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Eine Infusion für Kulturkinos

Muriel Del Don
16. Mai 2019

Das Lux in Massagno. © Oliver Lang

Deutschlandund das Tessin engagieren sich in gleicher Sache, aber in unterschiedlichen Dimensionen für die Förderung der Kino-Vielfalt in Randregionen.

In den Schweizer Kinos gingen die Besucherzahlen 2018 um 12,5% zurück. Diese alarmierende Zahl betrifft nicht nur die Schweiz: Deutschland verzeichnet mit 14% einen noch stärkeren Rückgang und erreicht den tiefsten Besucherstand seit 1992. Frankreich schneidet mit einem Verlust von 4,3% vergleichsweise gut ab.

Einen alleinigen Grund für diese katastrophalen Ergebnisse zu nennen ist schwierig, doch eines ist sicher: Die Kinobranche durchlebt zurzeit einen tiefgreifenden Wandel. Die Kinos müssen wieder mehr Besucher anziehen und zugleich ein qualitativ hochstehendes, abwechslungsreiches und anregendes Programm bieten. Am stärksten betroffen sind die unabhängigen Kinos, vor allem diejenigen am Rand der grossen Ballungszentren, dabei sind genau sie es, die dafür sorgen, dass die Vielfalt des Kinoangebots erhalten bleibt. Angesichts der wirtschaftlichen Dringlichkeit der Situation reagiert nun die öffentliche Hand.

 

Soforthilfe in Deutschland

Die deutsche Regierung unter Angela Merkel hat beschlossen, fünf Millionen Euro für ein Soforthilfeprogramm für unabhängige Kinos im ländlichen Raum zur Verfügung zu stellen. Antragsberechtigt sind Kinos in Orten mit bis zu 25ʼ000 Einwohnern. Jeder Kinobetreiber kann einen Zuschuss von bis zu 25ʼ000 Euro beantragen, der beispielsweise in neue Projektionsanlagen, Bestuhlung oder Barriere­freiheit investiert oder für Programmarbeit, Marketing oder Werbung eingesetzt werden kann.

Dieser Notfonds stammt aus dem Budget des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und ist Teil des Programms «Kultur in den Regionen». Verwaltet wird er von der deutschen Filmförderungsanstalt. Screen Daily berichtet, dass im vergangenen Jahr fünf der acht regionalen Fonds den Kinobetreibern konkrete Unterstützung boten. Um zu verhindern, dass dieser Soforthilfefonds mehr oder weniger nach dem Zufallsprinzip verteilt wird, sollte über ein Kino-Förderprogramm auf nationaler Ebene nachgedacht werden.

 

Politische Unterstützung im Tessin

Der Kanton Tessin hat ebenfalls beschlossen, die Kinobetreiber zur unterstützen, allerdings ohne standortbezogene Einschränkungen, und hat eine entsprechende Gesetzes­änderung vorgenommen. Die finanzielle Unterstützung des Kantons richtet sich an Kinos, die Vorführungen von Filmen mit kulturellem Wert organisieren; diese werden vom Kanton mit einer maximalen Beteiligung von 30% subventioniert. Dazu gehören vom DECS geförderte Tessiner Langfilme, vom BAK geförderte Schweizer Langfilme sowie Dokumentar- und Spielfilme in Originalversion mit italienischen Untertiteln. Laut Antonio Mariotti, Präsident der Subkommission Film und Audiovision des Kantons Tessin, zielt diese Änderung darauf ab, eine gewisse Angebotsvielfalt im Kinoprogramm zu erhalten und gleichzeitig dem Autorenkino zu grösserer Sichtbarkeit zu verhelfen.

Mariotti erklärt, dass «die Tessiner Kinolandschaft sich zweifellos verändert hat. Noch vor ein paar Jahren gab es mehrere kleine, unabhängige Kinos, doch seit der Branchenriese Arena das Cinéstar in Lugano gekauft, die Leitung des Palacinema übernommen und das Rialto in Locarno wiedereröffnet hat, ist die Situation anders: es hat sich ein Beinahe-Monopol gebildet. Es gibt immer weniger unabhängige Kinos, und den verbleibenden fällt es schwer, sich zu behaupten.» Das Arthouse-Kino Lux in Massagno, das vor allem auf einheimische Filme setzt, stellt eine Ausnahme dar, wie sein Betreiber Joël Fioroni bestätigt: «Die Besucherzahlen wachsen stetig und liegen über dem kantonalen und landesweiten Durchschnitt. Hier in Massagno sind wir vielleicht Zeugen eines neu erwachten Interesses für das ganz grosse Kino und für Geschichten, die uns zum Nachdenken anregen.» Abgesehen von dieser Ausnahme hat die Übermacht der Arena-Gruppe und die schwindende Zahl unabhängiger Kinos zu einer Verminderung der Angebotsvielfalt geführt. Die grossen Produktionen beherrschen die Multiplex-Kinos, und die Autorenfilme überleben in den paar wenigen unabhängigen Kinos, die noch existieren.

