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Artikel

Das zweite Leben der Filme auf den Plattformen


25. September 2017

VoD wird immer wichtiger, das Angebot an Plattformen ist unübersichtlich gross. Welche Anbieter sind für Schweizer Filme interessant? Und lässt sich damit überhaupt Geld verdienen? Wir haben bei Produzenten, Filmschaffenden und Vermittlern nachgefragt.

Von Kathrin Halter

«Die göttliche Ordnung» ist jetzt online. Seit dem 7. September, rund acht Monate nach der Kinopremiere, wird Petra Volpes Tragikomödie auch bei Swisscom (Teleclub on Demand) als «Vorpremiere» angeboten; weitere Plattformen folgen. Die Miete für 48 Stunden beträgt 15 Franken, ein Kauf 19.90. Die DVD-Auswertung des Films beginnt etwas später.

Wie erfolgreich das VoD-Geschäft sein wird und wieviel Petra Volpe dereinst selbst daran verdienen wird, weiss jetzt noch niemand. Schlecht dürften die Zahlen nicht sein: Filme, die im Kino sehr gut laufen, haben auch auf VoD-Plattformen gute Chancen, das zeigen Erfahrungen.

Video on Demand löst die DVD ab, darin sind sich Fachleute einig. Deren Verkauf geht stark zurück, überproportional stark sogar in der Schweiz, während der Anteil von VoD kontinulierlich wächst. Ob sich VoD so negativ auf die Anzahl Kinoeintritte auswirkt, wie manche mutmassen, ist umstritten. «Film wandert aus Kinos ins Internet ab», schreibt zum Beispiel Filmbulletin in seiner letzten Ausgabe.
 

Der Fall «Yalom's Cure»

Sicher nimmt der Online-Filmkonsum weiter zu, das belegen die Zahlen zum Jahr 2016 vom Schweizerischen Video Verband SVV: «Die Umsätze mit digitalen Online-Abrufen, bestehend aus ‹Transactional Video-on-Demand› und ‹Electronic Sell-Through›, stiegen um 9.9 % auf CHF 79,5 Mio., nach CHF 72,4 Mio. im Jahr zuvor – und dies ohne Berücksichtigung von Subscription Video-on-Demand Abo-Angeboten. Seit Beginn der Datenerhebung im digitalen Geschäft 2011 hat sich dieser Umsatz mehr als verdreifacht.»

Trotzdem zahlt sich eine Auswertung auf VoD noch lange nicht für alle aus, vor allem nicht kurzfristig und manchmal auch dann nicht, wenn der Film im Kino erfolgreich war. Das zeigt sich zum Beispiel bei «Yalom’s Cure» von Sabine Gisiger, ein international erfolgreicher Titel mit weltweit über 150’000 Kinoeintritten in Ländern wie Deutschland, Frankreich, USA, Spanien, Griechenland, Israel oder Japan. Rechteinhaber für die Schweiz ist die Filmcoopi, die die exklusive Lizenz ihrerseits über den Zwischenhändler Impuls Home Entertainment bewirtschaftet. Hierzulande gestreamt wurde der Film rund 2’000 Mal, gekauft zirka 800 Mal. Geld aus Downloads hat Sabine Gisiger bis heute dennoch keines erhalten, obwohl die Rückflüsse beachtlich und stetig sind. Wie lässt sich das erklären? In ihrem speziellen Fall auch damit, dass der Film zu einem grossen Teil von privaten Investoren finanziert wurde, die zuerst ausbezahlt werden müssen. 

Der weltweite Release von «Yalom’s Cure» steht zum Teil jedoch erst noch an; der Weltvertrieb Autlook in Wien hat den Film in viele Länder verkauft, immer mit exklusiven VoD-Rechten. So bleibt Hoffnung, dass auch die Regisseurin an der digitalen Auswertung noch verdienen wird.

Anfrage beim Produzenten Philip Delaquis («Das Kollektiv»). Was müsste sich seiner Meinung nach ändern, damit VoD für Autoren und Produzenten attraktiver wird? «Das Problem liegt bei Anbietern wie Netflix oder Amazon, die ein unheimlich starkes Angebot für monatlich unter 15 Franken machen, mit einer sehr grossen Auswahl an qualitativ hochstehenden Filmen. Wenn eine VoD-Miete für 48 Stunden 6 Franken kostet, ist das vergleichsweise teuer. Unterbietet man aber als Anbieter diesen Preis, ist es ökonomisch nicht mehr interessant. DAS ist das Problem der Zukunft. Chancen haben dann noch Nischenprodukte, Special-Interest-Angebote wie ‹Yalom’s Cure›, wo jemand ganz genau diesen Film auf einer Suchmaschine sucht. Wenn man dann die SEO (Suchmaschinen-Optimierung) über Jahre gut betrieben hat, einen Evergreen-Titel besitzt und moderne Technologie verwendet, dann hat man eine Chance.»

