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Eine Frage des Gefühls und der Haltung

Silvia Posavec
12. Januar 2024

Bigna Tomschin © Solothurner Filmtage

Die Schnittmeisterin Bigna Tomschin ist eine Geschichtenerzählerin mit Hang zu Filmprojekten im Grenzbereich. An den Solothurner Filmtagen ist sie mit dem Kurzfilm «Diciassette» und dem Musikvideo «Light Light» vertreten. 

Interessante Persönlichkeiten folgen in ihrer Arbeit oftmals einer klaren Haltung – das trifft auch auf die Editorin Bigna Tomschin (geboren 1990) zu. Schon am Anfang ihres Filmstudiums an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) wusste sie, dass sie Schnittmeisterin werden will. Früh entdeckte sie ihre Begeisterung für die Montage, in der sie eine enge Verwandtschaft zum Schreiben sieht. Nur dass sie anstatt mit Wörtern, Bilder und Emotionen zu einer Geschichte zusammenbringt. Dieses sensible Ausbalancieren der erzählten Zeit begeistert die gebürtige Zürcherin bei jedem ihrer Projekte aufs Neue. Offen und neugierig, wie sie ist, führten ihre klaren Interessen die junge Filmschaffende zu ambitionierten Filmproduktionen, die sich etwas trauen und denen eine subtile Poesie innewohnt.

Zu ihrer ersten eigenständigen Schnittarbeit kam sie durch einen Zufall. Der Zürcher Regisseur Lorenz Suter nahm Tomschin als Schnittassistentin für seinen Master-Abschlussfilm «Der Ewige Tourist» (2011) an der ZHdK ins Boot. Als seine eigentliche Schnittmeisterin ausfiel, übernahm Tomschin noch in ihrem ersten Studienjahr kurzerhand das gesamte Projekt. Seitdem war sie an allen seinen Filmen beteiligt. Im Verlauf ihres Studiums folgten weitere Kooperationen, in denen Tomschin sich in anderen Filmbereichen ausprobieren konnte. Doch erwies sich ihre erste Leidenschaft als wahre Berufung. Für ihren Abschlussfilm «Blue Blue Sky» (2014) wurde  Tomschin mit dem Deutschen Kamerapreis in der Kategorie Schnitt ausgezeichnet.

Ein Blick auf ihr heutiges Portfolio zeigt ihre Bandbreite: Tomschin realisierte in den vergangen zehn Jahren sowohl Spiel- als auch Dokumentarfilme. Diese formale und inhaltliche Vielfalt erlebt die Editorin als befreiend. Ihre Arbeit gibt ihr den Raum, die Grenzen zwischen Schnitt und Regie fliessend zu halten. Den Dokumentarfilm «Der Esel hiess Geronimo» (2018) realisierte sie in Ko-Regie mit ihrem Partner Arjun Talwar. Die Dreharbeiten zogen sich über drei Jahre, Tomschin und Talwar waren hier auch für die Finanzierung und Auswertung ihres Films verantwortlich. In den Projekten als Editorin wiederum konzentriert sich ihr Einsatz auf die intensive Zeit, in der ein Werk zu seiner Form findet. Tomschin beschreibt ihren Arbeitsprozess als einen intensiven Dialogprozess mit der Regie, in dem ihre Rolle als Geburtshelferin der Erzählung dankbar angenommen wird.

Bei Spielfilmen dient der Schnitt einer gesetzten Dramaturgie, die Ausgangslage bei Dokumentarfilmen ist eine andere. Das Schneiden basiert auf dem genauen Beobachten und Beschreiben des vorhandenen Filmmaterials. Oft konstruiert sich erst im gemeinsamen Sichten ein spannungsvoller Erzählbogen, so war es auch bei ihrem letzten Projekt «Polish Prayers» (2022, Zürcher Filmpreis/Beste Regie 2023) von Hanna Nobis. Der Film begleitet die Emanzipation eines jungen Polen, der aus einer christlich-klerikalen Bruderschaft aussteigt. Anteks Geschichte folgte keiner klaren Dramaturgie. Im Schnitt galt es aus dem heterogenen Filmmaterial, das sich mit fortschreitender Persönlichkeitsentwicklung immer fragmentarischer zeigte, eine nachvollziehbare Erzählung herauszuarbeiten. Tomschin ist sich aber auch ihrer Verantwortung bewusst: Wie man eine Person zeige und welche Geheimnisse man einer Figur liesse, das sei ein Gefühl. Eine Grundvoraussetzung für ein gutes Projekt sei, dass auch die Regie ihre Haltung zum Thema einnimmt.

Ihr genauer und empathischer Blick wirkt wie ein Prüfstein im Prozess. Das beschreibt auch Lorenz Suter: «Bigna Tomschin hat eine eigenständige Autorenschaft, da sie sich in Gefühle und Menschen eindenken kann, was nicht selbstverständlich ist. Sie findet die Geschichte in der Geschichte». Mitte 2024 feiert «Norma Dorma», der dritte gemeinsame Spielfilm von Suter und Tomschin, Premiere. Bei diesem Mystery-Drama über eine alleinerziehende Mutter fungiert Tomschin auch als Co-Autorin. Und noch davor ist «Diciassette», ein von Tomschin montierter Kurzfilm von Thomas Horat auf den Solothurner Filmtagen zu sehen. Die experimentelle Dokumentation – mit Animationselementen – über die mündliche Überlieferung von Geschichte  zeigt eine weitere Facette der Editorin, die sich bis zum Frühjahr zurückgezogen hat, um an einem eigenen Drehbuch zu schreiben. Tomschin ist definitiv ein Talent, das noch von sich hören lassen wird.

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