Die Änderung der Filmverordnung müsse in einem grösseren Kontext betrachtet werden, sagt Antonio Mariotti. Obwohl das kantonale Filmgesetz erst im Jahr 2015 in Kraft trat, wird es seiner Meinung nach der aktuellen Lage der Kinos im Kanton nicht mehr oder nur unzureichend gerecht. Aufgrund der Dominanz der Arena-Gruppe kann der Unterstützungsfonds für Kinos, der sich aus einer Steuer von 7% auf den Eintrittspreis finanziert, theoretisch nicht mehr gerecht unter den verschiedenen Betreibern aufgeteilt werden. Zusammen mit den markant rückgängigen Besucherzahlen hat diese Situation die Subkommission Film und Audiovision dazu bewogen, diese kultur- als auch wirtschaftspolitische Massnahme zu treffen. Ein zugegebenermassen kleiner Schritt, der aber in die richtige Richtung geht.

 

Verleihförderung

Auf Seiten der  Hauptbetroffenen zeigt sich Joël Fioroni zufrieden mit dem neu erwachten Bewusstsein des Kantons. Die grösste Herausforderung bestehe jedoch darin, sicherzustellen, dass Schweizer und Tessiner Filme überhaupt noch im Kino gezeigt werden, «trotz geringer Eintrittszahlen und folglich bescheidener Einnahmen.» In diesem Sinne ist die zusätzliche Unterstützung des Kantons willkommen und wird die Produzenten und Verleiher vielleicht dazu bringen, vermehrt auf eine sprachliche Minderheitenregion wie das Tessin zu setzen: «Ich denke, das Tessin wird unterschätzt. Angesichts der schwachen Resultate der letzten Zeit haben sich viele Verleiher damit abgefunden, das Tessin nicht als eine Investition, sondern vielmehr als ein Fass ohne Boden zu betrachten, für das es sich nicht lohnt, Zeit und Geld aufzuwenden. Diese zusätzliche Unterstützung wird die Verleiher vielleicht vermehrt dazu anspornen, ihre Filme in den Kinos unseres Kantons zu bewerben und zu zeigen. Wir werden sehen.»

Obwohl das Lux im vergangenen Jahr von Beihilfen des Bundes und des Kantons profitieren konnte, insbesondere für die Teilrenovation des Kinos, bleibt die Unterstützung aus Fioronis Sicht begrenzt.

Was müsste noch getan werden, um das Publikum, vor allem in Randregionen, in die Kinosäle zu locken und gleichzeitig die Angebotsvielfalt zu erhalten? Der Betreiber des Lux ist überzeugt, dass vermehrt auf Qualität und Atmosphäre gesetzt werden muss: «Wir sind sehr aktiv im Bereich der Promotion, vor allem in den sozialen Netzwerken. Allmählich wird den Leuten bewusst, dass die Filme, die wir zeigen, einen Besuch wert sind, und sie kommen wieder, weil sie uns vertrauen. Wir bieten auch eine Art Clubkarte an, mit attraktiven Eintrittspreisen, und wir betreiben eine gemütliche Bar, wo man in geselliger Runde einen Drink nehmen kann. Man muss auf allen Ebenen aktiv sein und das Publikum verwöhnen, ihm ein qualitativ hochstehendes Programm bieten in einem Rahmen, in dem es sich wohl fühlt.» In diesem Sinne müssen die Kinobetreiber bereit sein, verschiedene Rollen wahrzunehmen: als Geschäftsführer, Verleiherinnen, Werbefachfrauen und Kommunikationsprofis. Ein 360-Grad-Job, der ein starkes Engagement seitens der Betreiber erfordert, aber auch eine langfristige Förderung durch die Institutionen braucht, damit dieses Engagement Früchte tragen kann.

 

 

▶  Originaltext: Französisch

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