Viel Erfahrung mit der Auswertung von Filmen über VoD hat Stefan Eggler von Impuls Home Entertainment; als sogenannter ­Aggregator lizensiert, vermittelt und bereitet die Firma Filme im Auftrag von Rechteinhabern auf. Wann beginnt ein Film zu rentieren, der für 3 bis 4.50 Franken (ältere Filme) respektive ab 6 Franken (bei Neuheiten) zur Miete angeboten wird? Laut Eggler liegt die Grenze bei 1’000 Einzelmieten (Pay-per-View); Verkäufe (EST) bringen generell mehr ein, da der Verkaufspreis auch höher ist. 

Marktführer in der Schweiz ist Swisscom-TV, gefolgt von iTunes, UPC (die frühere Cablecom) und Homedia. Danach werde es schon schwieriger, obwohl es in der Schweiz noch einige kleinere Anbieter gibt. Im Übrigen, so Eggler, kann die Produktion und der Vertrieb einer Blu-ray oder DVD um das Fünffache mehr kosten als die Aufbereitung eines Films für VoD. Dass sich Flatrate-Angebote aktueller Filme für Rechteinhaber am wenigsten lohnen, das sieht auch Eggler so. Insgesamt sei VoD meist ein Geschäft mit Blockbustern, wenn es auch Dokumentarfilme gibt, die sich durchaus lohnen; für kleine Arthausfilme sei es aber schwierig.
 

Vier Argumente für VoD

Optimistischer schätzt Joël Jent das Potential von VoD ein. Jent ist Produzent bei Dschoint Ventschr, hat rund 80 Prozent des Filmkatalogs aufbereitet und bietet die Titel zudem auf der eigenen Website, aber auch auf vielen weiteren Plattformen an (siehe dazu auch das nachfolgende Interview). In der Branche wird Jent deshalb öfters zur Beratung beigezogen – auch von Swiss Films.

Joël Jent nennt mindestens vier Gründe, weshalb er auf VoD setzt und den Pessimisten widerspricht. Erstens verdränge VoD nicht Filme aus den Kinos, wie man immer wieder hört, sondern ersetzt DVDs: «Die Verkäufe nehmen in der Schweiz jeden Monat um grosso modo 10 Prozent ab, allerdings wächst der VoD-Markt nicht gleich, wie der DVD-Umsatz zurückgeht. Da gab es zuerst eine Euphorie, die nicht ganz gerechtfertigt war; auch ich hatte grössere Erwartungen. Aber der Markt wächst trotzdem kontinuierlich.»

Zweitens geht es dabei immer um die bestmögliche Verfügbarkeit der Filme – ein Schlüsselargument schon aus kulturellen Gründen und nicht nur für VoD-Optimisten. Drittens biete sich die Möglichkeit, einen globalen Markt zu bewirtschaften und damit ein potentiell viel grösseres Publikum zu erreichen, auch wenn die Konkurrenz ungleich grösser wird, wenn alle Filme überall verfügbar werden. Deshalb empfiehlt Jent, viertens, auf möglichst vielen Plattformen gleichzeitig präsent zu sein, so wie er es mit den Filmen von Dschoint Ventschr praktiziert: «Das ist der Schlüssel: möglichst breit zu fahren, falls man Möglichkeit, Zeit und Mittel dazu hat.»
 

Eine Liste bietet Überblick

Soeben hat Swiss Films gemeinsam mit dem BAK einen «VoD Support» lanciert, um den Vertrieb von Schweizer Lang- und Kurzfilmen auf internationalen VoD-Plattformen zu stärken (Details siehe Box). Selina Willemse, Leiterin der Abteilung Festivals und Märkte bei der Promotionsagentur, war an der Entwicklung beteiligt; gemeinsam mit Marcel Müller berät sie seit längerem Produzenten beim Vertrieb und der Auswahl von internationalen Plattformen. Laut Willemse werden dort weltweit noch viel zu wenig Schweizer Filme angeboten; mit der Massnahme will Swiss Films die Verfügbarkeit von Schweizer Filmen auf internationalen Plattformen erhöhen und dabei auch mehr über ihr Marktpotential erfahren.

