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Alice Burgin: «Unser Ziel ist es, einen überschaubaren Markt zu behalten»

Die Fragen stellte Alexandre Ducommun
25. März 2024

Die neue Leiterin von Visions du Réel-Industry spricht über ihre Vision und ihre Ziele für die nächste Ausgabe des Festivals in Nyon. Im Mittelpunkt des Programms für die Fachleute wird in diesem Jahr das Gleichgewicht zwischen Dauerhaftigkeit und Innovation der Formate stehen. 

Wie sehen Sie, wenige Wochen vor dem Festival, die diesjährige Ausgabe von VdR-Industry?

Wichtig ist es, anzuerkennen, dass sich die Branche in den letzten Jahren, insbesondere seit der Corona-Pandemie, stark verändert hat. Als Ausgleich dazu scheint es mir wesentlich, unsererseits für Stabilität zu sorgen und auf der Fortführung unserer bereits etablierten Formate zu bestehen. Das bedeutet, dass wir unsere Schwerpunkt-Veranstaltungen, die aus der Pitching-Session der 15 ausgewählten Projekte und dem «Work in Progress» bestehen, beibehalten. Letzterer umfasst in diesem Jahr sechs Projekte. Die Rundtischgespräche sowie die individuellen Treffen wird es ebenfalls wieder geben. Auch besteht die enge Zusammenarbeit mit unseren Partnern weiter. Mit Swiss Films beispielsweise, die sechs Vorpremieren von Schweizer Filmen präsentieren, stellen wir sicher, dass unsere Veranstaltungen strukturell und inhaltlich nachhaltig sind. Die Stammgäste des Festivals werden somit ihre gewohnte Umgebung wiederfinden.

 

Und welche neuen Elemente werden in dieser Ausgabe eingeführt?

In meinem ersten Jahr möchte ich ein spezielles Thema oder einen Fokus einführen, der direkt mit den aktuellen Anliegen der Industrie verbunden ist. Dabei geht es um Filmfinanzierung, sowohl in der Schweiz als auch international. Die finanziellen Beziehungen zwischen Streaming-Plattformen und öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern befinden sich in einem tiefgreifenden Wandel. Die Herausforderung besteht darin, Lösungen für finanziellen Lücken zu finden. Wir arbeiten an der Schaffung eines Programms innerhalb der Industrie, das es den Teilnehmern und Teilnehmerinnen ermöglichen soll, den Zugang zu bestimmten Finanzierungsmöglichkeiten zu erleichtern, von denen sie vielleicht noch nie gehört haben oder mit denen sie noch nie in Berührung gekommen sind. Wir freuen uns auf die Erweiterung der Begegnungsmöglichkeiten in diesem Bereich und hoffen, dass sich dadurch neue Perspektiven für die Produktionen auf dem Markt eröffnen. In diesem Jahr organisieren wir Begegnungen für rund 60 Projektträger und Geldgeber.

 

Wie erleichtern Sie Begegnungen zwischen Produzenten und Produzentinnen und potenziellen Geldgebern, um diesen Austausch zu fördern?

Zunächst einmal organisieren wir für die eingereichten und ausgewählten Projekte persönliche Treffen zwischen den Projektteams und den potenziellen Käufern. Die Auswahl erfolgt auf der Grundlage ihrer Finanzpläne und der Suchkriterien der Käufer und Käuferinnen. Zweitens bieten wir den Projekten, die nicht ausgewählt wurden oder sich nicht beworben haben, aber trotzdem am Markt teilnehmen möchten, über eine Networking-Plattform vollen Zugang zu den Kontakten der verschiedenen Akteure. So können sie während des gesamten Festivals Termine nach ihrer Verfügbarkeit planen. Unser Ziel ist es, den Markt überschaubar zu halten, um den Austausch zu begünstigen. So kann man an einer Netzwerk-Veranstaltung teilnehmen und sich anschliessend zu einem Abendessen treffen, neue Leute kennenlernen, Visitenkarten austauschen, Termine vereinbaren und Interaktionen über die geplanten Zeiten hinaus haben.

