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Julie Sando: «Ich hatte viele Fragen zu meiner doppelter Identität»

Anna Simonetti
22. April 2022

Julie Sando mit «Baba», ihrer Großmama

Die schweizerisch-japanische Regisseurin hat mit ihrem Film «Fuku Nashi» den Preis der Jury des Nationalen Wettbewerbs sowie den Zonta-Preis bei Visions du Réel gewonnen. Wir trafen sie beim Festival in Nyon, kurz vor der Bekanntgabe der Ergebnisse.

Der Titel «Fuku Nashi» (im Hiragana-Alphabet, einer der drei japanischen Schriften: ふくなし), wurde von der japanisch-schweizerischen Regisseurin Julie Sando bewusst nicht ins Französische übersetzt. Während des Interviews erklärt sie, dass im Japanischen mehrere Bedeutungen möglich sind und dass sie es vorzieht, die Interpretation der Wörter offen zu lassen. Dieser hybride Titel passt auch zu einem der prägnanten Themen des Films: die kulturelle und rassische Verschiedenheit. Der Film erzählt uns die Geschichte von Yukie, die nach mehreren Jahren auf der Suche nach ihrer Identität nach Japan in das Haus von «Baba», ihrer Großmutter Shigeko, zurückkehrt. Die anfängliche Distanz zwischen ihnen verringert sich allmählich, zwischen dem Flüstern des Fernsehers und dem verlassenen Garten.

Julie wurde als Tochter eines japanischen Vaters und einer Schweizer Mutter geboren und wuchs im Kanton Waadt auf. Dank ihrer multikulturellen Identität hat sie das Glück, eine freie Erziehung zu erfahren. Sie erklärt: «Je nachdem, in welchem Umfeld du lebst, kann es auch kompliziert sein. Ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, in dem es sehr wenige Rassisten gab, also lernst du den Begriff Rassismus nicht kennen, obwohl du trotzdem ein Opfer davon bist.»  Julie lehnt schließlich ihre beiden Kulturen, die schweizerische und die japanische, ab. Das war der Moment, in dem «Fuku Nashi» vor sieben Jahren zu keimen begann: «Damals verstand ich nicht genau, warum ich dieses dringende Bedürfnis hatte, einen Film zu machen und zu meiner Großmutter nach Japan zurückzukehren. Jetzt, im Nachhinein, ist es klar. Ich hatte viele Fragen in Bezug auf meine doppelte Identität». So hat Julie mehrere Jahre lang Shigeko Sando aufgespürt. Eine lange und schwierige Identitätssuche, die auf der Leinwand friedlich und diskret erscheint, dank einer Form von Distanz und vor allem dank einem grossen Respekt zwischen Julie und Shigeko. «Zum ersten Mal sind wir uns wirklich begegnet.» Julie erzählt uns, wie die Kamera zwischen ihr und Shigeko vermittelt hat: «Am Anfang hat mir dieses Instrument auch geholfen, mich nicht in mich selbst zu verschließen und bot einen Vorwand, mich meiner Grossmutter zu nähern. Aber ich habe auch immer versucht, unsere Beziehung im wirklichen Leben zu privilegieren.» Wann wird einem bei der Entstehung eines so intimen und wichtigen Films klar, dass man aufhören muss? Julie meint: «Gibt es keine extern gesetzten Fristen, hört man nie auf, denn man ist ja nie ganz zufrieden.»

Doppelter Hut

«Fuku Nashi» wurde von JoY Films produziert, einem Verein, der von der Regisseurin und der Künstlerin, Schauspielerin und Regisseurin Julie-Yara Atz gegründet wurde. Als es später um die Finanzierung der Postproduktion ging, schloss sich die Genfer Haute école d'art et de design dem Projekt an. JoY Films entstand übrigens zu dem Zeitpunkt, als Julie und Yara im dritten Studienjahr waren und entschieden, ihr Abschlussprojekt selbst zu produzieren. Dank diesem eigenen Verein konnten sie weitere Finanzierungen einwerben. Heute, im Alter von 29 Jahren, arbeitet Julie bereits an ihrem nächsten Film.

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