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Der Standpunkt von Inga Diev, Kanada


25. September 2017

Wie wichtig ist die Nationalität eines Films für Ihre Verkaufsstrategie ?

Der kanadische Film nimmt in meinem Herzen einen besonderen Platz ein. Unsere Firma hat ihren Sitz in Toronto, und so  verfolgen wir die nationale Produktion aus nächster Nähe. Doch weil unsere Reichweite und unser Katalog international sind, betrachten wir jeden Film in seiner Eigenart und prüfen, wie er in den Markt passt. Wichtig sind seine Festivalpräsenz, der Ort seiner Premiere und wie sich seine Karriere weiterentwickelt.

Wie wählen Sie die Kurzfilme aus, die Sie vertreten?

Im Allgemeinen müssen die Titel die folgenden Kriterien erfüllen: englische Sprache, Filmdauer unter 20 Minuten, Komödie, tagsüber vorführbar (keine Gewaltexzesse, keine Nacktszenen). Wenn Sie nun aber diese Kriterien auf einen unserer beiden letztjährigen Oscar-Kandidaten anwenden – «Shok», eine UK/Kosovo-Koproduktion unter der Regie von Jamie Donoughue –, werden Sie sehen, dass dieser Kurzfilm nicht ein einziges Kriterium erfüllt. Wir wissen zwar, was sich besser verkaufen lässt, doch manche Filme, die unsere Kriterien erfüllen, haben wenig Erfolg. Vielleicht weil die Geschichte nicht packend genug ist oder weil das Thema gerade aktuell ist und unsere Käufer bereits ähnliche Inhalte unter Lizenz haben.

Was interessiert Sie am meisten an einem Kurzfilm? Weshalb wählen Sie den einen, den anderen aber nicht ?

Manchmal nehmen wir einen Film in unseren Katalog auf, weil er ein Thema behandelt, das gerade in aller Munde ist und weil es uns ein Anliegen ist, ihn weltweit zu verbreiten. Doch ein wichtiges Auswahlkriterium ist für mich, wenn der Kurzfilm mein Leben ein bisschen beeinflusst, nachdem ich ihn gesehen habe. Dann ist er der richtige für uns.

Die Story ist also nicht massgebend ?

Nicht zwingend. Als Sales Agent stellen wir jeden Kurzfilm in einen grösseren Zusammenhang und überlegen uns, was wir mit ihm machen können, wo er weltweit hineinpasst und ob wir den Verkauf gewährleisten können. Nicht alle Kurzfilme, die an Festivals Erfolg haben, sind auch leicht zu verkaufen, was übrigens auch auf abendfüllende Spielfilme zutrifft.

Wie viele Filme sehen Sie jedes Jahr ?

Viele. In den dichtesten Monaten des Jahres kann es sein, dass unser Team über 200 Titel visioniert.

Und wie viele nehmen Sie unter Vertrag ?

Zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr als 25 pro Jahr. Der Katalog wird sorgfältig bearbeitet. Wir möchten sicherstellen, dass wir die Filme, die wir vertreten, gut kennen – nicht nur die Titel und die Filmdauer.

Wie sind Sie auf den Schweizer Film gekommen?

Die drei Kurzfilme aus der Schweiz, die wir kürzlich in unseren Katalog aufgenommen haben – «Bon Voyage», «In a Nutshell» und «Facing Mecca» –, sind nicht unsere ersten Schweizer Filme. Wir sehen, welch tolle Arbeit Swiss Films leistet. Die Promotionsagentur ist an allen Filmmärkten und Festivals, die wir besuchen, ebenfalls präsent. Wir verfolgen die Festivals in der Schweiz; jene in Winterthur und Locarno wie auch alle anderen A-Festivals weltweit. Und mitunter hilft die Mundpropaganda weiter, beispielsweise bei «Bon Voyage». Ein Regisseur hatte ihn erwähnt, und wir lernten die Produktionsfirma Dschoint Ventschr kennen. Bereits zwei Jahre später arbeiteten wir mit derselben Firma an einem neuen Projekt, das soeben ins Finale der Student Academy Awards eingezogen ist: «Facing Mecca» von Jan-Eric Mack.

Oft hört man, dass die Schweiz starke Dokumentarfilme produziert, im Spielfilmbereich jedoch nicht so überzeugt. Was meinen Sie dazu ?

Keiner der drei Schweizer Kurzfilme, die ich vorher erwähnte, ist ein Dokumentarfilm und doch haben sich alle gut verkauft. Ihre Festivalkarriere ist beachtlich: «Bon Voyage» und «Facing Mecca» haben beide am Oscar-qualifizierenden Palm Springs ShortFest einen Preis gewonnen. «Facing Mecca» gewann dieses Jahr am Palm Springs ShortFest sogar zwei Auszeichnungen. Mit Fabio Friedli, dem Regisseur des kurzen Animationsfilms «In a Nutshell», kann ich nicht mehr Schritt halten, seitdem wir ihn nach seinem Preis am Aspen ShortFest – ebenfalls ein Oscar-qualifizierendes Festival – in unseren Katalog aufgenommen haben. Fabio ist offenbar alle zwei Wochen an einem anderen Festival anzutreffen. Was auch immer die Schweizer Filmbranche mit den Kurzfilmen vorhat: Sie sollte dranbleiben und sich dabei selber auf die Schulter klopfen.

