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Das Recht auf ein Bild

Fernand Melgar
06. Juli 2018

Aufgeheizte Stimmung: Spruch im Quartier du Maupas in Lausanne

Hier die Replik von Fernand Melgar zum Editorial von Pascaline Sordet in der letzten Ausgabe von Cinébulletin («Die Polemik um Fernand Melgar»)

Nach dem offenen Brief von «200 Filmschaffenden, Kultur­schaffenden und Filmstudierenden» (in Wirklichkeit sind weniger als 20 davon aktiv), meint Pascaline Sordet im Editorial, ich hätte «gereizt geantwortet» und mir «nicht die Mühe gemacht», den Unterzeichnenden zur Frage der Ethik des Dokumentaristen zu antworten. Ich habe indessen noch vor der Publikation von Ciné­bulletin ausführlich Stellung genommen. Die Delinquenz der Dealer zweifelt sie mit der Wendung «wahrscheinlich, aber unbewiesen» an, wo doch alles seit langem notorisch ist. Schliesslich liefert sie eine verkürzte Defini­tion des Rechts am eigenen Bild: Derzufolge wäre «Journalisten im öffentlichen Raum das Fotografieren erlaubt, wenn es nicht um die abgebildeten Personen geht. Sonst müssen diese die Erlaubnis geben». So simpel ist das aber nicht.

Um Unrecht zu denunzieren, unterlaufe ich bisweilen das Recht am eigenen Bild. Dass ich zwei Fotos von Dealern publizierte, war eine Reaktion auf deren jahrelang in völliger Straflosigkeit begangene Vergehen. Nach Artikel 28 ZGB zum Persönlichkeitsschutz können diese vermutlich Kriminellen vom Richter verlangen, dass die Bilder beseitigt werden, und sie können für den erlittenen Schaden Schadenersatz verlangen. Das Gericht wird dann prüfen, ob meine Bürgeraktion im Verhältnis zur Schwere des Vergehens angemessen war. Natürlich ist das Verfolgen von Delikten in erster Linie Sache der Polizei, mit der man zusammenarbeiten kann, und es geniessen auch diese Personen die Unschuldsvermutung bis zum rechtsgültigen Urteil.

Um meine Aktion zu verstehen, muss man die Vorgeschichte in Erinnerung rufen. Alles begann mit einem Kommentar zum Andenken an Gabriel, den Sohn meiner Nachbarn, der an einer Überdosis starb. Er hatte im Quartierschulhaus mit Vierzehn Koks zu sniffen begonnen. Zwei Dutzend afrikanische Dealer sind vor 20 Jahren, sich als Asylsuchende ausgebend, nach Lausanne gekommen. Dank der Gutmütigkeit einer linken Stadtverwaltung machten sich diese Täter unbehelligt des Dealens vor dem Schulhaustor, sexueller Belästigung und versuchter Vergewaltigung schuldig und haben alle bedroht, die ihnen nachzusetzen suchten. Angesichts der Untätigkeit der Behörden habe ich mich – als Vater und als Bürger – entschlossen, einzugreifen. Ich habe den Dealern vor den Schulhäusern angedroht, ihre Gesichter ins Internet zu stellen. Sie haben mich nur ausgelacht. Also habe ich Fotos gemacht und sie auf Facebook gepostet. Zwei haben genügt, um das Pulverfass zu zünden.

Mit tausenden Kommentaren ist meine Seite damit zum Brennpunkt einer öffentlichen Debatte geworden, die zwar heftig und emotional war, aber durchaus aufschlussreich. Eine moderne Agora nach Art unserer direkten Demokratie. Mehr als 400 Lausanner haben seitdem ihren öffentlichen Raum friedlich aus den Händen der Dealer zurückerobert. Wie kaum zuvor entlud sich ein Mediengewitter, und Politiker, Spezialisten oder gewöhnliche Bürger konnten über dieses Gesellschaftsproblem, das uns auf den Nägeln brennt, debattieren. Nun endlich kommen von links bis rechts Vorschläge, dieser Plage Einhalt zu gebieten.

Die Gemeinde sah sich gezwungen, endlich zu handeln: Es patrouillieren seitdem Polizisten in der Stadt. Keine einzige Verhaftung, bloss diese Präsenz genügte, die Dealer- und Konsumentenszene zu destabilisieren. Nun besetzen sie nicht länger den öffentlichen Raum. Ein Dealer hat mir gesagt: «Bei mir zu Hause kann man auf der Strasse nicht mit Drogen handeln.» Die afrikanische Diaspora, die unter diesem Treiben zu leiden hatte, atmet auf. Mein Vielvölkerquartier hat seine Fröhlichkeit wiedergewonnen; die darbenden Läden und Betriebe sehen wieder eine Zukunft.

Doch der Kampf darf hier nicht Halt machen. Konfrontiert mit dem schwerwiegenden öffentlichen Gesundheitsproblem, müssen die Behörden Prävention und Repression beim Drogenhandel intensivieren.

Polizisten unzensiert dabei zeigen, wie sie gewaltsam einen abgewiesenen Asylbewerber fesseln, um ihn per Sonderflug auszuschaffen, entspricht derselben Methode wie das Online-Stellen von Fotos mit Dealern bei ihrem tödlichen Geschäft. In beiden Fällen werden Werte verletzt, für die ich hinstehe: Die Stärke des Gemeinwesens misst sich am Wohl ihrer schwächsten Glieder. Ich bereue meine Aktion nicht und würde sie, wenn nötig, sofort wiederholen.

▶ Originaltext: Französisch

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