 

Österreich und Deutschland werden bei dieser Ausgabe des VdR-Industry im Mittelpunkt stehen und damit die Koproduktionsmöglichkeiten des DACH-Marktes beleuchten. Können Sie uns mehr über dieses Treffen erzählen?

Wir legen den Schwerpunkt auf diese beiden Länder, da sie interessante Möglichkeiten für Koproduktionen mit der Schweiz bieten. Wir haben daher drei Deutschschweizer Produktionsfirmen ausgewählt, um uns mit Delegationen aus Österreich und Deutschland zu treffen und Fallstudien zu prüfen. Unser Ziel ist es, diesen Delegationen ein besseres Verständnis dafür zu vermitteln, wie sie mit Schweizer Produktionen zusammenarbeiten können, indem sie die geografische und sprachliche Nähe nutzen. Für diese Treffen arbeiten wir mit Austrian Films und German Films zusammen.

 

Sie haben für das Melbourne International Film Festival sowie für Produktionsfirmen gearbeitet und auch die Australian International Documentary Conference geleitet. Wie beeinflusst diese Erfahrung in verschiedenen Bereichen der Industrie Ihre Sicht auf den VdR-Industry?

Fast drei Jahre lang für eine Produktionsfirma zu arbeiten, hat meine Sichtweise auf den Entstehungsprozess eines Films verändert und mich viel empathischer gegenüber den tatsächlichen Bedürfnissen der Filmteams gemacht. Als Festival kann man die Teilnahme der Produktionsfirmen an den Märkten manchmal als selbstverständlich ansehen, aber man darf nicht vergessen, was das für sie bedeutet. Jetzt konzentriere ich mich mehr darauf, sicherzustellen, dass ihre Erfahrung so vorteilhaft wie möglich ist. Man muss ihre Anwesenheit feiern und ein zugängliches und einladendes Umfeld gewährleisten, das die Menschen über die rein geschäftlichen Veranstaltungen hinaus zusammenhält. Dadurch wird die Hierarchie zwischen allen Teilnehmenden durchbrochen.

 

In den Beschreibungen der verschiedenen Programme des VdR-Industry taucht mehrfach der Begriff «Projekt mit internationalem Potenzial» auf. Was bedeutet dies für Sie?

Der internationale Aspekt kann für verschiedene Personen unterschiedliche Dinge bedeuten. Durch die Teilnahme an internationalen Festivals, den Austausch mit Produktionsfirmen oder auch nur durch das Anschauen von Filmen entwickeln wir ein gewisses Gespür dafür, was die Fachleute suchen. Ein Projekt aus einem Land kann international in einem anderen Land funktionieren und in einem dritten nicht. Wir sprechen nicht von einem Projekt mit weltweitem oder globalem Potenzial, sondern überlegen vielmehr, für welchen Markt und in welchem Land ein Projekt am geeignetsten erscheint. Und natürlich sind wir in Gesprächen mit den Käufer und Käuferinnen, die Interesse zeigen. Die Diskussion geht in beide Richtungen. Wir können uns nie sicher sein, ob ein Projekt erfolgreich sein wird oder nicht, deshalb kreuzen wir die uns zur Verfügung stehenden Informationen, um sie bestmöglich zu nutzen. Ansonsten sind wir auf gute Ideen, gute Drehbuchentwürfe und hoffentlich auch auf Innovation angewiesen.  

 

 

Visions du Réel Industry

In diesem Jahr wurden insgesamt 29 Projekte für die vier Kategorien VdR–Pitching, VdR–Work In Progress, VdR–Rough Cut Lab und VdR–Development Lab ausgewählt. Bei den Showcase- und Pitching-Veranstaltungen werden 15 in der Entwicklung befindliche Projekte im Rahmen von VdR– Pitching sowie sechs kurz vor Abschluss stehende Projekte bei VdR–Work In Progress vorgestellt. Für das VdR–Rough Cut Lab und für das VdR–Development Lab wurden jeweils 4 Projekte ausgewählt.

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