MENU Schliessen

«Es geht immer irgendwie. Diese Haltung ist sehr befreiend»

Kathrin Halter
19. Juni 2021

Nicola Ruffo will technologische Produkte ganzheitlicher verstehen, statt nur damit zu arbeiten. © Myleen Hollero

Nicola Ruffo, neuer Direktor von Swiss Films, über seine Arbeit bei Swissnex, über die Arbeitskultur in den USA, eine mögliche Ausweitung des Swiss Films-Auftrags sowie sein Verhältnis zum Schweizer Film.

 

Sie haben zuletzt vier Jahre lang bei Swissnex als «Head of Public Programs» in San Francisco gearbeitet. Beschreiben Sie zwei Schwerpunkte Ihrer dortigen Arbeit.

Meine Hauptaufgabe war die Vernetzung von Schweizer Künstlern, Forschern oder Start-ups mit Unternehmen und Initiativen an der Westküste der USA. Mein letztes Projekt entstand im Rahmen eines Mandats von Pro Helvetia. Bei der grössten Game-Messe der Welt, der Games Developers Conference GDC in San Francisco, waren wir für den Schweizer Auftritt verantwortlich. Durch verschiedene Anlässe ermöglichten wir eine stärkere Vernetzung innerhalb der Industrie und halfen bei der Finanzierung. Solche Austauschprogramme habe ich für verschiedene Kultursparten gemacht. 

Ein zweiter Schwerpunkt war das «New Frontier»-Programm beim Sundance Film Festival für Schweizer Projekte an der Schnittstelle zwischen Film und Extended Reality, wo Technologiefirmen mit Künstlern oder Filmemachern zusammenarbeiten. Da habe ich – mit Swiss Films und dem Konsulat – auch den ersten Schweizer Auftritt der Schweizer Filmszene organisiert. Da waren, neben der US-Filmindustrie, auch das Locarno Film Festival oder das ZFF vertreten. 

 

Haben Sie vor allem mit Schweizer Kreativen gearbeitet, die in den USA leben? 

Die meisten arbeiten und leben in der Schweiz, wenn auch manche von ihnen, wenn sie hier entdeckt werden, in die USA ziehen. Der erste Schritt für Kreative ist immer, Geldgeber oder Verleiher zu finden. Um zwei Erfolgsgeschichten zu nennen: Das Genfer Start-up-Studio Artanim war in Sundance bei «New Frontier» dabei und von einem Teammitglied von Steven Spielbergs Firma Dreamscape Immersive entdeckt worden. Tobias Weber wiederum war mit seinem interaktiven Spielfilm «Late Shift» an der Games Developers Conference – die Definition von «Game» ist da ja relativ breit. Paramount Pictures investierten in die interaktive Technologie, die er für «Late Shift» entwickelt hat und jetzt lebt er in L.A. und arbeitet an weiteren Filmprojekten mit dieser Technologie. Die meisten Kreativen wollen jedoch nicht gleich in die USA ziehen, sie wollen dort vor allem ihr Game veröffentlichen.  

 

Sie waren in San Francisco für Extended Reality, für Games, Kunst und Design zuständig. Gab es in ihrer Arbeit auch Verbindungen zum Film? 

Film im engeren Sinn zählte nicht zu meinen Mandaten. Jedoch gab es in Sundance 360-Grad-Projekte, die in Kinos aufgeführt wurden. Ich war viel an Festivals vertreten, bei Wettbewerben oder an Panels, wo es um Innovation und Film ging. Bei uns waren auch Schweizer Start-ups, die mit Film gearbeitet haben. Largo zum Beispiel hat ein Programm entwickelt, wo ein Algorithmus Vorschläge für  Schnitt-Varianten oder andere Drehbuch-Verläufe anbietet. Einmal kam auch die Regisseurin Anja Kofmehl vorbei, die für ein Drehbuch über die Bedeutung der Technologie in unserer Gesellschaft recherchierte. 

 

Erleben Sie nach der Heimkehr aus San Francisco auch eine Art Kulturschock? Wie unterscheidet sich die Arbeitskultur hier und dort?

Es klingt etwas klischiert, aber ich habe in den USA tatsächlich viel Offenheit und Optimismus erlebt, eine «Ja, aber»-Kultur statt einer Nein-Kultur. Es geht immer irgendwie, wenn nicht so, dann anders… In der Schweiz muss man manchmal aufpassen, nichts falsch zu machen; in den USA geht es eher darum, aus Fehlern zu lernen. Diese Haltung und Vorgehensweise fand ich sehr befreiend, gerade wenn man im Bereich Innovation arbeitet, wo es immer wieder ums Ausprobieren und Experimentieren geht. So entstehen oft neue Ideen und zukunftsgerichtete Lösungen. 

Natürlich gibt es auch viele kritische Entwicklungen, etwa die Beschneidung der Privatsphäre durch die Internet-Giganten oder das Suchtpotential neuer Medien usw. Der Honeymoon des Silicon Valley ist definitiv vorüber. Zugleich interessierte es mich immer schon, all die technologischen Produkte, die hier entwickelt werden und unseren Alltag zunehmend bestimmen, ganzheitlicher zu verstehen, statt nur damit zu arbeiten und der Entwicklung hinterherzurennen. Was ist das für eine Kultur, die all das hervorbringt, was sind das für Leute, was sind ihre Beweggründe? 

 

Swiss Films hat sich bisher weder um Virtual Reality noch um Games gekümmert. Sollen diese Bereiche von der Promotionsagentur neu mitbetreut werden, ist da eine Öffnung denkbar? 

