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Nachruf auf die Dramaturgin Sabine Pochhamer

Micha Lewinsky
18. September 2023

Sabine Pochhammer ist am 26. August gestorben. Der Nachruf von Regisseur Micha Lewinsky.

Sabine Pochhammer ist nach schwerer Krankheit gestorben. Der Schweizer Film verliert mit ihr eine geschätzte Dramaturgin, Lehrerin und Autorin.

Das erste Mal habe ich Sabine vor über zwanzig Jahren getroffen, in einem Kongresshotel etwas ausserhalb Berlins. Das von der Focal mit-unterstützte Stoffentwicklungsprogramm «Step by Step» hatte mich damals als blutigen Anfänger aufgenommen. Sabine wurde mir als Dramaturgin zugeteilt. Ich wusste nicht, was mich erwartet. Vermutlich hoffte ich zu hören, mein Treatment sei bereits genial und bedürfe keiner weiteren Arbeit. Aber so leicht hat sie es keinem gemacht.
Statt zu bewerten, hat Sabine gefragt: Worum geht es dir? Was steht auf dem Spiel? Was ist das Thema? Was hat das mit dir zu tun? Es waren Fragen, wie sie jeder Autor, jede Autorin, immer wieder beantworten muss. Sabine hat zugehört, sie hat verschmitzt gelächelt und den Kopf geschüttelt, wenn ich denkfaul versucht habe, einem Problem auszuweichen.
Ihre Fragen haben mir geholfen, schärfer nachzudenken und zu erkunden, was selbst vermeintlich einfache Geschichten in der Tiefe mit mir selbst zu tun haben. Sabine war eine strenge, aber liebevolle Denkerin. Für menschliche Abgründe hatte sie immer viel Verständnis. Noch gut erinnere ich mich an ihre diebische Freude, als sie eine Szene von «Happyness» analysierte. Der pädophile Protagonist versucht darin, einem Jungen heimlich Schlaftabletten zu verabreichen. Das Drehbuch ist so gestrickt, dass man als Publikum ekelhafterweise zu hoffen beginnt, dass das Vorhaben gelingen möge. Für solch düstere Bösartigkeit war Sabine zu begeistern. Aber auch für zarte Wärme.

Ich habe mit ihrer Unterstützung viele Feiglinge geschrieben. Wenn ich aber selber feige wurde und mich vor der Wahrheit drücken wollte, hat sie den Kopf geschüttelt. 

Über die Jahre hat Sabine viele meiner Projekte dramaturgisch begleitet. Und auch vielen anderen Schweizer Kollegen und Kolleginnen hat sie geholfen. Sie hat angefangen, selber Drehbücher zu schreiben. Ihr Debüt, «Die Herbstzeitlosen» von Bettina Oberli, wurde zu einem Riesenerfolg.

Aus unserer Arbeitsbeziehung wurde über die Jahre eine Freundschaft. 

Sabine hat seltener gefragt, wie es meinen Figuren geht, dafür öfter, wie es mir geht. Es war eine Frage, vor der ich mich manchmal gefürchtet habe. Denn ich wusste: Mit einem lapidaren «alles gut», lässt sie mich nicht vom Haken. Sabine wollte es wirklich wissen.

Billy Wilder soll sich, wenn er vor einem Drehbuchproblem stand, jeweils gefragt haben: «How would Lubitsch do it?» 
Viele von uns werden in Zukunft wohl denken: «Was hätte Sabine gefragt?»

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