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«Online-Anbieter sind daran interessiert, in europäische Filme zu investieren»

Das Gespräch führte Kathrin Halter
21. Juni 2019

Ivo Kummer (Bild © BAK)

Filmchef Ivo Kummer über die Investitionspflicht für Online-Anbieter, den freien Zugang zu Schweizer Filmen, die Digitalisierung des Filmerbes – und was er von einer Schweizerfilm-Quote hält.

 

Was sind im Entwurf der Kulturbotschaft 2021-2024 die wichtigsten Neuerungen, die den Film betreffen?

Die neue Kulturbotschaft konsolidiert vieles, da wird nicht alles umgepflügt. Die drei in der jetzigen Botschaft definierten «strategischen Handlungsachsen» der Kultur­politik – kulturelle Teilhabe, gesellschaftlicher Zusammenhang sowie Kreation und Innovation – gelten weiterhin. Der Film hat, rein finanziell gesehen, bereits 2016 von einer Erhöhung um 30 Millionen Franken profitiert. Am bisherigen finanziellen Rahmen – beantragt werden 211,4 Millionen Franken für den Film – ändert sich nichts. Zugleich gibt es viele Anpassungen im Filmgesetz. Die wichtigsten Änderungen betreffen die Auswertung im Online-Bereich.

 

Sie haben es bereits Anfang Jahr angekündigt: Neu müssten auch internationale Streamingdienste wie Netflix oder Amazon vier Prozent ihrer hierzulande generierten Einnahmen in Schweizer Produktionen investieren.

Ja, wobei es sich dabei nicht um eine Steuer, sondern um eine Investitionspflicht handelt. Die Anbieter erhalten dafür ja auch etwas: zum Beispiel Rechte auf jene Inhalte, die sie koproduziert haben. Falls die Online-Anbieter nicht bereit sind zu solchen Direktinvestitionen, dann soll das Geld der Filmförderung des Bundes, dem Filmkredit, zukommen. Bereits heute besteht für private, nationale Fernsehanbieter aus der Schweiz eine solche Pflicht.

 

In Deutschland existiert seit 2014 eine sogenannte Netflix-Steuer. Ob wirklich Geld geflossen ist, ist jedoch ungewiss. 

Das Unternehmen hatte mit dem Argument, keinen Sitz in Deutschland zu haben, vor dem Europäischen Gerichtshof gegen entsprechende Abgaben an die deutsche Filmförderung geklagt, hatte dabei allerdings keinen Erfolg. Es geht aber natürlich nicht nur um Netflix, sondern um alle Anbieter, die Filme online zeigen, auch wenn Netflix sicher am häufigsten in aller Munde ist. Das Unternehmen stellt sich nicht mehr gegen solche Reinvestitionspflichten in lokalen Content. Die grossen internationalen Unternehmen haben ein Interesse an einvernehmlichen Lösungen.

 

Das Filmgesetz reicht also, um die Investi­tionspflicht wirklich durchzusetzen?

Ja, das sollte reichen. Was wir sicher nicht wollen, ist ein zahnloser Papiertiger. Grundsätzlich halten sich grosse Unternehmen an staatliche Regelungen. Vorschriften werden respektiert – solange es solche gibt. Diese Erfahrung machen wir etwa bei der Meldepflicht im Bereich von elektronischen Abruf- und Abonnementsdiensten.  Das Bundesamt für Statistik erhält auch von den grossen internationalen Anbietern Zahlen, unter der Bedingung, dass nur aggregierte Resultate veröffentlicht werden; auf Geschäftszahlen oder einzelne Filmtitel soll man keine Rückschlüsse ziehen können. Die Daten benötigen wir, um mehr über die Entwicklung der Mediennutzung und neue Auswertungsstrategien zu erfahren. 

 

Streamingdienste sollen ausserdem verpflichtet werden, 30 Prozent europäische Inhalte anzubieten – jene Quote, die bereits von der EU aus Gründen kultureller Diversität beschlossen wurde.

