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Investitions- und Abgabepflichten in Europa

Kathrin Halter, Pascaline Sordet, Chiara Fanetti
28. März 2022

Die Netflix-Eigenproduktion «Emily in Paris» wurde bereits um eine dritte und vierte Staffel verlängert

13 Länder in Europa kennen Investitions- und Abgabepflichten. Einen Überblick über unsere Nachbarländer und die Situation dort, die sich fortlaufend weiterentwickelt.

 Deutschland

 2019 kam es zu einer Einigung, seit September 2019 zahlt Netflix nun tatsächlich in die deutsche Filmförderung ein. 2,5 Prozent, um genau zu sein. Dem Entscheid ging ein langes Ringen voraus.

In Deutschland müssen alle Unternehmen, die mit der Auswertung von Filmen Geld verdienen, der Sparte etwas zurückgeben. Kinos und Fernsehsender zahlen schon lange eine Abgabe, auch VoD-Anbieter sind laut Filmförderungsgesetz bei Jahresnettoumsätzen über 500ʼ000 Euro zu einer Abgabe verpflichtet. Das Geld geht an die Filmförderungsanstalt FFA, die es in neue Projekte investiert.

Nun gilt diese Abgabepflicht seit 2014 auch für VoD-Anbieter, die ausserhalb der Landesgrenzen ansässig sind, sobald sie in Deutschland mit einem Angebot Umsätze erzielen (und am Unternehmenssitz keine solche Abgabe leisten müssen). Bei einem Jahres­umsatz bis zu 20 Millionen Euro beträgt die Abgabe 1,8 Prozent, bei über 20 Millionen Euro 2,5 Prozent. So steht es in Paragraph 152 und 153 des Filmförderungsgesetzes. Die Aufsicht über die Verwendung und Erhebung der Abgabe liegt bei der FFA. Es sind laut Filmförderungsgesetz auch Sanktionen zur Durchsetzung möglich.

Netflix hat sich allerdings wie Microsoft und Apple jahrelang gegen Abgaben gewehrt. Das Unternehmen zog vor Gericht – und scheiterte 2018 mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Schliesslich hätte Neflix damit gegen das Gesetz verstossen. «Das könnte auch ein Präzedenzfall für Google und Apple sein. Ein jahrelanger Rechtsstreit bleibt nun beiden Seiten erspart», schreibt Die Welt («Netflix unterwirft sich dem deutschen Gesetz», Februar 2019)

Derweil haben die Produzentenverbände am Deutschen Produzententag im Juli 2021 eine neue Forderung erhoben: Die grossen Streaming-Plattformen sollen dazu verpflichtet werden, 25 Prozent oder ein Viertel ihres in Deutschland erzielten Umsatzes in die Herstellung neuer europäischer Werke zu investieren – und davon wiederum 80 Prozent in Werke, die «überwiegend in deutscher Sprache gedreht sind». Zudem sollen die verlangten Anteile nur dann erfüllt sein, wenn die Produktionsaufträge an Produzenten gehen, die vom jeweiligen On-Demand-Dienst unabhängig sind und wenn den Produzenten Rechte bzw. Erfolgsbeteiligungen zustehen. 

Begründet wird die Forderung auch so: 11,6 Milliarden Euro hätten die Streaming-Anbieter 2020 in der EU laut European Audiovisual Observatory eingenommen – das sind rund 30-mal so viel wie zehn Jahre zuvor. 

 

Österreich

Österreich kennt weder Abgaben noch Investionspflicht. Allerdings ist die Diskussion auch in unserem Nachbarland lanciert. Dort sind es Telekomanbieter, die eine finanzielle Beteiligung der Video-Giganten fordern, in Form einer Infrastrukturabgabe. Diese soll nach dem Verursacherprinzip  bezahlt werden.  Kathrin Halter

 

Französischsprachiges Belgien

 Im frankophonen Belgien gilt für die Investitionspflicht für Streaming-Plattformen ein Höchstsatz von 2,2 Prozent bei über  20 Millionen Euro Umsatz. Darunter gibt es mehrere Abstufungen: 1,4 Prozent bei bis zu 5 Millionen Euro Umsatz, 1,6 Prozent zwischen 5 und 10 Millionen Euro, 1,8 Prozent zwischen 10 und 15 Millionen Euro und 2 Prozent zwischen 15 und 20 Millionen Euro. Unternehmen mit weniger als 300’000 Euro Umsatz sind ausgenommen, und wer seinen Umsatz nicht bekanntgibt, bezahlt eine Pauschalabgabe von 3 Millionen Euro.

