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Artikel

Im Sog der Kulturpolitik


01. Dezember 2015

Rédacteur en chef adjoint de « Cinébulletin » entre 2010 et 2013, Emmanuel Cuénod revient sur son parcours la tête de la revue.

Emmanuel Cuénod, redaktioneller Co-Leiter der Zeitschrift von 2010 bis 2013, über Kommunikation als Drahtseilakt, die Perso­nalisierung der Filmpolitik und andere lehrreiche Erfahrungen. Abschluss unserer Textreihe «40 Jahre Cinébulletin».

Von Emmanuel Cuénod
 

Als letzter «Abgänger» und letzter der früheren Redaktoren von Cinébulletin weiss ich es zu schätzen, dass ich mich zum Werdegang dieser Zeitschrift äussern kann. Dies, weil ich die Gelegenheit hatte, die Texte meiner Vorgängerinnen und Vorgänger zu lesen, die sich an die Höhen und Tiefen der Schweizer Filmbranche erinnern. Vor allem aber bin ich froh, weil mir bei allen ein gemeinsamer Gesichtspunkt aufgefallen ist: die Schwierigkeit, eine Zeitschrift zu leiten, die widersprüchliche Erwartungen erfüllen muss. 
Sie soll in erster Linie der Kommunikation innerhalb der Audio­visionsbranche dienen, doch diese Branche erscheint so oft in verschiedene Lager gespalten, dass jede Kommunikation zum Drahtseilakt wird. Ein Schritt zu weit nach links, und schon befindet man sich unweigerlich im Sog der Kulturpolitik. Von der Rolle des Beobachters wird man in die eines Handelnden katapultiert, was für einen Journalisten fatal ist. Ein Schritt zu weit nach rechts, und man fällt ins andere Extrem: zu viel Distanz zur Branche, deren Subtilitäten einem dann entgehen. Diese mögen zwar byzantinisch wirken, doch ist es immer gut, sie zu kennen, wenn man die ständige Aufregung verstehen möchte, die die Beziehungen zwischen den verschiedenen Akteuren in dieser seltsamen Berufswelt prägt. 
 

Filmpolitik wird personalisiert 

Einen solchen Dampfer auf so bewegter See zu führen, hat etwas von einer Atlantiküberquerung im Alleingang. Der Vorschlag, die Chefredaktion auf zwei Personen auszudehnen, hatte eine heilsame Wirkung. Und ich muss sagen: Mit Nina Scheu von Anfang an, also ab Oktober 2010, überlegen zu können, welchen Kurs wir mit der Zeitschrift einschlagen wollten, war nicht nur intellektuell bereichernd, sondern wegleitend für alles, was in den folgenden Monaten geschah.
Françoise Deriaz, die für mich die Galionsfigur des Cinébulletins ist, und Nina Scheu, mit der ich so gern zusammenarbeitete, haben in ihren Chroniken zutreffend den Kontext geschildert, in dem Nina und ich in die Chefredaktion gewählt wurden. 
Ich möchte nicht näher darauf eingehen, sondern nur einen Punkt erwähnen: Die andauernde Personalisierung der eidgenössischen Filmpolitik, ihre exzessive Medialisierung und die rüden Beziehungen zwischen den Akteuren der Berufsverbände und der Institutionen in der Zeit, da Nicolas Bideau, Olivier Müller (Leiter der selektiven Filmförderung) und Thierry Spicher (damals Präsident des Ausschusses Spielfilm und Mitglied der Eidgenössischen Filmkommission) für die Sektion Film des Bundesamts für Kultur tätig waren, schufen ein schädliches Klima, das in der gesamten Filmbranche tiefe Spuren hinterliess. 
 

