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Globaler Kampf, lokaler Schutz. Teil 2: Europa. Gesetze erlassen, um zu regulieren

Pascaline Sordet
21. Juni 2019

Aus dem Vorspann der Serie «Silicon Valley» von HBO.

Eine Steuer und eine 30-Prozent-Quote für europäische Werke.

Profitieren neben den USA auch andere Regionen von diesen enormen Investitionen? Dies möchte zumindest die Europäische Union: Sie erliess 2018 eine neue Richtlinie, die alle ­Streaming-Dienste dazu verpflichtet, mindestens 30% europäische Inhalte anzubieten. Die Abgeordneten nahmen den Gesetzestext mit 452 von 751 Stimmen deutlich an. Das Europäische Parlament legte weiter fest, dass VoD-Plattformen nebst der Erfüllung der Quote auch zur Entwicklung europäischer Produktionen beitragen müssen, entweder durch direkte Investitionen in Inhalte oder durch Beiträge an nationale Fonds. Die Höhe des Beitrags soll im Verhältnis zu den Einnahmen im jeweiligen Land stehen. Dies ist ein wichtiges Detail, denn so können die Anbieter sich nicht auf den Standort ihres Firmensitzes berufen, um das Gesetz zu umgehen. Die Tragweite dieser Gesetzesänderung ist gross: Studien haben gezeigt, dass die Anzahl europäischer Abonnenten von derzeit 45 Millionen (2018) bis ins Jahr 2022 auf über 60 Millionen ansteigen und einen Umsatz von 6,8 Milliarden erreichen könnte.

Die Richtlinie wird nicht sofort wirksam; die Mitgliedsstaaten haben 21 Monate Zeit, um sie bis spätestens September 2020 in nationales Recht umzusetzen. Dies lässt den Streaming-Anbietern nur gerade ein Jahr Zeit, um zu reagieren. Die Europäische Kommission muss in erster Linie genau definieren, wie gemessen wird. «Viele Fragen sind noch offen», erklärt Oliver Gerber, Jurist in der Abteilung Medien des BAKOM und Spezialist für internationale Angelegenheiten. «Wie wird der Prozentsatz definiert? Sind es 30% der Sendezeit oder 30% der Werke im Katalog?»

 

Konkurrenz oder Komplementarität?

Für Netflix stellt dies grundsätzlich kein Problem dar. Die Firma mit europäischem Hauptsitz in den Niederlanden hat im April ein riesiges Produktionszentrum in Madrid eröffnet. Eric Sheridan meint dazu: «Ich denke, lokaler Content ist billiger als Hollywood-Produktionen. Zudem macht er Netflix attraktiv, da er das Publikum anspricht. Ich weiss nicht, ob 30% die passende Zahl ist, aber lokal zu produzieren gehört jetzt schon zur Strategie von Netflix.» Spanien erntet dank dem Vorteil, die ganze spanischsprachige Welt zu erreichen, die Früchte dieser Investitionen. 40 Koproduktionen sind in Entwicklung oder in Produktion, und Netflix hat schon mit 13 Firmen zusammengearbeitet. Das Unternehmen beschäftigt 13ʼ000 SchauspielerInnen und TechnikerInnen, und Variety berichtet, dass CEO Reed Hastings diese Zahl 2019 verdoppeln möchte. Netflix beugt sich jedoch nicht allen europäischen Gesetzen so bereitwillig: Als Deutschland eine Steuer für VoD-Plattformen einführte, ging das Unternehmen vor Gericht. Die Klage wurde im Mai 2018 abgelehnt, und Netflix musste die Steuer rückwirkend auf seit 2014 in Deutschland erzielte Einnahmen bezahlen.

 

Konkurrenz oder Komplementarität?

Einige Länder sind der EU voraus und zwingen die Streaming-Plattformen heute schon dazu, nationale Produktionen zu finanzieren: In Frankreich, Deutschland, Italien, Dänemark und Flandern gibt es verbindliche Regeln, die auch für im Ausland ansässige Unternehmen gelten. Frankreich führte als erstes Land eine Steuer von 2% auf Werbeeinnahmen und Abonnementsgebühren ein, die an das CNC fliesst. Flandern legte die Steuer für nicht-lineare Angebote ebenfalls auf 2% der Einnahmen fest, wobei der Begriff «Einnahmen» nicht näher definiert ist. In Deutschland geht die Steuer an die Filmförderungsanstalt und beträgt 1,8% für Unternehmen mit weniger als 20 Millionen Jahresumsatz und 2,5% für alle, die darüber liegen.

Alle grossen Streaming-Plattformen, auch die europäischen, müssen diese Gesetze einhalten, doch es gibt zahlreiche Ausnahmen für spezialisierte Angebote und Nischenmärkte. «Von einem Anbieter, der nur ­Bollywood-Filme zeigt, kann nicht verlangt werden, dass er sich an diese Regel hält», erklärt Oliver Gerber mit Humor.

Eva Flecken, Verantwortliche für öffentliche Angelegenheiten bei Sky Deutschland, versichert, dass Sky «sehr grossen Wert auf einen diversifizierten Katalog mit europäischen Inhalten legt. Wir arbeiten mit allen grossen Studios in Europa und in der Schweiz zusammen», nebst den Eigenproduktionen von Sky. Die Gruppe äussert sich nicht zu ihrem Katalog, versichert aber, die 30%-Quote sei aufgrund der Flexibilität unter den Mitgliedstaaten kein Problem. «Jetzt müssen wir nur noch wissen, was genau mit europäischen Produktionen gemeint ist, und entsprechende Informationen von den Produktionsfirmen erhalten.»

Diese Gesetzgebung zielt klar darauf ab, die lokalen Industrien zu unterstützen. Könnte sie aber, indem sie die globalen Plattformen dazu zwingt, europäischen Content zu zeigen, nicht den Wettbewerb mit den natio­nalen Fernsehstationen verschärfen, die sich bisher genau durch solche Inhalte abhoben?

Eva Flecken sieht dies nicht so: «Die Medienlandschaft ist in stetigem Wandel. Wir investieren in lokale Inhalte und werden dies auch in Zukunft tun, unabhängig von der Konkurrenz. Wir sprechen hier von grossen Budgets: unser Ziel ist es, pro Jahr bis zu acht Serien wie «Babylon Berlin», «Das Boot», «Der Pass» oder «8 Tage» zu produzieren.» Sie fügt an, dass es ein grosser Unterschied sei, ob man Rechte kauft oder von A bis Z selbst produziert, und dass Netflix in Europa bisher nur in kleinem Massstab produziere. Um mit ihrem Geschäftsmodell kostendeckend arbeiten zu können, liegt es im Interesse der Streaming-Giganten, alle Rechte zu besitzen, anstatt sie mit nationalen Fernsehsendern zu teilen – letztere bereiten übrigens in der Schweiz und in Grossbritannien ihre eigenen Streaming-Plattformen vor.

Schliesslich stellt sich die Frage, ob britische Produktionen noch als europäische Werke gelten, wenn Grossbritannien aus der EU austritt. «Ich denke schon», mutmasst Oliver Gerber, «denn die Definition ‹euro­päische Werke› schliesst alle Länder ein, die dem Europäischen Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen beigetreten sind, somit auch Grossbritannien» wie die Schweiz.

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