Wann steigen Sie bei einem Film an Bord? Wann sollten  Filmschaffende und Produzenten Sie kontaktieren ?

Was mit «Bon Voyage» geschah, ist äussert selten. Wir treten fast nie schon im Drehbuchstadium auf. Dieser Kurzfilm war eine Ausnahme, weil wir zuvor bereits mit dem Regisseur Marc Raymond Wilkins zusammengearbeitet hatten. In der Regel bekommen wir mit den Filmemachern und Produzentinnen Kontakt, sobald sie wissen, wann und an welchem Festival die Premiere stattfinden wird. Wir schauen uns den Film gerne schon vorher an, um eine Vorstellung von seiner Festivalkarriere zu gewinnen und eine dazu passende Verkaufsstrategie zu entwickeln.

Weshalb finden Sie es wichtig, Kurzfilme zu unterstützen ?

Man soll Jungtalente und die Vielfalt der Stimmen fördern, hört man allenthalben. Beim Kurzfilm kann man auf einfache und direkte Weise genau das tun. Kurzfilme sind selten grosse Studioprojekte. Hier trifft man oft auf Leute, die allen Widerständen zum Trotz einen Film gemacht haben, weil sie der Welt etwas Wichtiges zu sagen haben. Diesen Filmschaffenden dabei zu helfen, ihre Werke über die  Festivalkreise hinaus sichtbar und bekannt zu machen, ist wichtig.

Kommt es oft vor, dass sich eine Verleihfirma auf Kurzfilme konzentriert ?

Das ist sehr selten, insbesondere wenn sie nur dies tut. Diese Welt ist klein. Die Sales Agents in Frankreich, Irland oder in den Niederlanden, die Kurzfilme in ihren Katalogen haben, mögen zwar unsere Konkurrenten sein, doch unser Sektor ist ein bisschen wie eine Familie. Es besteht eine Marktnische, und wir hatten das Glück, den Trend zu erkennen. Die Medienlandschaft wandelt sich, und die Kurzfilme könnten sich im Aufwind befinden. Ich glaube, der Markt wird immer häufiger nach Kurzfilmen verlangen.

Welchen Einfluss haben die VoD-Plattformen auf Ihren Verleih, und inwiefern bilden sie ein Gegengewicht zu den Fernsehverkäufen ?

Es hängt vom Gebiet ab. In Europa sind die Fernseheinkäufer immer noch unsere wichtigsten Kunden. Abgesehen davon sind die Kurzfilme von Ouat Media unter vielen anderen Plattformen auch auf iTunes, Amazon, Sony PlayStation, Fandor, The New Yorker: The Screening Room zu sehen. Letztes Jahr streckten wir in einem europäischen Land unsere Fühler in Richtung Netflix aus und traten ausserdem in Kontakt mit einer spannenden Streaming-Plattform in China, die sich ausschliesslich dem Kurzfilm widmet. Unsere Kurzfilme stehen auch bei mehreren Fluggesellschaften für ein Streaming zur Verfügung. Inflight Entertainment ist eines der am schnellsten wachsenden Segmente im Moment. Nicht alle Kurzfilme eignen sich für das Fernsehen, deshalb ist es toll, wenn sich für diese Filme neue Kanäle auftun.

Wann ist ein Kurzfilm erfolgreich ?

Aus der Sicht eines Sales Agents ist ein Film erfolgreich, wenn er sich gut verkauft. Doch im engeren Sinn würde ich schon von Erfolg sprechen, wenn ein Film an Festivals und an Märkten Aufmerksamkeit erregt und er als Sprungbrett für ein nächstes Ziel dient. Das Ziel kann ein Spielfilm, ein weiterer Kurzfilm oder der Aufbau eines Kontakts mit einer Streaming-Plattform oder einem Fernsehsender sein.

Das Gespräch führte  Pascaline Sordet

 

Inga Diev ist Geschäfts­leiterin von Ouat Media, eines kanadischen Verleihs, der sich auf Kurzfilme speziali­siert hat. Ihr Katalog zählt schon dreizehn Oscar-nominierte Kurzfilme, darunter der Schweizer Film «Bon Voyage». Bevor sie zu Ouat Media stiess, hatte sie Filmproduktion und Filmgestaltung studiert und war dann über zehn Jahre als Produzentin und Programmgestalterin tätig, namentlich fürs Fernsehen. Sie wirkt auch im Vorstand des  Canadian Filmmakers’ Distribution Centre, dem wichtigsten Verleih für unabhängige Filme des Lands.

«Facing Mekka» von Jan-Eric Mack wird an den ­Winterthurer Kurzfilmtagen seine Première haben.

 

  Originaltext: Englisch

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