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Ein Plädoyer für die künftige Generation

Adrien Kuenzy
07. April 2023

Filmkids bei der Arbeit © Jessy Moravec

Welche Filme braucht es heute für das Publikum von morgen? Die AG Kinderfilm veröffentlichte vor Kurzem einen Bericht, der sich mit dieser Fragestellung befasst und Licht auf bestehende Projekte in der Schweiz wirft.

Trotz der Fülle an Bildschirmen, mit denen Kinder heutzutage aufwachsen, scheint nichts die Gefühle zu ersetzen, die sie bei ihren ersten Kinobesuchen empfinden. Im Gegenteil, in einer Reportage zum dreissigjährigen Bestehen der Zauberlaterne bezeichnete das junge Publikum die vom Filmklub für 6- bis 12-Jährige organisierte Vorführung als ein unersetzliches Erlebnis. Es ist kein Geheimnis, dass der Blick des Publikums von morgen sich heute schärft, und dass dieser Blick durch das verfügbare Angebot geprägt wird. Es geht also darum, den Kindern einerseits die Liebe zum Film zu vermitteln, damit sie der Filmkunst die Aufmerksamkeit schenken, die sie verdient. Und ihnen andererseits die Möglichkeit zu geben, einheimische Produktionen zu entdecken, um schon früh eine Beziehung zum Schweizer Film zu entwickeln.

Obwohl die Schweizer Verbände, Vertriebe und Festivals sich einiges einfallen lassen, um Kindern den Zugang zu hochwertigen Filmen zu ermöglichen, bleibt die Landschaft fragmentiert. Zudem werden in unserem Land zu wenig Filme produziert, die sich spezifisch an das junge Publikum richten. Das geht aus einem Bericht mit dem Titel «Was wir von Europa lernen können» hervor, den die AG Kinderfilm Anfang 2023 veröffentlichte. Der Bericht zieht eine Bilanz über unser Ökosystem und gibt der Branche über zwanzig Empfehlungen ab, um unter anderem die lokale Produktion zu fördern. Gemäss einer Studie von KIDS Regio von 2019 belegt die Schweiz zusammen mit Italien den zweitletzten Rang  bei der Produktion von Langfilmen für Kinder – mit durchschnittlich einem Anteil von zwei Prozent an der gesamten Filmproduktion liegen wir vier Prozent unter dem europäischen Schnitt.

 

Sich von anderen inspirieren lassen

Rund sechzig Gespräche, 800 Arbeitsstunden und ein Budget von 30‘000 Franken waren nötig, um den 80-seitigen Bericht zu erstellen. Er analysiert zunächst den Erfolg der grossen europäischen Kinderfilm-Produktionsländer wie Deutschland, und stellt die Frage in den Raum, ob deren Erfolgsrezepte auch in der Schweiz funktionieren können. «Die nordischen Länder haben komplett andere Systeme. In Dänemark zum Beispiel sind ganze 25 Prozent der Filmfördermittel für Kinder- und Jugendfilme reserviert», so Produzentin Julia Tal, Mitbegründerin der AG Kinderfilm und Mitautorin der Studie. «Belgien kann uns auch als Vorbild dienen, denn das Land weist viele Parallelen zur Schweiz auf und hat 2014 genau eine konkrete Massnahme eingeführt, nämlich dass einer von acht Filmen, die pro Jahr Produktionsförderung erhalten, ein Kinder- oder Familienfilm sein muss. Diese einfache Massnahme bewirkte bereits eine Veränderung in der Filmlandschaft. Frankreich ist auch interessant, dort gibt es eine besondere Verleihförderung für Kinder- und Jugendfilme. Wir lassen uns von all diesen Ländern inspirieren.»

 

Wenig gemeinsame Kräfte

Gemäss der Studie stellen der fragmentierte Schweizer Markt und die Mehrsprachigkeit Hindernisse für die Kinderkultur dar, und die mangelnde Anerkennung in der Branche trägt auch nicht dazu bei, die Produktion von Kinderfilmen anzukurbeln. Als Folge davon spezialisieren sich nur wenige Produktions- und Verleihfirmen darauf. Bei den Animationsfilmen, die sich auch oft an ein junges Publikum richten, «werden Kurzfilme relativ gut gefördert, doch Langfilme werden in der Schweiz noch viel zu wenige produziert», so Monica Stadler, Geschäftsleiterin des Groupement Suisse du Film d’Animation (GSFA).

In Bezug auf die Finanzierung durchlaufen Kinderfilmprojekte den allgemeinen Förderweg. Spezielle Förderprogramme für Kinderfilme gibt es weder auf kantonaler, noch auf Bundesebene. Nichtsdestotrotz werden Filme für ein Publikum unter 16 Jahren im Rahmen der vom Bundesamt für Kultur finanzierten und von MEDIA Desk Schweiz verwalteten MEDIA-Ersatzmassnahmen bevorzugt behandelt. Zudem hat der Kulturfonds von Suissimage 2019 ein Förderprogramm für die Entwicklung von Kinderfilmstoffen für ein Publikum bis 12 Jahre eingerichtet.

 

Empfehlungen als erster Schritt

Dies reicht natürlich  nicht aus für eine umfasssende Förderung, wie es in einigen unserer Nachbarländer geschieht. Wo liegt also das Problem? Während der Gespräche, die im Rahmen der Studie mit Branchenangehörigen und Förderorganisationen geführt wurden, schoben sich alle gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Die Filmschaffenden sehen bei den Kommissionen ein mangelndes Verständnis für Kinderfilme – der Bericht schlägt deshalb entsprechende Schulungen vor. Die Förderinstitutionen hingegen stellen bei den Filmschaffenden mangelndes Interesse an Kinderfilmproduktionen fest. «Solange unsere wichtigsten Branchenverbände dieses Thema nicht prioritär behandeln, wird sich auch bei den Institutionen nicht viel bewegen», so Julia Tal.

Die dringlichste aller vorgebrachten Empfehlungen scheint aus heutiger Sicht die wirkungsvolle Vernetzung aller betroffenen Akteure und Akteurinnen, um eine koordinierte und gezielte Lobbyarbeit zu ermöglichen. Gemäss Urs Fitze, seit Mai 2022 Präsident von cineducation.ch, «müssen wir regelmässig zusammenkommen, um konkrete Massnahmen zu beschliessen, mit dem Hauptziel, uns für die Schaffung einer spezifischen Förderung für Kinderfilme einzusetzen. Dieser Bericht hat die Diskussion auf jeden Fall in Gang gebracht.» Die Empfehlungen, die sich an die gesamte Branche richten, enthalten viele Anregungen für die nächsten Jahre. Zu den kurzfristigen Massnahmen gehören solche zur Produktionsförderung, insbesondere die Einführung von entsprechenden Lehrveranstaltungen an den Filmhochschulen und Weiterbildungsangebote für Filmschaffende. Zudem wird vorgeschlagen, Kinderfilmprojekten bei der Beurteilung von minoritären Koproduktionen Pluspunkte zu geben. Zu den mittelfristigen Massnahmen gehört eine gebündelte Herstellungsförderung (zusammengesetzt aus dem BAK, regionalen Förderungen, dem Schweizer Fernsehen und anderen Förderstellen), um den Finanzierungsprozess zu beschleunigen. Da in solchen Projekten oft Kinderdarsteller mitwirken, die im Wachstum sind und deshalb ihre Rolle nicht erst Jahre später spielen können, ist Zeit hier ein entscheidender Faktor.

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