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Ein neues Sprungbrett für Ideen

Pascaline Sordet
03. Januar 2020

Das Migros-Kulturprozent ist Hauptpartner der Sektion «À l'atelier». © module+

Das Migros-Kulturprozent vereint seine Filmförderung in einem neuen Projekt – dem «Migros-Kulturprozent Story Lab».

 

Es gibt eine bisher wenig genutzte Methode, um gegen unbewusste Vorurteile, überbewertete Namen und Vetternwirtschaft vorzugehen: Anonymisierung. Im universitären Umfeld wird dieser Grundsatz schon lange angewandt. An den rechtswissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten Bern, Freiburg und Neuenburg sowie an der Fakultät für Biologie der Universität Lausanne werden Prüfungsarbeiten anonymisiert, und die Ethikkommission der Universität Genf ist der Meinung, «dass Anonymität die gerechte Behandlung aller Studentinnen und Studenten gewährleistet.» Im Bereich der Filmförderung verfügt das französische Centre National du Cinéma (CNC) über einen vollständig anonymisierten Innovationsfonds für audiovisuelle Projekte. Die Idee ist einfach: Ein Projekt ohne Namen kann nur aufgrund seiner inhaltlichen Qualität bewertet werden.

Diesen Weg hat auch das Migros-Kulturprozent gewählt für die Bearbeitung der Anträge, die ab 2021 beim Story Lab, dem neuen Förderinstrument für audiovisuelle narrative Projekte, eingehen. Nach einer formalen Überprüfung werden die Dossiers anonymisiert und der Jury übermittelt. «Wir sind gespannt, ob die Projekte dadurch diverser werden», meint Nadine Adler Spiegel, Leiterin des «Migros-Kulturprozent Story Lab». Alle ausgewählten Projekte erhalten einen finanziellen Beitrag von 7ʼ000 bis 25ʼ000 Franken sowie ein Coaching oder eine Beratung, je nach Bedarf. Die Jury besteht aus Expertinnen und Experten aus Dänemark, Österreich und der Schweiz, darunter mehrere Filmschaffende und eine Psychologin. Zweimal jährlich finden Austauschveranstaltungen in Form von Workshops und Masterclasses statt. Kommuniziert werden weder die Gesamtsumme, die dem Story Lab zur Verfügung steht, noch die Anzahl Projekte, die jährlich gefördert werden. Begründung: Das Migros-Kulturprozent sei eine private Förderinstitution. 

 

Ideen von Beginn an fördern

Das Migros-Kulturprozent führt seit vielen Jahren verschiedene Filmförderprogramme durch, insbesondere für Ideenentwicklung und Postproduktion sowie im Bereich Dokumentarfilmproduktion. Die Programme wurden jedoch per Ende 2020 eingestellt. Die seit zehn Jahren stetig ausgebaute Ideenförderung – zuerst ohne, dann mit Mentoring – diente als Grundstein für das Story Lab, das nunmehr einzige Fördertool beim Migros-Kulturprozent, das sich an die audiovisuelle Branche richtet. «Wir haben die bestehende Förderlandschaft analysiert und uns mit Akteuren der Branche wie Focal, Swiss Films, dem BAK, den regionalen Förderfonds und Vertreterinnen und Vertretern der Verbände ausgetauscht. Dabei wurde klar, dass viele Projekte zu schnell in Produktion gehen, obwohl sie eine längere Entwicklungsphase verdient hätten», sagt die Leiterin und betont, das Projekt sei mit der und für die Filmbranche entwickelt worden.

AutorInnen, RegisseurInnen sowie ProduzentInnen – auch solche mit wenig Erfahrung – können Projekte im Anfangsstadium einreichen: «Bei Spielfilmen geht es um das Verfassen eines Treatments, bei Dokumentarfilmen ums Erstellen eines Dossiers. Doch wir sind auch anderen Formaten gegenüber offen, wo die Form nicht so klar definiert ist», so Nadine Adler Spiegel, denn das Story Lab fördert alle audiovisuellen narrativen Formate, nicht nur Filme.

Bei Story Lab können auch Ideen für Serien, XR- und Cross-Media-Projekte sowie Games eingereicht werden: «Uns ist bewusst, dass es erst wenig finanzielle Hilfen zur Produktion solcher Formate gibt, doch wir sind der Meinung, dass wir mit der Unterstützung in der Entwicklungsphase einen wertvollen Beitrag leisten können. Dies tun wir nicht, weil es cool oder trendy ist, sondern weil es wichtig ist, bereits in der Entwicklungsphase darüber nachzudenken, welches Format für die Geschichte, die man erzählen möchte, am geeignetsten ist.» Nadine Adler Spiegel versichert, dass die Art des Projekts zum Zeitpunkt der Einreichung nicht genau definiert werden muss, damit sich dieses im Zuge der Recherchen und der Weiterentwicklung noch wandeln kann.

