ich halte es für klüger, bereits bestehende Institutionen zu berücksichtigen.

 

Ist nun keine Bürokratie zu befürchten?

Nein. 13 europäische Länder haben mit der Investitionspflicht bereits Erfahrung. Auch in der Schweiz kennen wir diese bereits, nämlich für die privaten Fernsehveranstalter. Das Bundesamt für Kommunikation prüft ja schon heute gemeinsam mit uns die Werbeleistungen von regionalen Fernsehsendern. Diese Abläufe sind eingespielt.

Ein wichtiger Grundsatz bei der ganzen Vorlage ist schliesslich eine Gleichbehandlung von Fernsehen und Streamingdiensten. Und was die 30-Prozent-Quote für Streamingdienste anbelangt: Auch diese ist in der EU seit 2018 ja schon vorgegeben. Der administrative Aufwand wird also nicht grösser, wenn die Schweiz hier mitmacht. Wir können zum Beispiel Film-Listen anerkennen, die auch für andere Länder gültig sind.

 

Anerkannt werden sollen, pro Jahr und Sender, auch weitere Massnahmen bis zu einem Betrag von 500'000 Franken, «die den Filmstandort der Schweiz fördern». Was ist damit gemeint?

Das können Filmvermittlung sein und andere Werbemassnahmen, auch im Rahmen von Festivals; es könnten Beiträge an Focal oder an Swiss Films sein wie auch an die Cinémathèque Suisse oder weitere Institutionen, welche einzelne Bereiche in der Schweizer Branche stärken.

 

Roger Elsener von CH Media sagt, da Werbeleistungen anders als bisher nur noch bis zum einem Betrag bis einer halben Million anrechenbar sind, bedeute dies für Privatsender wie 3+ «Gewinneinbussen im mittleren sechsstelligen Bereich». Wie können Sie sich das erklären?

Wir dürfen zu geleisteten Werbevolumen keine Zahlen kommunizieren. Bisher konnten Schweizer Veranstalter uneingeschränkt Gratiswerbung für Filme zeigen. Allerdings waren Aufwand und Ertrag bei Fernsehstationen manchmal in keinem gesunden Verhältnis mehr.  Deshalb hat man hier eine Obergrenze festgelegt. Da TV-Veranstalter auch künftig Inhalte ankaufen oder produzieren wollen, ist eine wesentliche Gewinneinbusse zumindest fraglich. 

 

Wenn das Gesetz angenommen wird, bedeutet dies für die Schweizer Filmlandschaft einen Quantensprung, auch finanziell gesehen. Wäre die Schweiz imstande, deutlich mehr Produktionen zu realisieren?

Wenn das Gesetz angenommen wird, kann man sich ja vorbereiten: 2024, wenn das Gesetz in Kraft tritt, beginnt diese Investitionspflicht. Diese muss aber erst im Verlauf von vier Jahren erfüllt werden. Das hilft den Unternehmen bei der Planung. So wird auch die personelle Disposition einfacher. Der Markt hat also genügend Zeit, sich darauf einzustellen. Das Gesetz ist dadurch sehr liberal gestaltet.

 

Gibt es für neue Produktionen genügend Filmtechniker:innen in der Schweiz, falls zum Beispiel SRF gleichzeitig eine Serie dreht?

Bei den technischen Berufen existiert tatsächlich ein gewisser Fachkräftemangel. Dank dem Filmgesetz hätten aber viele im Ausland tätige Schweizerinnen und Schweizer wieder eine Perspektive in unserem Land. Es werden auch mehr Leute zum Beispiel aus den Filmschulen in den Arbeitsmarkt stossen und in der Schweiz bleiben, wenn sie eine bessere Perspektive haben. Hinzu kommt die erwähnte Planbarkeit bei der Investitionspflicht.

 

Sind Sie zuversichtlich im Hinblick auf die Abstimmung?

Ein Effekt könnte  die Skepsis gegenüber Behördenvorlagen in Abstimmungen sein, die man in letzter Zeit öfters beobachtet hat. Es ist jedenfalls die erste Kulturvorlage, die vors Volk kommt, weil das  Referendum ergriffen wurde. Dabei handelt es sich um ein Gesetz, das alles andere als überbordend ist, gerade wenn man das mit den Lösungen aus anderen Ländern vergleicht. Das Parlament hat sich intensiv mit der Vorlage auseinandergesetzt, hat sie mitgestaltet und ihr mit einem grossen Mehr zugestimmt. Diese positive Grundhaltung strahlt aus und muss das Stimmvolk erreichen. Es handelt sich um eine schlanke Vorlage, sie kostet keine Steuergelder und Gleichbehandlung hat traditionellerweise in der Schweiz einen gewissen Wert. Wenn es uns gelingt, das in Erinnerung zu rufen, dann wird die Vorlage auch angenommen. 

 

Das ist die lange Version des Gesprächs in der Heftausgabe

Originaltext: Deutsch

 

 

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