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Die Traurigkeit der Windhunde

Samuel Golly
07. April 2023

Filmstill aus «La merveilleuse douleur du genêt» von Olivia Calcaterra © Pierre Daendliker

Frisch nach der Fertigstellung an der ECAL feiert Olivia Calcaterras «La merveilleuse douleur du genêt»  seine Weltpremiere bei Visions du Réel.

Olivia Calcaterra beschäftigt sich in ihrem Kurzfilm mit den Galgo-Rennen in Spanien. Diese Windhunde werden gezüchtet, trainiert und oft  misshandelt, bevor man sie dann aussetzt. Zur Rettung der Hunde wurden bereits mehrere Initiativen gestartet. «Es ist ein Thema, das ich seit meinem Vorbereitungsjahr an der Hochschule im Auge hatte. Ich wollte  den richtigen Zeitpunkt abwarten, um es anzusprechen und auf eine zufriedenstellende Weise zu behandeln», erklärt die Regisseurin. Der Dokumentarfilm «Yo Galgo» (2018) von Yeray Lopez hat sie auf die Problematik aufmerksam gemacht.

Statt jedoch ebenfalls die Form einer  didaktischen Reportage zu wählen,  hat Calcaterra einen essayistischen Dokumentarfilm gemacht.

 

Geteilte Gefühle

«Das Kino, das ich machen möchte, ist ein Kino der Emotionen»,sagt die Regisseurin. In «La merveilleuse douleur du genêt» will sie  eine Verbindung zwischen Hund und Zuschauer herstellen, indem sie gemeinsame Erfahrungs- und Gefühlsebenen anspricht. «Inspiriert von meiner eigenen Geschichte, wollte ich über das Trauma und den Weg zur Resilienz sprechen. Hunde sind wie Menschen, sie sind voneinander abhängig und brauchen Zuneigung. Der Schmerz des Verlassenseins verbindet uns.» Mit den Bildern und Worten der Protagonisten korrespondiert ein poetischer Text von Olivia Calcaterra auf Italienisch. Im Filmtitel zitiert der Film zwei Werke, welche die gesamte Erzählung durchdringen: «Der Ginster oder die Blume der Wüste» des Dichters Giacomo Leopardi und «Ein wunderbares Unglück» von Boris Cyrulnik,  Neuropsychiater und Vertreter des Resilienz-Konzepts. «Diese Spannung im Titel, dieser wundervolle Schmerz, zeigt das Trauma in einem neuen Licht: Es geht nicht um Vergessen oder Verdrängen, sondern um die Chance auf Erneuerung.»

 

«Eine vorzügliche Arbeit»

In den Momenten, in denen die Kamera körperliches Leiden nicht frontal zeigt, ist sie oft so niedrig positioniert, dass der Zuschauer sich mit der Perspektive des Hundeblickes konfrontiert sieht. Für Nicola Genni von PiCfilm, Produzent des Films, «haben Olivia Calcaterra und ihr Hauptkameramann Loris Theurillat vorzügliche Arbeit geleistet; ein wirklich kreativer und poetischer Dokumentarfilm». Da es sich um eine Diplomarbeit handelt, hat die ECAL die Produktion mit 15’000 Franken finanziert, hinzu kommen etwa 37’000 Franken von Cinéforom, der Loterie Romande und FilmPlus. «Damit konnte Olivia ihr Team bezahlen und ausschliesslich mit Profis zusammenarbeiten wie beispielsweise Vittorio Castellano, einem jungen, aber sehr erfahrenen Toningenieur», erklärt Nicola Genni. Über die vierwöchigen Dreharbeiten in Spanien hinaus, der grösste Posten bei den Ausgaben, war mit dem Budget auch eine qualitativ hochwertige Postproduktion möglich. Bemerkenswert an dem Kurzfilm ist nicht zuletzt seine Musik: Alessandro Passerini hat seine Komposition der bereits fertigen Schnittfassung angepasst. Die Drone-Klänge und elektronischen Arpeggien haben etwas Suggestives und unterstreichen die verfremdende Dimension des Werkes.

«Ich sehe grosses Potenzial bei Olivia», erklärt Nicola Genni. Sie verfügt über eine einzigartige Sensibilität und einen Blick, mit dem sie den Dingen auf den Grund geht.»

Die Freude der Regisseurin war gross, als sie erfuhr, dass ihr Film bei Visions du Réel in Nyon seine Weltpremiere erleben  wird. «Die Retrospektive zu Pietro Marcello 2021 hat mir gezeigt, welche Kraft Dokumentarfilme haben können», sagt sie. Im Rahmen ihrer Teilnahme am OpeningScenesLab wird sie sich, auch im Hinblick auf ihr nächstes Projekt, mit den wichtigsten Akteuren und Akteurinnen der Dokumentarfilmindustrie austauschen. «Mir schwebt ein Spielfilm vor, der in jedem Moment die Verbindung mit unseren Gefühlen und Wahrnehmungen hält. Ich möchte mit den Menschen, denen ich begegne, über einen möglichen Übergang zum Spielfilm sprechen: Wie kann man eine Geschichte erzählen und gleichzeitig die Aufmerksamkeit des Publikums halten?»

Olivia Calcaterra ist gerade nach Paris gezogen, wo sie auf eine rege Beteiligung an verschiedenen Projekten hofft: «Ich nehme mir ein Jahr Zeit, um mich weiterzubilden und das Kino in der gesamten Bandbreite seiner Möglichkeiten zu erforschen. Mein Ziel ist es, sowohl zu lernen, wie man ein Team leitet, als auch autonom genug zu sein, um einen Dokumentarfilm gegebenenfalls zu zweit zu drehen.»

Visions du Réel

26. April, 18. 00 Uhr (Gaswerk 1)
27. April, 14. 00 Uhr (Gaswerk 1)

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