Im Zentrum der Überlegungen steht die Frage, wie man das Publikum am besten erreichen kann: «Wenn das Zielpublikum nicht ins Kino geht, muss ich es anderswo suchen.» Das dürfe nicht mit Marketing verwechselt werden, so Adler Spiegel. Es gehe nicht nur darum, wie man ein fertiges Projekt am besten verkauft, sondern vielmehr darum, ein Publikum zu schaffen und wie ein «Impact Producer» zu denken – eine Rolle, die aktivistischen Dokumentarfilmen an der Grenze zwischen Meinungsbildung und Storytelling zu einer möglichst grossen sozial­politischen Wirkung verhelfen will.

 

Zwei neue Schwerpunkte

Weshalb wird ein gut funktionierendes Fördertool wie der CH-Dokfilm-Wettbewerb eingestellt, aus dem Filme wie «Zum Beispiel Suberg» von Simon Baumann oder «L’île aux oiseaux» von Sergio da Costa und Maya Kosa hervorgegangen sind? Das Migros-Kulturprozent hat seine Kulturförderung neu ausgerichtet und konzentriert sich auf zwei Schwerpunkte: «Wir möchten zugleich ‹Enablers und ‹Drivers sein» , erklärt Nadine Adler Spiegel. Die erste Rolle zeigt sich beim Story Lab für audiovisuelle Produktionen oder bei m2act im Bereich Theater. Die zweite Funktion (des Drivers) hat zum Ziel, «dem kulturellen Leben Impulse zu geben» und einen sektorenübergreifenden Ansatz zu fördern.

In diesem Sinne wurde das gesamte Fördersystem mit seinen Ausschreibungen und Förderanträgen überarbeitet, um primär keine spezifische Disziplin zu fördern, sondern vielmehr interdisziplinäre Praktiken und Innovation. Darum geht es auch bei den drei Förderschwerpunkten Kulturelle Ko-Kreation, Next Generation und Neue Perspektiven. Filmschaffende können auch in diesen Bereichen Projekte einreichen. Das Migros-Kulturproduzent sieht sich selbst als Förderinstitution, die auch im audiovisu­ellen Sektor ihre eigenen Projekte initiiert, so wie in anderen Sparten das Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich oder die ­Festivals m4music und Steps.

 

Alle Informationen gibt es ab 22. Januar 2021 auf der Website storylab.migros-kulturprozent.ch

▶  Originaltext: Französisch

Neue Sektion «Im Atelier» der Solothurner Filmtage

«Im Atelier» stellt den filmischen Schaffensprozess ins Zentrum des Interesses. Die erste Ausgabe im Jahr 2021 findet online statt.

 

Lancierung des Migros-Kulturprozent Story Lab

Die Filmemacherin Petra Volpe gibt eine Masterclass und gewährt im Werkstattgespräch «Es braucht ein Dorf, um ein Drehbuch zu schreiben» Einblicke in ihren Schaffensprozess. 

Freitag, 22. Januar, 11 bis 12 Uhr, online. Deutsch mit Simultanübersetzung

 

First Cut Lab Switzerland

Das europäische Programm macht Halt in der Schweiz und bietet zwei oder drei Spielfilmen in der Schnittphase die Möglichkeit eines kreativen Workshops mit Cutterin Agnieszka Glinska und Cutter Catalin Cristutiu.

 

Eurodoc Local Workshop

Zehn Schweizer Dokumentarfilmprojekte nehmen in zwei Gruppen an einem mehrtägigen Workshop mit internationalen Expertinnen und Experten teil.

 

Women behind the Camera and the Sound on Set

Der vom SWAN organisierte Match-Making-Event für Schweizer Filmtechnikerinnen (Kamerafrauen, Tonmeisterinnen, Kamera- und Tonassistentinnen, Licht- und Aufnahmetechnikerinnen) umfasst Einzelgespräche sowie eine Masterclass mit der französischen Kamerafrau Sophie Maintigneux («Quel chemin avez-vous pris ? Racontez-moi votre histoire»). 

Montag, 25. Januar, 10 bis 15.30 Uhr, online. Französisch mit Simultanübersetzung 

 

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