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Mit neuen Technologien den Filmmarkt in Cannes erobern

Adrien Kuenzy und Teresa Vena
15. Mai 2024

Roboter des Studios Superposition, montiert auf einem Auto für das Musikvideo «Ray» von Anna Kova. Regie: Tom Bartowicz. © Bene Bang Bang

Die Schweiz ist eines der führenden Länder im Bereich der Innovation. Dieses Jahr steht sie im Mittelpunkt eines der weltweit grössten Treffen der Filmindustrie. Neben der Teilnahme an verschiedenen Programmen haben Schweizer Jungunternehmen insbesondere die Gelegenheit zu zeigen, was ihre technischen Entwicklungen der Filmwelt bieten können.

Gemäss einer Studie der Weltorganisation für geistiges Eigentum sichert sich die Schweiz im 13. Jahr in Folge ihre Stellung an der Spitze des Globalen Innovationsindex (GII). Dieser «Führungsposition in der Innovation» will eine Delegation junger Schweizer Technologieunternehmen in Cannes alle Ehre machen. Als diesjähriges Gastland des Marché du Film bietet sich die Gelegenheit, eigene Entwicklungen zu präsentieren und deren Potenzial auf der internationalen Bühne zu erproben. Dafür wird der «Swiss Hub» innerhalb des Filmmarktprogramms «Cannes Next» dienen. Hier nimmt die Schweiz an Präsentationen, zahlreichen Konferenzen und Debatten teil, die die technologische Zukunft der Filmindustrie mitprägen werden. Im vergangenen Jahr zählte die Veranstaltung 14’000 Filmschaffende, präsentierte über 4’000 Filme und Projekte in der Entwicklung und bot 200 Vernetzungsveranstaltungen an. 

Um der Schweiz diese Plattform zu ermöglichen, hat die Promotionsagentur Swiss Films im Auftrag des Bundesamts für Kultur und mit der Unterstützung der SRG mit dem Schweizer Filmsektor Synergien geschaffen. Entstanden ist eine vielfältige Trägerschaft, die über ein Budget von 550’000 Franken (ohne die Personalkosten der verschiedenen beteiligten Institutionen) verfügt. «Wir arbeiten mit über 28 Partnern aus allen Landesteilen. Sie sind aktiv in den Bereichen Film (Förderung, Film Commissions, Festivals, Produktion), stammen aber auch aus der Technologiebranche», erklärt Nicola Ruffo, Direktor von Swiss Films. 

Die Schweiz hat bereits in vergangenen Generationen gezeigt, dass sie eine Symbiose zwischen technischer Innovation und audiovisueller Produktion zu erdenken und zu realisieren vermag. Man denke an die Nagra-Tongeräte von Stefan Kudelski oder an das Lausanner Unternehmen Faceshift, dessen Gesichtserkennungssoftware von Apple gekauft wurde. Betrachtet man die unterschiedlichen aktuellen Bemühungen in diesem Feld, kann man sich auf spannende Entwicklungen gefasst machen. Einige dieser in Cannes anwesenden Jungunternehmen stellen wir im folgenden vor.

 

Der «Maliang Magic Pencil» im Einsatz. © Sensoryx

 

Die Suche nach Präzision

Technologie, die es erlaubt, Vorgänge aus der realen Umwelt sensorisch zu erfassen und in digitale Formate einzuspeisen, existiert schon länger. In der Kreativwirtschaft wird sie etwa in Computerspielen und in Formaten, die virtuelle Welten erschaffen, verwendet, um die Nutzererfahrung interaktiv zu gestalten, zudem nutzt man sie in der Filmproduktion zur Herstellung von animierten Objekten und Figuren. 