Eine solche Quote sollte zu erreichen sein; bereits heute stammen laut Studien 28 Prozent der Filme und Serien zum Beispiel beim Fernsehen aus Europa. Zuschauer sehnen sich nach Inhalten, die mit ihrem Lebensraum zu tun haben. Die neuen Online-Anbieter wissen  das. Darum sind sie auch daran interessiert, in europäische Filme und Serien zu investieren.

 

Demgegenüber fordern die drei Schweizer Produzentenverbände, ARF/FDS und das Swiss Fiction Movement eine 20-Prozent-
Quote für Schweizer Filme

Wir nehmen die Anregung im Rahmen der Vernehmlassung zur Kulturbotschaft zur Kenntnis und werden diese bewerten. Zurzeit sind noch viele Fragen offen. Falls beispielsweise die 20 Prozent innerhalb der 30-Prozent-Quote europäischer Inhalte gedacht sind, wovon ich ausgehe, müsste man schauen, was alles dazugehört respektive anrechenbar ist. Die Regelung gälte ja umfassend, also nicht nur für Streaming-Plattformen, sondern auch etwa für das Fernsehen oder die Kinos. 

 

Davon abgesehen – was halten Sie von einer solchen 20-Prozent-Quote?

Provokativ gesagt wäre es eine filmkulturelle Zwangsernährung der Bevölkerung. Im Ernst: Es ginge dabei ja weniger um den Auswertungserlös für die Rechteinhaber als um die Visibilität des Schweizer Films. Daran bin ich natürlich auch interessiert. Einen staatlichen Eingriff in das Konsumverhalten der Bevölkerung halte ich jedoch für problematisch. Zudem: wie gut sichtbar das Angebot auf den Plattformen tatsächlich wäre und wieviel davon effektiv angeschaut würde lässt sich mit einer Quote ja nicht steuern. Aber wie gesagt: Wir werden die Anregung im Rahmen der Vernehmlassung zur Kulturbotschaft sicher eingehend prüfen.

 

Die Quote könnte einen Anreiz schaffen, damit erstmals Koproduktionen zwischen Netflix, Schweizer Produktionsfirmen und der SRG möglich würden.

Es liegt vor allem an der Grösse eines Markts, ob solche Koproduktionen zustande kommen. Auch braucht es übergreifende Sujets, die den gesamten deutsch- oder französischsprachigen Raum interessieren. Wobei man auch die Gefahr sehen muss, wenn Filme identitätslos werden. Man hat ja mal von «Europudding» gesprochen.

 

Auf Netflix Schweiz gibt es rund 5ʼ600 Titel, etwa 4ʼ000 Filme plus 1ʼ500 Serien. 20 Prozent davon wären demnach etwa 1ʼ120 Schweizer Titel…

Man müsste jedenfalls weit zurückgehen in der Filmgeschichte, um diese Anzahl zusammenzubringen – und müsste digitalisieren, was das Zeug hält. Deshalb fragt sich, ob man nicht andere Anreize schaffen sollte, damit viel mehr Schweizer Filme verfügbar werden. Das ist uns allerdings ein grosses Anliegen. Deshalb sollen ja auch die rechtlichen Grundlagen geschaffen werden, damit in Zukunft alle Filme, die mit BAK-Geldern ab einer gewissen Höhe gefördert werden, online verfügbar sind. 

 

Wieso ist man von der Idee einer nationalen Streaming-Plattform mit einem kostenlosen Angebot an Schweizer Filmen abgekommen?

Von kostenlos war nicht die Rede, sondern von einem freiem Zugang zu Filmen. Sei es, dass die Titel auf der Plattform der eigenen Produktionsfirma angeboten werden, sei es, dass sie von der Cinémathèque suisse z.B. über einen Link zugänglich gemacht werden – wie sich das konkret entwickeln wird, müssen wir diskutieren. Was wir nicht wollen, ist der Aufbau und die Finanzierung einer eigenen Plattform. Und gewiss ging es nie darum, Filmrechte zu enteignen! Ein Filmverzeichnis mit Links oder Hinweisen, wo die Filme verfügbar sind, wie es zum Beispiel das European Audiovisual Observatory in Strassburg anbietet, würde uns theoretisch schon genügen.

