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Spezialisten für das Extreme


17. Juni 2016

Das Wetter ist garstig, in Genf bläst die Bise, doch Yanick Gentil scheint das nicht zu kümmern. Sein Blick ist unstet, wie verfolgt von den Bildern an Expeditionen, die er erlebt hat und die ihn noch erwarten. Doch seine unnahbare Erscheinung täuscht, sein Verhalten ist herzlich und scheu zugleich. Er ist einverstanden, mich vor seiner Abreise nach Polynesien noch zu treffen. Kaum vorstellbar, dass sich hinter dieser Person ein waghalsiger Abenteurer verbirgt.

Yanick und sein Bruder Cédric Gentil sind Spezialisten für audiovisuelle Arbeiten unter widrigen Umständen, wie sie selber zu sagen pflegen. Sie stammen aus La Chaux-de-Fonds, verliessen die Stadt aber schon früh auf der Suche nach Abenteuern. Die beiden Brüder lebten lang zusammen und teilen eine Leidenschaft, die im Laufe der Jahre zu ihrem Beruf geworden ist. Ursprünglich wies nichts darauf hin, dass die beiden Neuenburger einmal Profis für Dreharbeiten in Extremsituationen werden und für die Wochenzeitschrift Hebdo zu den 100 wichtigsten Persönlichkeiten der Westschweiz («100 personnalités qui font la Suisse romande») zählen würden. Von Cousteaus Reportagen begeistert, reisten sie mit 18 Jahren nach Ägypten, wo sie an Bord eines Katamarans Touristen zu Tauchgängen begleiteten. Zahlreiche Reisen, unter anderem eine Afrikadurchquerung, schweissten die Brüder zusammen. «Inzwischen ist alles einfacher geworden, wir verstehen uns ohne Worte und wissen, was möglich ist und was nicht», sagt Yanick, und fügt bei: «Seit wir 17 Jahre alt sind, reisen wir ununterbrochen und haben irgendwann die Idee gehabt, dass wir unsere Abenteuer in Bilder fassen könnten. So begannen wir zu filmen und wurden immer professioneller». Und so veränderte sich ihr Leben.

Die Kamera wurde zum unverzichtbaren Werkzeug, das ihre Reisen dokumentierte,  ihnen aber auch ermöglichte, sich finanziell über Wasser zu halten. «Wir beschlossen, unsere Expeditionen zu filmen und davon zu leben», sagt Yanick. Der Entschluss zwingt sie, alle Details ihrer Reportagen hinsichtlich Bild und Ton sorgfältig zu planen. Yanick erklärt, dass es heute dank neuester Aufnahmetechniken einfacher ist, unter extremen Bedingungen zu filmen: «Seitdem die Canon 5D auf dem Markt ist, erhält man sogar mit kleinen Apparaten hervorragende Bilder». Keine Filmschule, keine Lehre im Audio­visionsbereich, aber eine unbändige Abenteuerlust und ein grosses Durchhaltevermögen. 

Reisen um die Welt

Alles ist aus Begegnungen entstanden. Die Brüder Gentil lassen sich von einer Art natürlichem Instinkt leiten. Nicolas Hulot, Moderator der französischen Sendung Ushuaia, war einer der ersten, der an sie glaubte und sie ermutigte, mit der Filmarbeit fortzufahren. Eine andere entscheidende Zusammenarbeit ergab sich mit Luc Jacquet und dessen Stiftung Wild-Touch. Daraus entstanden für den Sender Arte ein Langfilm und zwei Dokumentarfilme über Tiere auf dem Land und unter Wasser.

Die Brüder Gentil pflegen einen engen Kontakt zum Fernsehen (RTS, Arte, France 2 sowie zu spezialisierten japanischen und englischen Sendern), das zu einem wichtigen Partner geworden ist. Ihre Produktionsfirma ExplorAction dient ihnen als Schaufenster und Sprungbrett für ihre Reportagen. Die Regionen Yucatán, Madagaskar, die Haie Südafrikas und jüngst auch Papua waren die ersten Reportage­themen. Inzwischen hat die Firma das Produzieren eingestellt. «ExplorAction dient uns heute als Anlaufstelle. Wir sind zu einer Art Bildvermittler geworden». Die Produktion der eigenen Reportagen ist den Brüdern Gentil zu teuer geworden; sie ziehen es vor, externe Produktionsfirmen beizuziehen.

Der abenteuerlichen Projekte sind jedoch noch mehr: Die Gentils arbeiten im Moment an sechs bis zehn Langfilmen und an einem grossen Tauchprojekt mit dem Fotografen und Taucher Laurent Ballesta von Ushuaia nature. Hinzu kommen kleinere klassische Tierfilme für Arte und France 2. Keine Reise ist ihnen zu weit für einen Film: Eben sind Yanick und Cédric von einem dreimonatigen Aufenthalt in der Antarktis zurückgekehrt, wo sie die geheimnisvollen Kaiserpinguine filmten. Und sie waren mit von der Partie bei den Dreh­arbeiten für den Langfilm «Il était une forêt» (Das Geheimnis der Bäume) von Luc Jacquet, der auch «La Marche de l’Empereur» (Die Reise der Pinguine) realisiert hat. «Das Abenteuer im Abenteuer» zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben der Brüder Gentil.

Muriel Del Don

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