Sensoryx aus Zürich arbeitet seit etwa acht Jahren daran, dieses Erfassen und Messen realer Impulse in seiner Genauigkeit zu optimieren. Dafür kombiniert das Unternehmen drei Verfahren: Messung über Ultraschall, visuelle Erfassung über LED und Inertialsensoren (kurz IMU), eine Kombination aus Beschleunigungs- und Drehratensensoren, die der Bewegungsdetektion dienen. 

Salar Shahna, Leiter der Abteilung Unternehmensentwicklung, der 2019 zur von Rolf Adelsberger gegründeten Firma stiess, erklärt: «Wir wollen diese Technik direkt in die VR-Helme integrieren». Um Zugang zur Programmierung der Geräte zu bekommen, steht Sensoryx in Verhandlung mit deren verschiedenen Herstellern. Parallel dazu bringt Sensoryx dieses Jahr einen elektronischen Stift, den «Maliang Magic Pencil», auf den Markt. Er funktioniert wie bisherige «Tracker», also Zubehörgeräte, die an Helme angeschlossen werden, und Vorgänge aus der Umwelt erfassen. Der Sensoryx-«Hub» schliesslich ist eine Funktionserweiterung für Filmkameras in Form eines schmalen Verbindungsstücks, das mit den gleichen technischen Eigenschaften ausgestattet ist und für die Herstellung von virtuellen Produktionen verwendet werden kann. Die neue Technologie veranschaulicht, wie kompakt diese Geräte in Zukunft sein werden können. Sensoryx trägt dazu bei, das interaktive Erlebnis in der digitalen Welt möglich präzise an die Realität heranzuführen. Ähnliche Ziele setzt sich Creal, ein Jungunternehmen aus Ecublens, das Brillenlinsen entwickelt, die das Licht wie das menschliche Auge brechen und dessen Kontrast- und Fokussierungfähigkeit nachstellen können. Überhaupt erstrecken sich die Anwendungsgebiete weit über kreative Inhalte hinaus. Für die Schweiz schätzt Shahna denn auch, dass Forschung und Ausbildung die grösseren Abnehmermärkte sein werden. Shahna, der auch Filmemacher und Produzent ist, besucht «Cannes Next» seit 2015. «Dieses Jahr ist das ideale für eine solche Präsenz vor Ort, da Cannes zum ersten Mal auch einen eigenen Wettbewerb für virtuelle Formate ausrichtet». Das wird die Gelegenheit sein, gezielt mit Vertretern der Kreativwirtschaft in Kontakt zu treten. 

 

«Dieses Jahr ist das ideale für eine solche Präsenz, da Cannes zum ersten Mal einen Wettbewerb für virtuelle Formate ausrichtet.»
Salar Shahna, Sensoryx

 

Schöne Roboter

AATB mit Sitz in Zürich und Marseille wurde 2018 von Andrea Anner und Thibault Brevet, zwei ehemaligen Studierenden der ECAL, gegründet. Das Studio zeichnet sich durch seine Kompetenzen in der Bewegungssteuerung und der Integration von Robotik im Kunst- und Filmbereich aus.

Seit 2020 etablierte sich das Studio unter dem Namen «Superposition» im Schweizer Filmsektor als Anbieter spezialisierter Dienstleistungen im Bereich der Bewegungssteuerung und Automatisierung für diverse Produktionen, darunter ein Werbespot, der Roger Federer in Szene setzte. Das Studio besitzt den grössten «Motion-Control»-Kameraroboter der Schweiz sowie sechs leichte und flexible Roboter für die unterschiedlichsten Aufnahmen und Bewegungen. Der Hauptroboter hat eine Reichweite von 2,5 Metern und deckt so einen Kreis von 5 Metern-Durchmesser ab, mit einer Nutzlast von 20 kg und einer Höchstgeschwindigkeit von 8 Metern pro Sekunde. Die Kamera kann dabei bis zu 3 Meter hoch filmen. Die sechs weiteren Roboter haben eine Reichweite von 1,3 Metern und decken einen Kreis von 2,6 Metern-Durchmesser ab. Das Gründerduo erklärt: «Obwohl es einige Konkurrenten gibt, heben wir uns in der Schweiz durch unsere Robotik-Kompetenzen hervor. Wir arbeiten lieber selbständig und entwickeln unsere eigene Software, damit wir einzigartige, präzise Bewegungen anbieten können, die mit Standardrobotern nicht möglich sind. Dank dieser Autonomie können wir unsere Werkzeuge individuell an die Bedürfnisse jedes Drehs anpassen. Dies bedeutet aber auch, dass wir potenzielle Probleme selbst lösen müssen, ohne auf bestehende kommerzielle Lösungen zurückzugreifen.»

