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Rettet den Herbst!

Florian Keller
06. Januar 2020

Warum nur, so unser Gastkommentator Florian Keller, sparen die Filmverleiher alle ihre besten Stücke für den Kinoherbst auf? Eine Weiterführung der Diskussion aus der letzten Ausgabe von Cinébulletin über die Krise von ­Studiokinos.

Klar, im Herbst starten traditionell mehr Filme als sonst. Das ist nicht neu, daran haben selbst Netflix und die Digitalisierung nichts geändert. Trübes Wetter, es wird früher dunkel, ergo gehen die Leute wieder öfter ins Kino. So weit, so einleuchtend. Nur ist die Zahl der Filme, die in die Kinos geworfen werden, mit der Digitalisierung nochmals stark angestiegen. Das ist ein Problem für sich, mit den bekannten Nebenwirkungen: Das Kino verkommt zum Durchlauferhitzer für immer mehr Filme, die sich infolgedessen immer weniger lang in den Kinos halten können.

 

Selbst als Filmkritiker überfordert

Aber richtig brutal wird das eben: im Herbst. Jene paar Wochen im Jahr, als schon früher die meisten Filme starteten, ersticken nun erst recht im Überangebot – noch mehr als sonst, noch schneller weg. Wenn da viel Mediokres dabei wäre, würde es mich auch weniger stören. Aber die Verleiher, so scheint es, sparen sich ihre besten Stücke mit Vorliebe für den Herbst auf. Und die Kinobetreiber, die dann mit dieser extremen Ballung jonglieren müssen, wollen oder können ihnen das offenbar nicht ausreden.

So kommt es, dass viele Filme, die mehr Aufmerksamkeit verdient hätten, einander an allen Fronten kannibalisieren: im Vorfeld in den Medien und später beim Publikum, aber auch in den Kinos, wenn mehrere Betreiber oft dieselben Filme spielen, aus Angst, sie könnten einen Hit verpassen. Thomas Imbach brachte die Sache im letzten «Cinébulletin» auf den Punkt: «Das Problem ist eben nicht nur, dass es zu viele Filme gibt, sondern dass wir mit dieser Menge noch nicht richtig umgehen können. Alle sind überfordert, auch das Publikum». Ich bin zwar nur ein Bruchteil des Publikums und auch nur bedingt repräsentativ. Aber was mich überfordert, ist vor allem der Overkill im Herbst.

Das ärgert mich erstens als Filmkritiker, der nach dem Sommer ja nicht plötzlich mehr Platz zur Verfügung hat als sonst. Ich muss also ausgerechnet dann besonders streng selektionieren, wenn binnen weniger Wochen so viele inspirierende Filme anstehen wie sonst nie. Es ärgert mich zweitens als Kinogänger, weil ich es bei dem Überangebot ab September manchmal selbst nicht schaffe, all das im Kino zu sehen, was ich auf keinen Fall verpassen will (und für mich gehört das zum Beruf, also wie sollen das erst alle anderen schaffen, die nur in der Freizeit ins Kino gehen).

 

Und schon folgt der Nachschub

Vor allem aber ärgert es mich als Liebhaber von unvergleichlichen Filmen wie «Lazzaro felice» oder zuletzt «Atlantique», die vielleicht einfach etwas mehr Zeit und mehr Atem bräuchten – aber dann sind sie schon fast wieder weg vom Fenster, bevor man sie seinen Nächsten ans Herz legen konnte. Die Verleiher müssen schliesslich ihre teuer erkauften Filme loswerden, darum drängen die nächsten Titel immer gleich nach. Wer weiss, vielleicht laufen die dann besser, und falls nicht, gibts ja gleich wieder Nachschub. Die Verleiher haben aber auch gar kein grosses Interesse, dass ihre Filme sich lange halten, weil sich der Box-Office-Split bald nach dem Start deutlich zugunsten der Kinos verschiebt: Je länger ein Film läuft, umso weniger springt für die Verleiher heraus.

 

Mangelnde Fantasie

Doch es geht mir hier nicht um Schuldzuweisungen. Und klar gibts auch Sachzwänge. Ein Kinostart will sorgfältig vorbereitet sein, mancher Release ist an Starts in Frankreich oder Deutschland gebunden. Aber Sachzwänge sind oft nur ein Alibi für mangelnde Fantasie bei der Lösung von Problemen. Auch Imbach mahnt zu einer «besseren Absprache». Ja, aber bitte auch bessere Verteilung übers Jahr!

Sie erwischt mich regelmässig, ja, sie ist chronisch geworden: die schlechte Laune, wenn es wieder auf Mai und Juni zugeht. Die Lust auf Kino wäre da, aber das Programm ist meist so fad. Weil die besten Titel entweder schon durch sind. Oder eben noch warten müssen, bis wieder Herbst ist.

▶  Originaltext: Deutsch

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