Laufend entstehen neue Plattformen und ältere verschwinden; was heute angesagt ist, kann morgen out sein oder von der Bildfläche verschwinden. Orientierung und Inspiration im dynamischen Markt bietet die Liste mit 70 internationalen VoD-Plattformen des «VoD-Supports». Da finden sich neben bekannteren Independent-Plattformen wie MUBI, Pantaflix oder RealEyz auch weniger bekannte Namen wie Feelmakers, die sich auf Kurzfilme spezialisiert haben oder Festivalplattformen wie Doc Alliance. Beim Stöbern durch die Seiten wird schnell ersichtlich, was die Nischenanbieter und Nerds den Grossen voraushaben: Grösseres Filmwissen, Kennertum und Ästhetik, also schön gestaltete Seiten wie originelle – vor allem originellere – Listen als die übliche Unterteilung in Genres, «Spannung» oder «Unterhaltung». Manche sind richtige Fundgruben für Cinéphile.

Aber, nochmals, lässt sich mit Schweizer Filmen auf solchen Plattformen überhaupt Geld verdienen? Welche Vorteile entschädigen für Nachsicht bei geringen Rückflüssen? Und wie unterscheiden sich die Big Five unter den VoD-Anbietern – Amazon, Google Play, iTunes (Apple), Netflix und Microsoft – diesbezüglich von kleineren Plattformen?
 

Was von den Einnahmen übrig bleibt

Ein Problem bei den Majors sind die hohen Fixkosten, sagt Joël Jent. So bleiben ungefähr 40 Prozent der Einnahmen bei der Plattform und weitere 25 bis 30 Prozent gehen an die Aggregatoren, die verschiedene Produzenten zusammen vertreten und an die man sich zwingend wenden muss, um bei Amazon & Co. Filme anbieten zu können; grosse Plattformen handeln mit kleinen Produzenten keine Verträge aus. Hinzu kommt die Aufbereitung durch zertifizierte, vergleichsweise teure Labors, was weitere 800 bis 1000 Franken pro Film kostet. Der Rest der Erlöse geht an die Produzenten. Wieviel am Ende dieser Kette noch für Regie und Drehbuch übrigbleibt, hängt wiederum davon ab, was im Vertrag zwischen Produzent(in) und Autor(in) vereinbart wurde; in der Regel sind es zwischen 10 bis 15 Prozent vom Nettogewinn, und dies erst, nachdem die Aufbereitungskosten des Filmes wieder eingespielt worden sind. Bei Dschoint Ventschr schwanken die Erträge je nach Film und Plattform zwischen 50 und 15’000 Franken pro Jahr. Besonders ältere Titel sind oft nicht rentabel.

Trotzdem betrachtet Jent eine Zusammenarbeit mit den Grossen als «Investition in die Zukunft», weil die Filme so international breiter verfügbar sind. Er hat auch schon sehr gute Erfahrungen gemacht, ausgezeichnet lief zum Beispiel «Jan, Reifeprüfung am Netz» (von Benjamin Kempf Siemens, und Rafael Benito). iTunes hat den Dokumentarfilm über einen jungen Schweizer Tennisspieler in der Woche von Wimbledon auf die Hauptseite des Dokumentarfilms gepusht. Beeinflussen kann man solche Promotionsbemühungen aber kaum. Immerhin kann man versuchen, via Aggregator an Apple zu gelangen und Vorschläge zu unterbreiten.
 

Kleine Plattformen sind transparenter

Auch deshalb arbeitet Jent lieber mit kleineren Plattformen wie Vimeo oder Pantaflix mit ihren alternativen Geschäftsmodellen zusammen. Die Plattformen sind auch deshalb Rechteinhaber-freundlich, weil man jederzeit sieht, wie viele Mieten oder Verkäufe in welchen Ländern getätigt worden sind, weil man Zugriff auf alle Daten hat und entsprechend reagieren kann. So verrechnet Pantaflix 25 Prozent pro Ausleihe, 75 Prozent fliessen zu den Rechteinhabern. Auch sei der Promotionsaufwand gross, kuratierte Listen werden von Pantaflix selbst beworben. Bei Vimeo erhält der Rechteinhaber gar 90 Prozent der Einnahmen. Auch mit ihnen kann man persönlich Kontakt aufnehmen.

Das Handling dieser Plattformen ist relativ einfach: Territorien lassen sich selbst kon­trollieren, einzelne Länder einfach ein- oder ausschalten (dasselbe gilt für Pantaflix). Gute Erfahrungen hat Jent auch mit RealEyz gemacht, die Filme würden alle angeschaut, es gibt Kuratierungen und einen interessanten Katalog mit vielen europäischen Filmen.
 