Neben ihren technischen Kompetenzen sind Andrea Anner und Thibault Brevet auch künstlerisch tätig. Am Locarno Film Festival 2023 zeigten sie eine von Menschen inszenierte Roboter-Installation, welche die Simulation organischer und geometrischer Bewegungen erkundete und die Grenzen zwischen Mensch und Maschine verwischte. Weitere Werke wurden im ZKM in Karlsruhe, im V&A in Dundee und im New Museum in New York ausgestellt.

An der letzten Biennale von Venedig wirkten sie an einer achtstündigen Performance unter der Leitung von Miles Greenberg mit. In dieser Darbietung umrahmten vier mit Kameras bestückte Roboterarme einen Interpreten und zeichneten jede Bewegung in perfekter Harmonie auf. Am Filmmarkt von Cannes wollen sie in Live-Vorführungen ihre Vision der Zukunft des Films vermitteln. Ihr Ziel ist dabei, die Möglichkeiten der Bewegungssteuerungstechnologie zu nutzen, um die Filmindustrie erfinderischer, menschlicher und zugänglicher zu machen.

 

Thibault Brevet und Andrea Anner von AATB und Superposition.  © AATB

 

Fokus auf die Vermarktung

Udimu hat seinen Sitz in Cortaillod am Neuenburger See. Es ist die Uhrenindustrie, von der sich Gründer Didier De Giorgi für seine innovativen Vermarktungsstrategien hat inspirieren lassen. Laut Ricardo Martins, Leiter der Abteilung digitale Kommunikation, will das Unternehmen Produktpräsentation in personalisierte Erfahrung verwandeln. Mithilfe von sensorgesteuerten Technologien, die das Verhalten eines Menschen erfassen, kann ein Produkt, zum Beispiel über einen Bildschirm, auf die jeweilige Person reagieren und wird dann nach einem bestimmten Muster animiert. Mit dem Zusetzen von Duftemissionen oder Klängen kann zusätzlich das sinnliche Erlebnis der potenziellen Kundschaft intensiviert werden.

Im Filmsektor sieht Martins ein besonderes Potenzial für den Einsatz dieser Technologien in der Werbung: «Wir können Werbemassnahmen einen spielerischen Charakter verleihen, indem wir gewöhnliche Plakatwände durch interaktive Bildschirme ersetzen. Dies fördert nicht nur die Schaffung von Gemeinschaftsräumen, sondern stärkt auch die Verbindung mit dem Publikum.» Indem man Hologramme von Filmschaffenden herstelle, könnte man Publikumsgespräche mit den verschiedenen Filmschaffenden auf Distanz durchführen. «Ein fortschrittlicher Schritt hin zu umweltfreundlicheren Werbekampagnen.»

Gemeinsam mit Swiss Films kümmert sich Udimu übrigens um die digitale Präsentation verschiedener Schweizer Projekte in Cannes. «Udimu schlägt damit eine Brücke zwischen traditioneller Kinematographie und modernster interaktiver Technologie», so Martins.