 

Nun gibt es verschiedene Anbieter mit Schweizer Filmen im Katalog, von Grossen wie Swisscom über kleinere, kulturaffine Nischenanbieter wie Cinefile oder LeKino bis hin zur SRG mit ihrer neuen Plattform. Was fehlt, ist eine Art Koordination. Könnte das BAK hier eine Rolle übernehmen? 

Nein, das ginge ja nur über Regulationen. Das macht keinen Sinn in einem Feld, das sich dynamisch entwickelt – und bei dem gleichzeitig alle unter demselben leiden, nämlich fehlender Wahrnehmung und mangelnder Visibilität. Wir können da nicht eingreifen, hingegen mithelfen, dass die Verfügbarkeit und Visibilität steigt.

 

Aber das BAK könnte Plattformen mitsubventionieren, die ein attraktives Fenster für Schweizer Filme bieten?

Auch das nicht, weil wir auf projektbezogene Förderung aus sind und nicht auf Strukturfinanzierung. Allerdings wollen wir ab 2021 solche Fragen abklären – ob etwa die Cinémathèque suisse ein eigenes Angebot aufbauen könnte oder die Funktion eines «Briefkastens», der weiter verlinkt, übernehmen könnte. Solche Fragen müssen wird zuerst mit den Rechteinhabern und den Verwertungsgesellschaften sowie mit der SRG abklären. Dabei sind Lösungen gefragt, die in der übernächsten Kulturbotschaft ab 2025 zum Tragen kommen.

 

Wie weit ist die Idee für ein «Succès Web» gereift?

Mit der Einführung der Meldepflicht hätten wir die Zahlen respektive die Möglichkeit, in der neuen Förderperiode ein Succès Web einzuführen. Dafür braucht es gesetzliche Voraussetzungen, die mit der übernächsten Kulturbotschaft in Kraft träten. Letztlich geht es um neue Auswertungsformen, die berücksichtigt werden sollen. Wir überlegen uns für die kommende Kulturbotschaft auch die Einführung von Succès Festival Schweiz.

 

Eine Priorität in der letzten Kulturbotschaft war die Sicherstellung der Langzeitarchivierung von Filmen. Demnächst wird das neue Archivierungszentrum der Cinémathèque suisse in Penthaz eröffnet. Geht es nun mit der Digitalisierung des Film­erbes voran?

Während der Planung von Penthaz musste man einen politischen Richtungsentscheid fällen und eine Kehrtwende hin zu einem digitalen Langzeitarchiv vollziehen. Nun können Mittel  für die digitale Langzeitarchivierung aktueller Filme sowie die Digitalisierung analoger Filmkopien eingesetzt werden.

 

In einem Artikel in der «Republik» wurde der Vorwurf laut, niemand fühle sich bei der Digitalisierung des Filmerbes wirklich zuständig. Wird es zu einer Diskussion über Auswahlkriterien kommen?

Priorität hat zunächst die digitale Langzeitarchivierung in der Cinémathèque suisse. Alles digitalisieren kann man ja nicht, so wie man nicht alles langzeitarchivieren kann. Kriterien wie die Priorisierung von Helvetica werden in die neue Leistungsvereinbarung für die Cinémathèque ab 2021 aufgenommen. Auch wir haben unsere Vorstellungen, allerdings soll ein solcher Kriterienkatalog breiter abgestützt werden, man muss dazu mit Film­historikern und Festivals zusammenarbeiten. Es braucht klare Kriterien, was mit den öffentlichen Geldern geschieht. Wir wollen kein kuratiertes Programm für die Digitalisierung, nach subjektiven Kriterien, wie es zum Beispiel Filmo anbietet. Ein Kriterium könnte zum Beispiel die Nachfrage sein. Der politische Prozess ist mit der Eröffnung der Vernehmlassung zur Kulturbotschaft nun angestossen.