Die Verordnung, in der die Investitionspflicht verankert ist, wurde im April 2021 verabschiedet. Sie übernimmt das europäische Recht in angepasster Form und verpflichtet Streaming-Plattformen auch, mindestens 30 Prozent europäische Produktionen zu zeigen – ein Anteil, der graduell erhöht werden soll. Ein Drittel davon, also 10 Prozent des Gesamtkatalogs, muss aus dem frankophonen Belgien stammen. Unternehmen, die ihren Umsatz nicht bekanntgeben, bezahlen eine Pauschalabgabe von 3 Millionen Euro. Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern aller betroffenen Akteure der Filmbranche setzt sich dafür ein, dass die Bedingungen neu verhandelt werden. Sie möchte den Höchstsatz von 2,2 Prozent aufheben, zusätzliche Stufen schaffen und einen Maximalsatz von 15 Prozent für Unternehmen mit mehr als 120 Millionen Euro Umsatz einführen. Zudem schlägt die Arbeitsgruppe vor, dass ein Drittel der Gelder in belgische Mehrheitsproduktionen investiert werden muss. 

 

Frankreich

Die französische Regulierungsbehörde für audiovisuelle Medien (ARCOM, vormals CSA) unterzeichnete Ende 2021 Verträge mit den wichtigsten VOD-Plattformen, um die konkreten Details der Investitionspflicht zu regeln. Es handelt sich dabei um Netflix, Disney+, Amazon Prime Video, Google und Apple TV. Sie müssen 20 Prozent ihres in Frankreich erwirtschafteten Umsatzes in einheimische Produktionen investieren, was Schätzungen zufolge 250 bis 300 Millionen Euro entspricht. Davon fliessen 80 Prozent in audiovisuelle Produktionen und 20 Prozent in Kinofilme.

Die Verträge wurden für drei Jahre unterzeichnet und unterscheiden sich je nach Unternehmen. So muss zum Beispiel Netflix von den in der Diversitätsklausel festgelegten 5 Prozent der audiovisuellen Produktionen (ohne Kinofilme) 4,4 Prozent in Animationsfilme und 0,6 Prozent in Dokumentarfilme investieren. Bei Disney+ sind es 3,5 Prozent für Animationsfilme und 1,5 Prozent für Dokumentarfilme. Gewisse Branchenverbände (SACD, USPA und AnimFrance) halten diese Zahlen für viel zu niedrig und haben gegen die Verträge Beschwerde eingereicht.

Auf der Basis dieser Verträge können detailliertere Branchenvereinbarungen verhandelt werden. Die Filmbranche hat dies getan und direkt eine Vereinbarung mit Netflix abgeschlossen, welche die Investitionen in Kinofilme in Höhe von 4 Prozent des Gesamtumsatzes regelt und der Branche jährliche Mindestinvestitionen in Höhe von 30 Millionen Euro zusichert. Zudem legt sie eine Mindestzahl von zehn Filmen fest, die jedes Jahr vorfinanziert werden müssen. 17 Prozent dieser Vorfinanzierungen müssen in Filme mit einem Budget von höchstens vier Millionen Euro fliessen. Durch die Vereinbarung wurden auch die Auswertungsfenster neu geregelt: Ab sofort dürfen Filme 15 Monate nach Kinostart auf Netflix gezeigt werden. Pascaline Sordet

 

Italien

Bei der Umsetzung der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD), die den Rechtsrahmen für die audiovisuelle Industrie der EU aktualisieren und harmonisieren will, geniessen die linearen Veranstalter in Italien, anders als in anderen Mitgliedstaaten, eine Vorzugsbehandlung gegenüber den Streaming-Plattformen. 

In einer Mitteilung von November 2021 legte Italien eine Pflicht zur Investition in europäische Werke von 12,5 Prozent für private Sender fest, während dem Service public 17 Prozent (18,5?) auferlegt wurden. Den grössten Beitrag müssen, wenn auch gestaffelt, die Plattformen leisten: Von 17 Prozent im Jahr 2022 wird der Anteil bis 2024 auf 20 Prozent steigen (mindestens die Hälfte der Beiträge vonseiten der Plattformen gehen zwingend an italienische Werke).

Das ist ein grosser Sprung im Vergleich zu den vorherigen 12,5 Prozent für On-Demand-Angebote, aber ein Rückschritt gegenüber den 25 Prozent ab 2025, die die Regierung im August 2021 ursprünglich in Aussicht gestellt hatte. In Reaktion darauf hatte Netflix Italia in einem Interview mit Sole24Ore von «unfairer Behandlung» und einer Gefahr für eine «gerechte Wettbewerbsfähigkeit» in Sachen Preis und Qualität der Produktionen gesprochen.

Die italienische audiovisuelle Branche, von den Produzenten- bis zu den Autorenverbänden, äusserten sich kaum zu den Entscheidungen der Regierung. Chiara Fanetti

 

https://www.bak.admin.ch/bak/de/home/kulturschaffen/film1/referendum-aenderung-filmgesetz.html

 

 

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