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«Entdeckungen sind unvorhersehbar»

Pascaline Sordet
02. April 2020

«Picture of Light» (1994) von Peter Mettler.

Anlässlich einer Masterclass bei Visions du Réel spricht Peter Mettler über seine Arbeitsweise: Eine ­forschende Haltung, durch die er wie ein Wissenschaftler Dinge entdeckt, ohne bewusst danach gesucht zu haben.

Ihr nächstes Projekt ist eine Serie. Was interessiert Sie an diesem Format?

Ursprünglich wollte ich «Gambling, Gods and LSD» (2002) als Serie herausbringen. Mir gefallen die Möglichkeiten, die dieses Format bietet, um verschiedene Themen zu strukturieren und die Figuren von Folge zu Folge weiterzuentwickeln. Doch die Finanzierung war schwierig, also entschieden wir uns schliesslich für einen Langfilm. Der Rohschnitt hatte aber mit 55 Stunden die Länge einer Serie.

 

Hängt das viele Rohmaterial mit Ihrer Arbeitsweise zusammen?

Wenn man in die Welt eintaucht, um sie zu erkunden, geht es darum, Beziehungen aufzubauen. Das ist ein ganz anderes Vorgehen, als wenn man einen Thesenfilm mit einem präzisen Dossier dreht. Der Erkundungsprozess und die damit verbundenen Entdeckungen sind unvorhersehbar. Hier liegt der Unterschied zwischen dem wirklichen Leben und einem Dossier, das jemand am Schreibtisch entworfen hat.

 

Wie sah denn das Finanzierungsdossier von «Gambling, Gods and LSD» aus?

Ich hatte intensiv recherchiert, und das Dossier beschrieb die Themen, die mich interess­ierten, sowie den praktischen Ablauf der Reise. Zudem schrieb ich zur Veranschaulichung ein falsches Dokumentar-Drehbuch, wobei ich offen kommunizierte, dass es nicht echt ist. Ich schrieb auf, was ich mir vorstellte, damit die Kommissionen sich ein Bild machen können. Das funktionierte sehr gut, auch weil mein vorhergehender Film «Picture of Light» (1994) auf die gleiche Art entstanden war. So hatte ich einen Beweis dafür, dass meine Vorgehensweise funktioniert. Für «The End of Time» (2012) wählte ich eine ähnliche Methode und erstellte einen zehnminütigen Video-Pitch mit Off-Stimme.

 

Welches ist der schlechteste Rat, den Sie im Finanzierungsprozess je erhalten haben?

Als ich «The Top of his Head» (1989) vorstellte, beschrieb das Dossier den Film sehr genau, doch es glich in keiner Weise einem klassischen Drehbuch. Als Reaktion darauf sagte man mir in Kanada, mit solchen Notizen könne man nichts anfangen, und empfahl mir, ein Handbuch für Drehbuchautoren zu lesen. Dies hätte aber meine ganze Vision des Films zunichte gemacht, also tat ich genau das Gegenteil.

 

Wie gingen Sie bei der Serie vor, an der Sie momentan arbeiten?

Für «Greener Grass» hatten wir ein erstes Dossier vorbereitet, das wir am CPH:DOX vorstellten. Es stiess auf Interesse, doch es kamen immer die gleichen Fragen: Was passiert in der ersten Folge, in der zweiten, in der dritten? Da ich nicht ein Jahr lang recherchieren wollte, begann ich einfach zu drehen. Ich habe meine eigene Ausrüstung, und ein Mäzen stellte mir ein wenig Geld zur Verfügung. Ich arbeite ohne Produzent und ohne Vertrieb. So hoffe ich, einen ersten Entwurf zu erstellen und eine Plattform zu finden, um ihn weiterzu­ent­wickeln und andere Regisseure in das Projekt miteinzubeziehen. Wenn das nicht funktioniert, mache ich einen Langfilm daraus.

 

Wie sehen Sie Ihre eigene Rolle, wenn andere Regisseure an der Serie mitwirken?

Als eine Art Kurator oder Showrunner. Ich würde beim Schnitt mitwirken und wäre für die Kohärenz des Ganzen verantwortlich. Die US-amerikanische Plattform «Field of vision» von Charlotte Cook ist eine der wenigen, die für dieses Projekt geeignet wären. Es ist eine Art Filmarchiv, das von eBay-Gründer Pierre Omydiar unterstützt wird und Regisseure finanziert, die kurze Dokumentarfilme drehen.

 

Ist die Finanzierung solcher explorativer Projekte sei schwieriger geworden?

Es ist schon schwierig, ein Projekt zu finanzieren, das man in einem Drehbuch beschreiben kann. Wenn Sie mit einem explorativen Ansatz arbeiten, finden Sie keine Institution, die Ihr Projekt unterstützt und daran glaubt, dass tatsächlich etwas dabei herauskommt. Ich bin jedoch der Meinung, dass auch Werke, die sich nicht mit aktuellen Problemstellungen befassen, geschaffen werden müssen.

 

Haben Sie schon versucht, Ihre Filme über die Kunstszene zu finanzieren anstatt über die Filmbranche?

Nein, aber ich bin für jeden Tipp dankbar.

 

Sie sind wie ein Wissenschaftler, der im Voraus nicht weiss, welches Ergebnis herauskommt. Erkennen Sie sich in dieser Beschreibung wieder?