 

▶  Originaltext: Deutsch

Kulturbotschaft 2021-2024

943 Millionen Franken. Soviel will der Bund von 2021 bis 2024 für die Förderung der Kultur ausgeben. Das sind, verteilt auf vier Jahre, 35,4 Millionen oder 2,9 Prozent mehr als bisher (inklusive einem Prozent Teuerung). Für den Film sind 211,4 Millionen beantragt. Der grösste Teil der Mehrausgaben fliesst zu den Schulen. Mit 8,3 Millionen Franken will der Bundesrat das Programm «Jugend und Musik» ausbauen.

Ein Schwerpunkt liegt in der Digitalisierung. Der digitale Wandel beeinflusse sämtliche Bereiche und Institutionen der Kultur in Bezug auf Produktion, Vermittlung und Erhaltung. Durch die «rasante Zunahme» der Online-Plattformen sei die Filmbranche davon besonders betroffen. Auch der Zugang zum Schweizer Filmerbe soll verbessert werden.

In der Filmförderung werden neben der Reinvestitionspflicht und der Angebotsvielfalt (Stichwort Quoten) unter anderem folgende Ziele und Massnahmen genannt:

▶  Die Standortförderung soll stärkere Anreize für minoritäre Koproduktionen setzen, damit mehr Dreharbeiten aus dem Ausland in die Schweiz geholt werden können. Im Bereich der erfolgsabhängigen Filmförderung sollen auch Eintritte in inländischen Filmfestivals sowie der Filmkonsum im Onlinebereich berücksichtigt werden.

▶  Die Filmförderung soll chancengleich ausgestaltet sein. Die aktuellen Kriterien der Nachwuchsförderung und zur Stärkung der weiblichen Filmschaffenden sollen weiterverfolgt und dokumentiert werden.

Auch der Zugang zum Schweizer Filmerbe soll verbessert werden, da Filme nach Abschluss der Auswertung häufig nur schwer aufzufinden seien.

 

Unter Ziele und Massnahmen heisst es u. a.:

▶  Die Cinémathèque muss ihre Sammlung kontinuierlich digitalisieren, um den Zugang zu den Filmen zu verbessern. Aufgrund der Menge an ­Filmen muss die Digitalisierung von der Cinémathèque nach klaren Kriterien durchgeführt werden, namentlich nach der Dringlichkeit des Zerfalls und der Nachfrage.

▶  Bei der Restauration von Filmen ist aufgrund der grossen Anzahl von Filmen und limitierten Ressourcen eine Priorisierung im Rahmen des Sammlungskonzeptes unumgänglich. Dabei soll auch das in der Schweiz vorhandene Restaurationswissen genutzt bzw. verstärkt werden.

Und was den «freien Zugang» zu neueren Filmen anbelangt, liest man dazu in den Erläuterungen zum Filmgesetz:

«Werden in Zukunft Filme mit einem namhaften Herstellungsbeitrag des Bundes unterstützt, wird die Förderung neben der Hinterlegungspflicht mit der zusätzlichen Auflage verbunden, dass der Bund die Filme nach Abschluss der kommerziellen Nutzung der Bevölkerung zugänglich machen kann (nichtexklusive Lizenz für nicht gewerbliche Nutzung). Solche Filme könnten damit frühestens ab 2026 vom Bund zugänglich gemacht werden. (…) Der vollumfängliche öffentliche Zugang zum Schweizer Filmerbe wird erst möglich sein, wenn die offenen Fragen im Dialog geklärt werden konnten.»

Bundesrat Alain Berset hat die Vorlage Ende Mai (exakt bei Redaktionsschluss) vorgestellt. Die Vernehm­lassung dauert bis am 20.September. Danach wird die überarbeitete Botschaft im Parlament beraten und verabschiedet. Die für die Filmbranche so wichtigen Filmförderkonzepte entstehen im Herbst. 

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