Ohne Marketing verloren

Die erwähnten Beispiele machen es deutlich: Ohne gezielte Bewerbung gehen Filme in der Flut des Angebots unter. Jent sagt es so: «Wer es nicht schafft, sichtbar zu werden, verschwindet im digitalen Nirwana.»

Beim Marketing kann auch Swiss Films weiterhelfen. Ein Schlüsselwort lautet thematische Programmierung, das Schnüren von Päckchen also respektive von «Packages»; ein anderer wichtiger Faktor ist der Kontext, in dem ein Film angeboten wird. So gab es letztes Jahr anlässlich des Filmfestivals Locarno eine Partnerschaft von Swiss Films mit MUBI, als «Köpek» (von Esen Isik) und «Above and Below» (von Nicolas Steiner) im Rahmen von Pano­rama Swiss liefen und kurz darauf auf der Plattform gezeigt wurden. Die Produktionsfirma Maximage hat dafür einen schönen Betrag erhalten. Auch Andrea Staka hat mit MUBI gute Erfahrungen gemacht: Ihre Filme «Cure» und «Das Fräulein» liefen 2015 während des Filmfestivals Locarno auf der Plattform; beide Filme seien recht gut gelaufen, und gewiss sei es gut, Filme während eines Festivals zu platzieren. 

Ein weiteres Beispiel: An RealEyz (wichtig im deutschsprachigen Raum) hat Swiss Films mehrere Dokumentarfilme aus der Schweiz vermittelt, die am DOK Leipzig liefen. Hinzu kommen die Kollektionen von Schweizer Filmen, so genannte Swiss-Films-Channels, die meist durch die Promotionsagentur vermittelt werden.

Auch die Verschlagwortung eines Films, das sogenannte «Tagging», ist laut Willemse ganz wichtig, wie auch ein Bewusstsein dafür, wofür sich die Zielgruppe des Films interessiere. Bei «Vimeo Professional» zum Beispiel kann man solche Schlagworte selber eingeben; auch iTunes bietet die Möglichkeit an. Für das ganze so genannte «Digital online ready package» gibt es natürlich auch spezialisierte Agenturen, die wissen, was im Online-Marketing zählt und wie man die Filme am besten auf Facebook, Twitter oder Instagram bewirbt.

Und wie geht es nun eigentlich mit «Yalom’s Cure» weiter? Für Sabine Gisiger liegt das Problem in erster Linie bei Lücken im Urheberrecht. Tatsächlich versucht die Filmbranche seit längerem, VoD-Plattformen ins Urheberrecht einzubinden. Und es gibt weitere politische Vorstösse, die Filmschaffenden helfen sollten: So sollen Swisscom und die anderen grossen Internetprovider wie UPC oder Sunrise zu einer Abgabe verpflichtet werden; die Idee wurde von der GARP beim diesjährigen Dîner politique am Filmfestival Locarno propagiert. Die Diskussion ist nicht neu, das Lobyying hat gerade angefangen.

 

«VOD Support», eine neue Unterstützungs­massnahme für Schweizer Produzent­Innen, wird von Swiss Films in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Kultur umgesetzt. Grundlage ist eine Liste mit internationalen VoD-Anbietern; national ausgerichtete Plattformen wie Teleclub von Swisscom, MyPrime von UPC, ­HollyStar oder artfilm.ch sind daher nicht aufgeführt. Die Liste umfasst 18 weltweit tätige Plattformen, darunter Majors wie Amazon, ­Google Play, Itunes, Netflix und Youtube, 24 Plattformen aus Europa, fünf Festivalplattformen, drei weitere speziell für Kurzfilme sowie neun aus Asien, Südamerika, Aftrika und aus dem Nahen Osten. Mit dem Support soll die Sichtbarkeit und Verfügbarkeit von Schweizer Filmen auf internationalen VoD-Plattformen erhöht sowie finanzielle Rückflüsse an die Schweizer Filmproduzenten ermöglicht werden. Die Vergabe erfolgt gemäss «Praktische Hinweise zur Unterstützung des Vertriebs von Schweizer Filmen auf internationalen VOD-Plattformen» (das Booklet findet sich auf der Website von Swiss Films).

Unterstützungsbeiträge gibt es für die Untertitelung eines Films (bis 600 Franken), das Online-Marketing (bis 1’000 Franken) sowie für die Encodierung eines Films (bis 400 Franken pro Film). 

 

  Originaltext: Deutsch

Teil 2 zu VoD folgt in der Novemberausgabe von Cinébulletin und beschäftigt sich mit der Urheberrechtsfrage und der Forderung nach einer Besteuerung der Internetprovider.

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