Willi Egloff
03. Mai 2022
1989 erliess die EU, die damals noch Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG hiess, eine Richtlinie, die eine Quotenregelung für Fernsehprogramme einführte. Rund 30 Prozent der Programme sollten mit europäischen Werken bestückt werden, und 10 Prozent der Sendezeit mussten für Programme reserviert sein, die von fernsehunabhängigen europäischen Firmen produziert worden waren. Damit wollte die EWG der europäischen Filmproduktion unter die Arme greifen, welche sich aufgrund der angelsächsischen Dominanz in vielen Mitgliedsländern in einer ernsthaften Krise befand.
Die relativ offene Formulierung hat zur Folge, dass in den einzelnen Ländern der EU recht unterschiedliche Regelungen gelten. In Italien ist es eine Investitionspflicht von 20 Prozent, in Deutschland eine Abgabe von 2,5 Prozent, in Frankreich eine Kombination von beidem im Betrag von insgesamt 28 Prozent. Österreich gehört zu den Ländern, die noch keine definitive Regelung eingeführt haben. Immerhin besteht überall die Pflicht, dass wenigstens 30 Prozent des Angebots auf audiovisuellen Plattformen aus europäischen Werken bestehen muss.
Offenbar bereitet diese Neuerung den betroffenen Plattformen keinerlei Kopfzerbrechen, und sie wehren sich auch nicht gegen die vorgesehenen Auflagen. Da sie in der Schweiz weitgehend die gleichen Angebote bereithalten wie in den Nachbarländern, müssen sie die Verpflichtung zur Vielfalt ohnehin schon erfüllen. Und schon die blosse Diskussion darüber, dass es auch in der Schweiz eine Investitionspflicht geben soll, hat bei Netflix oder Disney+ dazu geführt, dass sie erste Schweizer Filme angekauft und ins Angebot aufgenommen haben. So war etwa der Spielfilm «Wolkenbruchs wundersame Reise in die Arme einer Schickse» bei Netflix zu sehen und wurde dort schon über 10 Millionen mal abgerufen.
Die Opposition kommt daher von anderer Seite. Insbesondere Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz, reist mit grossem Pathos durch die Lande und warnt vor der Einführung einer «Filmsteuer» und dem «Betrug an Konsumentinnen und Konsumenten». Schon die verwendeten Begriffe müssen stutzig machen. Denn eine Investitionsverpflichtung hat mit einer Steuer nichts zu tun. Die Plattformen müssen kein Geld abliefern, sondern erwerben durch Investitionen in die von ihnen ausgewählten Schweizer Filme Ausstrahlungsrechte, die sie uneingeschränkt kommerziell nutzen können. Nur wenn sie der gesetzlichen Pflicht nicht nachkommen, müssen sie eine Ersatzabgabe, also eine Art Busse, leisten; aber auch eine Ersatzabgabe ist keine Steuer.
Inwiefern Konsumentinnen und Konsumenten durch ein vielfältigeres Angebot betrogen werden könnten, ist schlicht nicht nachvollziehbar. Sie können ja nach wie vor genau die Filme schauen, die sie wollen, und weiterhin alle andern ignorieren.
Auch die vom Referendumskomitee immer wieder erhobene Behauptung, die Schweizer Filmproduktion werde schon heute mit jährlich 120 Millionen Franken unterstützt, trifft bei näherer Betrachtung nicht zu. Die Gegnerinnen und Gegner der Vorlage rechnen dabei die rund 42 Millionen Franken ein, welche die SRG im jährlichen Durchschnitt für Schweizer Produktionen und den Erwerb von Filmrechten ausgibt. Das ist aber keine Filmförderung, sondern die unternehmerische Tätigkeit des Programmveranstalters SRG, welcher audiovisuelle Werke zur Bestückung und Profilierung seiner Programme herstellen lässt. Die tatsächliche Subventionierung des Schweizer Films durch Bund, Kantone und regionale Förderungen beläuft sich auf jährlich 78 Millionen Franken. Das ist im internationalen Vergleich und angesichts der Mehrsprachigkeit der Schweiz ein durchaus bescheidener Betrag.
Als Gegner der Vorlage hat sich auch der Verband Telesuisse geoutet, in dem die 13 konzessionierten regionalen Fernsehveranstalter organisiert sind. Von diesen ist kein einziger von der neuen Regelung betroffen, weil diese Sender nämlich gar keine Filme zeigen und den in der Verordnung vorgesehen Mindestumsatz nicht erreichen. Trotzdem sprechen sie von einem «Filmverbot», von dem sie betroffen seien. Dieses soll darin bestehen, dass sie vielleicht in Zukunft gerne Filme zeigen würden, dies aber nicht tun könnten, weil sie dann allenfalls von dieser Investitionspflicht betroffen wären, die für sie untragbar sei. Diese doch recht komplizierte Begründung ist vor allem unter dem Aspekt interessant, dass sämtliche dieser 13 Regionalsender vom Bund über Gebührenanteile aus der Medienabgabe subventioniert werden. Sie sind also gerne bereit, schweizerische Fördergelder zu kassieren, wollen diese aber ausschliesslich in audiovisuelle Produkte aus dem Ausland investieren. Das ist schon ein recht merkwürdiges Verständnis von regionalem Service public.
Während der Unterschriftensammlung hatten die Gegnerinnen und Gegner vor allem mit der Behauptung für ihre Sache geworben, dass durch die Investitionspflicht die Abopreise für die betroffenen Plattformen steigen würden. Auch dieses Argument ist schwer nachzuvollziehen. Zum einen stösst es sich an der Realität, denn die beiden Länder mit den höchsten Reinvestitionspflichten, Frankreich und Italien, haben bei Netflix und Disney+ deutlich tiefere Abonnementspreise als die Schweiz, die noch keine solche Pflicht kennt. Zum andern ist auch nicht ersichtlich, inwiefern sich die Kostenstruktur der Streaming-Plattformen ändern sollte, weil sie einen Teil ihrer Einnahmen in der Schweiz anstatt wie bisher im Ausland reinvestieren müssen. Umgekehrt ist natürlich klar, dass sich höhere Einnahmen auch in höheren Reinvestitionen in der Schweiz niederschlagen würden, was genau dem Zweck der Gesetzesrevision entsprechen würde.
Fazit: Ob mit einer Reinvestitionspflicht und einer Quotenregelung für das Angebot auf den audiovisuellen Plattformen die Vielfalt für das Heimkino wächst, wird sich zeigen müssen. Sicher ist, dass damit wenigstens ein kleiner Teil des in der Schweiz generierten Einnahmen im Lande verbleibt. Ebenso sicher ist, dass das Angebot auf den Plattformen weiterhin von der grossen US-Filmindustrie dominiert sein wird.
Dass sich bei dieser Neuregelung auch für die Schweizer Filmproduktion neue Geschäftsmöglichkeiten ergeben, ist wahrscheinlich. Darum sollte ein solcher Versuch gemacht werden. Risiken sind damit nicht verbunden. Denn wenn Risiken gäbe, müssten die Gegnerinnen und Gegner nicht mit so hilflosen und zum Teil offensichtlich falschen Argumenten hantieren.
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