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Wenn sie unzugänglich bleiben

Kathrin Halter
17. April 2018

Was geschieht, wenn sich Filmende und Gefilmte im Dokumentarfilm fremd sind: Zwei Filme zeigen ein ­schwieriges ­Verhältnis, das in Nyon auch an einem Podium diskutiert wird.

Der Film beginnt mit der Inszenierung einer Selbstdarstellung: In der Bildmitte sitzt eine junge Frau, sorgfältig frisiert und partiell von Scheinwerfern beleuchtet. Umrahmt wird sie von den blauen Flaggen der «Goldene Morgen­röte», griechisch Chrysi Avgi, das ist jene neofaschistische Partei von Griechenland, für die sie einsteht. Sie wirkt abweisend und schlecht gelaunt. Es ist Ourania, die Tochter des Parteichefs, Psychologiestudentin, die 2015 nach der Verhaftung des Vaters vorübergehend seine wortgewandte Stellvertreterin wird.

Das Posieren kontrastiert der norwegische Regisseur Håvard Bustnes mit Alltagsszenen: Ourania mit Schosshündchen oder an Familienzusammenkünften, an Parteiversammlungen, im Gericht oder vor dem Gefängnis, wo verschiedene Exponenten ihrer Partei in Untersuchungshaft sitzen. Dass viele Mitglieder der Partei offen nazistisch auftreten, also rechtsextremes Gedankengut verbreiten und immer wieder Immigranten und politisch Ungenehme attackiert haben, davon will Ourania nichts wissen. Genau so wenig wie die zwei anderen Frauen, die Håvard Bustnes in «Golden Dawn Girls» porträtiert: Dafnis, Ex-Sozialistin und stolze Mutter eines ebenfalls verhafteten (und besonders gewalttätigen) Parlamentariers, sowie Jenny, die Frau desselben. Lieber betonen die Frauen, dass Chrysi Avgi 2012 ins Parlament eingezogen ist und 2015 erneut 17 Parlamentssitze geholt hat. Weshalb sie beim Film überhaupt mitmachen, erklärt Jenny einmal so: Sie wollen als «normale Leute mit Familien» dargestellt werden, nicht als «Dämonen und Monster» wie im griechischen Fernsehen.

Zwischen Versteckspiel und Disputen

Es ist eine grundsätzliche Fragen des Dokumentarfilms: Wie soll man sich Protagonisten filmisch nähern, deren Ansichten man ablehnt, deren Verhalten befremdet? Wie rückt man Figuren zu Leibe, die unzugänglich bleiben oder Fakten verleugnen, wie es die Frauen in «Golden Dawn» teils tun? Wie lässt sich «Andersartigkeit» überhaupt fassen? «Filming Otherness», so lautet der Titel einer Filmreihe und eines Podiums bei Visions du Réel, bei dem man Fragen von Nähe und Distanz, rechtliche und ethische Aspekte des Themas diskutieren will (siehe Box Seite 16).

Eine naheliegende Strategie besteht darin, Schwierigkeiten offen zu benennen, sichtbar zu machen und in die Auseinandersetzung einzubeziehen. Håvard Bustnes tut dies zum Beispiel mithilfe seines Voice-Overs: Im Off spricht er davon, wie schwer es ihm fällt, an die Frauen heranzukommen, hinter ihre Masken zu blicken. Davon geht Bustnes nämlich aus: Dass es sich bei den Frauen eher um Mitläuferinnen denn um überzeugte Neofaschistinnen handelt.

Auch trägt er immer wieder kleine Dispute mit den Frauen aus, die sich ihrerseits missverstanden fühlen, sich über Aussagen ärgern oder nicht gefilmt werden wollen. Da nützen auch Beweismittel wenig: Als Bustnes Jenny einmal mit einem Video konfrontiert, das Parteikollegen dabei zeigt, wie sie Immigranten attackieren und ihre Marktstände umwerfen, verleugnet Jenny die Gewalt einfach.

Als Regisseur, der an der Uneinsichtigkeit und Sturheit der Frauen scheitert, wird Bustnes selber zu einer Figur seines Films. Wie prekär seine Position ist, wie sehr er mit seinen Methoden auch an Grenzen stösst, verdeutlicht eine Szene am Schluss, wo Bustnes Ourania zu einem Geständnis drängt. Sich doch, wenn schon nicht von ihrem Vater, so von seiner Ideologie zu distanzieren: «I hoped, that you can say, I don’t support the Nazis». Und als Jenny, doch etwas unsicher geworden, sanft nachfragt, weshalb sie das tun sollte, antwortet er: «Because I am humanist, I would like to see something positive in you.» «Life is full of choices», sagt sie noch, zuckt die Schultern und zieht mit ihrem Hündchen davon.

Zur Selbstdarstellung von Parteiexponenten taugte der Film natürlich nicht: Wie man aus einem Variety-Interview erfährt, waren diese so unzufrieden mit «Golden Dawn Girls», dass die Premiere am Documentary Film Festival Amsterdam nur unter Sicherheitsauflagen über die Bühne ging.