Die Politik mischt sich ein

Cinébulletin wurde voll in den Strudel hineingezogen, weil es auf die unzulässige Einflussnahme der Politik auf die redaktionelle Position der Zeitschrift reagieren musste. Sie ging geschwächt daraus hervor. Nun war es an der Zeit, sie wieder zu stärken, indem wir uns vom Konflikt distanzierten, ohne jedoch dessen Bedeutung und die Auswirkungen auf die Branche zu verschweigen. Es ist bemerkenswert, dass einer der ersten Entscheide der neuen Chefredaktion, noch unter dem wachsamen Auge von Françoise Deriaz, war, Nicolas Bideau ein langes Interview zu gewähren. Darin sollte der zu Präsenz Schweiz wechselnde Kulturchef seine Politik erklären und eine persönliche Bilanz seiner fünfjährigen Tätigkeit im BAK ziehen. Die Redaktionsneulinge bekräftigten die Unabhängigkeit von Cinébulletin, indem sie jenem das Wort gaben, der den Schweizer Film personalisiert hatte und daraufhin zum Prügelknaben der Branche wurde. 
Wir verdanken es der Offenheit und Weitsicht von Françoise Deriaz und Micha Schiwow, der damals Herausgeber der Zeitschrift und Direktor von Swiss Films war, dass sie diesen Entscheid mittrugen, obwohl sie selbst auch schwierige Zeiten durchgemacht hatten. Später versuchten wir mehr oder weniger erfolgreich, diese Linie zu halten. Im breiten Fazilitationsprozess zwischen dem Bundesamt für Kultur und den wichtigsten Berufsorganisationen und Interessengruppen des Schweizer Films gelang es uns zweifellos nicht immer, unsere eigenen Präferenzen für das eine oder andere Förderungssystem ganz zu unterdrücken. Sie sind je nach Artikel da und dort erkennbar, oft auch zwischen den Zeilen. Doch ich kann bestätigen, dass wir allen das Wort gegeben und die Meinung aller respektiert haben. 
 

Die neue Leistungsvereinbarung

Die Neulancierung von Cinébulletin beanspruchte zuerst Nina Scheu und mich, dann ab 2012 ihre Nachfolgerin Kathrin Halter besonders intensiv. Uns war von Anfang an klar, dass wir die neue verlegerische und visuelle Ausrichtung nicht im Alleingang umsetzen wollten. Wir hatten zwar unsere Vorstellungen. Doch was nützen Vorstellungen von einer Branchenzeitschrift, wenn die Leute aus der Branche sie möglicherweise nicht mittragen, ja vielleicht sogar in Bausch und Bogen ablehnen? Deshalb führten wir in der Branche eine gross angelegte Umfrage durch, die zum Sammelbecken aller zukünftigen Änderungen wurde. 
Mir war es ein besonderes Anliegen, die Unabhängigkeit der Zeitschrift zu festigen. Ich konnte dabei auf die wertvolle Unterstützung von Vincent Adatte zählen und erreichte, dass das Produktionszentrum in der Maison des arts du Grütli bleiben konnte. Zuerst stellte uns Swiss Films die Räumlichkeiten zur Verfügung, dann bezogen wir ein eigenes Büro, das von der Stadt Genf subventioniert wird. Zudem versuchte ich in Partnerschaft mit mehreren Westschweizer Medien, dem breiten Publikum die Herausforderungen des Schweizer Films näherzubringen. Wir begannen, Sondernummern herauszugeben, was sich heute erfolgreich etabliert hat. Und last but not least gaben wir dem neuen Cinébulletin einen ersten Schliff.
Die Neuaushandlung der Leistungsvereinbarung zwischen der Zeitschrift und dem Bundesamt für Kultur – sie stand nun unter einem besseren Stern – beschleunigte den Prozess. Dank der gemeinsamen Bemühungen der Chefredaktion, des Trägervereins und der neuen Leitung der Sektion Film verfügten wir endlich über die Mittel, die für die praktische Umsetzung der Branchenvorschläge nötig waren. Gleichzeitig endete meine Zeit in der Redaktion von Cinébulletin: Der unerwartete Rücktritt von Claudia Durgnat stellte das Festival Tous Ecrans vor existenzielle Probleme. Man bat mich, ihre Nachfolge anzutreten, und natürlich nahm ich das Angebot an. Allerdings werde ich immer den fahlen Geschmack des Unvollendeten in mir haben, wenn ich an Cinébulletin zurückdenke. 
 

Eine leidenschaftliche Strapaze

Unter der Leitung des Duos Winnie Covo/Kathrin Halter entwarf der Grafiker Ramon Valle ein Design, das, wie in den Printmedien selten zu finden, Eleganz und Übersichtlichkeit verbindet. Winnie Covo konnte mit ihren Erfahrungen im Webbereich viel zum Internetauftritt der Zeitschrift beitragen. 
Ich weiss aber aus Erfahrung, dass es noch viele Hürden zu nehmen gibt. In Zeiten, da die Finanzierung von Printmedien je länger, je unsicherer ist, eine Publikation am Leben zu erhalten, ist eine grosse Herausforderung. 
Auch der Vorstand von Cinébulletin hat sich entschlossen, sich neu aufzustellen, und es ist noch zu früh, um zu wissen, was dabei herauskommt. 
Ich weiss nur,  dass es für mich eine leidenschaftliche Strapaze und die wohl lehrreichste Erfahrung überhaupt war, wie einst Walter Ruggle, Françoise Deriaz, Michael Sennhauser oder Nina Scheu das Cinébulletin geleitet zu haben. 

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