 

Avatare und KI

Hinter Copresence in Zürich steht ein 15-köpfiges Team von Unternehmern und Unternehmerinnen, Softwareentwicklern und -entwicklerinnen, das sich auf maschinelles Lernen, Computervision und virtuelle Realität spezialisiert hat. Die 2021 gegründete Firma will die digitale Kommunikation mit hyperrealistischen Avataren revolutionieren, welche die Benutzer und Benutzerinnen in Echtzeit in dreidimensionalen virtuellen Umgebungen darstellen. Dabei können die Avatare mittels Standard-Computergrafik modelliert oder als sogenannte KI-Avatare direkt durch künstliche Intelligenz geschaffen werden. 

Im ersten Fall produzieren die Algorithmen von Copresence ein dreidimensionales Modell, das mit 3D-Modellierungssoftwares wie Blender oder Maya kompatibel ist. Gemäss CEO Radek Mackowiak «kann der Modellierungsprozess eines menschlichen Gesichts mehrere Monate dauern, insbesondere um spezifische Details wie Augen oder Lippen zu perfektionieren».

Im zweiten Fall ist das Ziel, die Grenzen in Bezug auf den Realismus der Avatare auszuloten. Die KI-Avatare der Firma können mit 60 Bildern pro Sekunde wiedergegeben werden und Gesichtsausdrücke präzise einfangen. Diese virtuellen Darstellungen sind ideal für Videokonferenzen, die Filmindustrie und andere Live-Interaktionen in unterschiedlichen Anwendungen.

Nach mehreren Jahren Entwicklungsarbeit lancierte das Unternehmen im «App Store» die «Copresence App», mit der auf einem einfachen Smartphone in wenigen Minuten fotorealistische Avatare kreiert werden können. Radek Mackowiak hofft, mit seiner Anwesenheit und seinen Präsentationen am Filmmarkt von Cannes neue Perspektiven im Filmsektor eröffnen zu können.

 

«Wir lancierten unsere Plattform, damit Produzenten ihre Projekte bereits in der Entwicklungsphase analyiseren können.»
Sami Arpa. Largo.ai

 

Drehbuchanalyse

Das Jungunternehmen Largo.ai mit Sitz im Innovationspark der EPFL arbeitet mit den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen der Lausanner Hochschule an der Entwicklung eines Werkzeugs für die Drehbuchanalyse mittels eines mit künstlicher Intelligenz (KI) betriebenen Programms, das zurzeit mit einer Basis von 250’000 Filmen und 150’000 Fernsehserien trainiert wird (siehe dazu auch Cinébulletin Nr. 540). Seit seiner Gründung vor fünf Jahren machte Largo.ai mit narrativen Werkzeugen von sich reden und etablierte sich als Pionier zu einer Zeit, als KI im Filmsektor noch mit Skepsis betrachtet wurde. Geschäftsführer Sami Arpa erklärt: «Wir lancierten unsere Plattform, damit Produzenten und Produzentinnen ihre Projekte bereits in der Entwicklungsphase analysieren können. Unsere Algorithmen erkennen mögliche Probleme im Erzählstrang, analysieren die Figuren und schlagen Rollenbesetzungen vor. Zudem machen sie Vorhersagen über das zu erwartende Publikum und den finanziellen Ertrag.» Als Ableger der EPFL ist Largo.ai innovations- und forschungsorientiert und unterscheidet sich dadurch von der Konkurrenz. Sami Arpa betont: «Die Welt der KI entwickelt sich rasant, und wir passen unsere Werkzeuge laufend an, um stets auf dem neusten Stand zu sein.» Das Unternehmen erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Preis für das beste Start-up am Filmfestival von San Sebastian, den Preis EFM Horizon Start-ups an der Berlinale sowie den Top 100 Swiss Start-up Award.

In Cannes präsentiert Largo.ai neben der traditionellen Projektvorstellung im Rahmen des Programms «Producers Pitching Their Projects» sein neues Werkzeug «Simulated Focus Group». Dieses Tool dient dazu, Publikumstests durch KI zu perfektionieren und eine Alternative zu klassischen Fokusgruppen zu bieten. 

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