Die eigene Familie

Viel persönlicher sind die Konflikte, die Felipe Monroy in «Los fantasmas del caribe» mit seinen Protagonisten austrägt. Es ist nämlich seine eigene Familie. In seinem dritten Dokumentarfilm sucht der 35-jährige Kolumbianer, der seit vielen Jahren in Genf lebt und 2013 an der HEAD den Film-Bachelor gemacht hat, seine Eltern und die Schwester in Bogotá auf, die er seit 10 Jahren nicht mehr gesehen hat. Es sind fremd Gewordene oder fremd Gebliebene, genau wie das Land, das er 2007 verlassen hat. Dort will er sich mit den Gespenstern der Vergangenheit konfrontieren, wie er einmal sagt. Und, wer weiss, sich mit der eigenen Geschichte versöhnen. Es ist eine Geschichte, die viel mit der Gewalt zu tun hat, unter der Kolumbien seit 50 Jahren leidet, die Gewalt der Drogenmafia, des Staates, der Paramilitärs und der Guerilla.

Monroy begleitet seine Mutter auf ihrem langen Weg zu den reichen Kundinnen, die sich von der Manicure behandeln lassen; die Kamera folgt den hoffnungslosen Disputen zwischen Mutter und Sohn, die sich politisch immer wieder überwerfen und sich dann in der kleinen Wohnung doch wieder näher kommen. Der Vater wiederum führt im Film wie ein Guide durch das Quartier, wo er früher einmal, abhängig von Crack und während Jahren obdachlos, herumgezogen ist; Monroy begleitet ihn zum Arzt, einmal wäscht er ihn zärtlich. So kommen die Reste einer verschütteten, von Gewalt verdunkelten Kindheit zum Vorschein – die religiöse Mutter hat ihre Kinder einst geschlagen, der Vater war sowieso meist abwesend.

Die Phasen von Annäherung und Ab­­stossung, die Differenzen und Nähe zwischen Eltern und Filmemacher, man kennt sie aus anderen Filmen, die sich mit Autobiografien auseinandersetzen. Was «Los fantasmas del caribe» von den meisten unterscheidet, ist das Ausmass an Versehrtheit. Monroy erzählt parallel dazu aber auch vom Versöhnungsprozess, den sich das Land unter dem Präsidenten Juan Manuel Santos verschrieben hat. Und von Rückschlägen: So ist Monroy mit der Familie auf der Strasse unterwegs, als im September 2016 das negative Ergebnis beim Referendum zum Friedensvertrag zwischen FARC und der Regierung bekanntgegeben wird.

Noch viel stärker als Håvard Bustnes agiert Monroy also gleichzeitig als Protagonist und Autor seines Films. Diese Doppelrolle zeigt sich auch in einem Widerspruch: Während Monroy im Zusammensein mit seinen Eltern oft schweigt und verletzlich wirkt, findet er im Voice-Over gewissermassen zur Sprache zurück: Dort erinnert er sich, ordnet und interpretiert.

Von Bogotá nach Genf

Diesen Kommentar, erzählt Monroy am Telefon, habe er erst nach dem Schnitt verfasst, während einer erneuten Rückkehr nach Kolumbien. Dort sei ihm auch klar geworden, dass er sich weder in der Schweiz noch in Kolumbien je daheim fühlen werde. Den filmischen Prozess beschreibt er wie eine Art Therapie mit ungewissem Ausgang. Es sei sehr schmerzlich, «très douloureux», für ihn gewesen, diese Geschichte zu erzählen; ohne die zeitliche Distanz von zehn Jahren hätte er den Film nie machen können. Am schwierigsten war es für ihn, die Familiengeschichte mit der Geschichte des Landes zu verbinden – und damit auch die Geschichte jener Generation zu erzählen, die wie er in den Achtzigerjahren aufgewachsen ist.

Wie Monroy in die Schweiz gekommen ist, wird im Film nur am Rande erwähnt. Am Telefon erzählt er davon, wie er schon mit vierzehn von zuhause geflüchtet sei, auf der Strasse lebte, DJ wurde und mit zwanzig Schweizer Freunde kennenlernte, die ihn ermutigten, nach Genf zu ziehen und Filmemacher zu werden, ein alter Traum von ihm. Er erzählt auch, wie er auch während seiner Ausbildung an der HEAD vier Jahre lang als Sans-Papier in ständiger Furcht lebte, aufzufliegen. Wie ihm José Michel Buhler half, sein Produzent von Adok Films.

Und, wie ist es jetzt, konnte sich Monroy mit seiner Familie versöhnen? Mit seiner Mutter redet er nicht mehr; die politischen Differenzen sind zu gross. Er könne nicht verstehen, dass jemand, der so arm ist, für jemanden wie Álvaro Uribe stimmen kann. Mit der Schwester hingegen habe er wieder eine enge Beziehung und erst recht mit dem Vater. So eint ein Film, der von Trennungen handelt.

▶ Originaltext: Deutsch

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