Wir arbeiten hier ja nicht im luftleeren Raum. Unsere Leistungen werden durch Vereinbarungen mit dem Bundesamt für Kultur durch Zielvorgaben definiert. Die Frage ist nun: Wie reagiert man auf neue Entwicklungen in der Filmindustrie? Hier fände ich gut, wenn wir in der Promotion neue Formen des Films oder neue Arten der Distribution möglichst flexibel unterstützen können. Die Sparte Games wird von Pro Helvetia gut abgedeckt. Bezüglich VR gibt es jedoch etliche Festivals wie Venedig, Tribeca oder das GIFF in Genf, die einen Wettbewerb für immersive Filmproduktionen anbieten. Seit diesem Jahr unterstützt Swiss Films im Auftrag des BAK bereits VR-Teilnahmen an ausgewählten Festival-Sektionen. 

 

Was verbindet Sie speziell mit dem Schweizer Film?

Während acht Jahren war ich bei den Winter­thurer Kurzfilmtagen im Vorstand und kuratierte Programme für verschiedene Filmfestivals. Da war ich ziemlich nahe an der jungen Filmszene dran und regelmässig mit den Filmhochschulen im Kontakt. Beim Schweizer Fernsehen habe ich oft über das Schweizer Kulturleben berichtet. Eine Zeitlang habe ich auch für die Sendung «Boxoffice» und dabei auch für die Sendung zum Schweizer Filmpreis gearbeitet. Dennoch würde ich mich nicht als Experten für Schweizer Filme bezeichnen, dafür gibt es bei Swiss Films ja schon ein erfahrenes Team. Und manchmal ist ja auch ein Blick von aussen Gold wert. 

 

Die Filmlandschaft ist im Umbruch, Streaming wird immer wichtiger, Kinos und Verleiher kämpfen teils ums Überleben und die Filmschaffenden stehen irgendwo dazwischen. Haben Sie konkrete Vorstellungen, wie Filmschaffende in diesem Clinch unterstützt werden können? 

Das ist sicher nicht einfach. Was mich verhalten optimistisch stimmt: Der Konkurrenzdruck unter den Streaming-Giganten wie Netflix, Disney, Amazon Prime oder Apple wird immer grösser. Diese investieren bekanntlich auch in lokale Produktionen im europäischen Markt, um hier erfolgreich zu sein. Die Konkurrenz verbessert etwas die Verhandlungsmöglichkeiten der Filmschaffenden. Und durch das Interesse an lokalem Content entstehen neue Finanzierungsmöglichkeiten auch für Schweizer. 

Aber natürlich sind da auch unsere Filmförderinstitutionen gefragt, die auf die Situation reagieren müssen und das Streaming wohl noch mehr berücksichtigen müssen. Der grosse Vorteil der Services ist sicher die Visibilität der Filme, auch wenn damit bisher noch wenig Geld verdient werden kann. 


Kann Swiss Films dabei helfen, Kontakte zu grossen Streaming-Plattformen herzustellen? 

Unbedingt, ja. Swiss Films ist eine Promotionsagentur, soll aber auch beim Vernetzen helfen. Neben den Swiss Films-Ständen an Festival-Märkten möchte ich weitere regelmässige Austauschmöglichkeiten mit potentiellen Partnern schaffen, auch ausserhalb von Festivals. 

Was die Plattformen anbelangt: Man sollte sich nicht auf die Riesen versteifen, es gibt rund 50 mittelgrosse europäische Plattformen, die ebenfalls spannende Partner sein können. 

 

Was war ihr erster spontaner Gedanke, als Sie gehört haben, dass der Bundesrat die Verhandlungen mit der EU über das Rahmenabkommen abbricht?

Allfällige Verhandlungen um eine erneute Teilnahme bei Creative Europe werden sicher nicht einfacher, diplomatisch ausgedrückt (lacht). Aber es ist für mich noch zu früh, um mich dazu zu äussern. 

 

Sie gelten als Experte in digitaler Innovation. Bekommt Swiss Films bald eine neue Website?

Ja! (lacht) Diese ist in Entstehung. Ich wurde bereits in die Weiterentwicklung involviert, das ist sicher eines der ersten Projekte, das wir präsentieren können. 

 

▶  Originaltext: Deutsch

Medienexperte und Netzwerker

Nicola Ruffo wird seine Stelle als Direktor von Swiss Films am 1. Juli antreten. Der 41-jährige Schweizer, ein «international breit vernetzte Medienexperte und ausgewiesener interdisziplinärer Netzwerker im Bereich Film, digitale Medien und Innovation» (Swiss Films), arbeitete zuletzt als Programmleiter bei Swissnex in San Francisco. Swissnex ist eine Initiative des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation und Teil des Aussennetzes des Bundes. 

Davor arbeitete Nicola Ruffo während 15 Jahren beim Schweizer Radio und Fernsehen SRF als Journalist und Innovationsexperte. Von 2016 bis 2018 hat er bei SRF News ein Labor für die Entwicklung von neuen News-Formaten mitaufgebaut und leitete Pilot-Projekte im Rahmen des digitalen Wandels des Unternehmens.

Nicola Ruffo (*1979) wuchs in Zürich auf. Er studierte an der Universität Zürich und an der Freien Universität Berlin Medien- und Filmwissenschaften sowie Internationale Beziehungen. Von 2002 bis 2010 war Ruffo Vorstandsmitglied der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur. 2011 erlangte er zusätzlich einen «MAS in Curating» an der Zürcher Hochschule der Künste. In den Folgejahren initiierte er diverse internationale Ausstellungsprojekte und Publikationen im Bereich zeitgenössischen Kunst und Architektur. 

 

Interessieren Sie sich für den Schweizer Film?

Abonnieren Sie!

Tarife