Ja, absolut. Als ich am CERN in Genf filmte, sagte mir ein Wissenschaftler, die Grundlagenforschung bestehe aus all dem, was man ausser dem Hauptziel sonst noch entdeckt. Wenn die Suche nach dem Higgs-Teilchen im Zentrum seiner Arbeit steht, so sind alle anderen Entdeckungen, die er im Zuge seiner Forschungsarbeit macht, genauso wichtig für die Wissenschaft. In diesem assoziativen Ansatz erkenne ich mich wieder.

 

Wie erkennen Sie, welche Idee zu Ihrem ­Higgs-Teilchen werden kann?

Für «Picture of light» war es ein sehr konkretes Thema – Polarlichter filmen – das mir den Weg wies. Für «Tectonic Plates» (1992) erforschte ich das geologische Phänomen als Metapher für die Trennung. «Greener Grass» nahm seinen Anfang in einer Begegnung mit einem Jungen. Er führte mich in sein Dorf mitten im Dschungel, das mir wie ein Paradies erschien, und sagte: «Schau mal, wie schrecklich es ist, hier zu leben!» Bei «Petropolis» (2009) lief es ganz anders, es gab nicht einmal ein Konzept. Der Film entstand aus einer Folge von Umständen: Greenpeace suchte jemanden, um Imagebilder zu erstellen, und ich bewarb mich, da ich damals Recherchen über die Atmosphäre betrieb. Im Hubschrauber wies ich den Kameramann an, die Kamera stets laufen zu lassen und den Bildern wie einem Musikstück zu folgen. So erstellten wir während des Flugs eine Choreographie. Als ich die Muster sah, wusste ich, dass ich daraus einen Film machen könnte, und Greenpeace war einverstanden.

 

Das hört sich so an, wie wenn grundsätzlich alles zu einem Filmthema werden kann. Wie orientieren Sie sich?

Ohne Filter ist alles interessant, ich kann irgend etwas filmen. Die Filter führen zu einer Strukturierung der Themen, die beim Schnitt noch einmal verstärkt wird. In «Gambling, Gods and LSD» waren es Transzendenz, Angst vor dem Tod und die Illusion von Sicherheit. Diese konzeptuellen Filter helfen mir zu erkennen, was ich vor mir sehe. Ich überschreite aber auch gerne meine Grenzen, was nicht heisst, dass ich dabei immer etwas Herausragendes entdecke. Im Lauf des Lebens und der künstlerischen Laufbahn stellt man fest, dass man unbewusst immer wieder auf dieselben Stilmittel und Gewohnheiten zurückkommt. Deshalb suche ich nach Filtern, die mich lenken, und nach solchen, die mich öffnen.

 

Welche Rolle spielt die Intuition in diesem Prozess?

Die Intuition ist eine merkwürdige Sache. In «The Top of his Head» (1989) gab es eine klare Trennung zwischen Intellekt und Intuition: Ersterer fand sich beim Storytelling und in der Planung, letztere in den Empfindungen und Erfahrungen. Die Figur bewegte sich zwischen den beiden hin und her. Heute sehe ich das anders: Die Intuition nährt sich aus Erfahrung, es handelt sich dabei nicht um Magie, sondern um eine allmähliche Entwicklung von künstlerischen Stilfiguren und Reaktionen.

 

Improvisation spielt vor allem in Ihrer performativen Arbeit eine wichtige Rolle. Was interessiert Sie an dieser Ausdrucksform?

Ich begann mit sechzehn Klavier zu spielen, und in der Musik gab es diese Dualität von Improvisation und Spiel nach Noten. Ich beneidete die Musiker immer um ihr Improvisationsvermögen. Im Film ist dies viel schwieriger umzusetzen.

 

Klänge sind ein wichtiges Experimentierfeld in Ihrer Arbeit, wie in «Petropolis», wo es praktisch keinen Direktton zu geben scheint.

Das ist ein interessantes Beispiel. Ich habe mit echten Geräuschen der Lastwagen und Bohrungen gearbeitet, doch die meisten Klänge stammen aus meiner Küche: kochendes Wasser, die Kaffeemaschine, alles was an Industriegeräusche erinnert. Ein Teil der klang­lichen Erzählung bestand aus Hubschrauber, Radio, Dampf und Feuer. Die Gesamtwirkung ist die einer Halluzination, die der Realität entspringt.

 

Die Masterclass findet im Rahmen von ­Visions du Réel auf dafilms.com statt.

▶  Originaltext: Französisch

Peter Mettler

wurde 1958 in ­Toron­to als Kind von Schweizer Eltern geboren. Er studierte Filmwissenschaft am Ryerson Polytechnical Institute und arbeitete als Kameramann für Atom Egoyan, Patricia Rozema und Bruce McDonald. 1982 drehte er seinen ersten Langfilm, den Experimentalfilm «Scissere». Sein bekanntestes Werk ist die Dokumentar-Trilogie in Form eines metaphysischen Reisetagebuchs: ­«Picture of Light» (1994), «Gambling, Gods and LSD» (2002) und «The End of Time» (2012). Mit seinem letzten Film «Becoming Animal» (2018) setzte er seine Zusammenarbeit mit der ­Zürcher Produktionsfirma Maximage fort.

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