Was wir angetroffen haben, war ein schwieriges Umfeld. Die Dringlichkeit der Reformen war so gross, dass wir alles gleichzeitig in Angriff nehmen mussten. Insbesondere in der Unternehmenskultur war ein grosser Wandel nötig. Für Nicole Schroeder, die seit 12 Jahren für FOCAL tätig war, war die Arbeit im vereinbarten Teilzeitmandat nicht zu bewältigen, so entschied sie sich zu gehen. Auf die Co-Leitung waren wir gut vorbereitet und unsere Zusammenarbeit hat auch sehr gut funktioniert. Daran lag es also nicht.
Wir nahmen eine Entflechtung von Zuständigkeiten vor und klärten die Rollen auf allen Ebenen, vom Stiftungsrat über die Geschäftsstelle bis zu den Programmverantwortlichen. Vorher war Focal ein familiäres Konstrukt, man wurde gemeinsam gross, vergleichbar mit den Solothurner Filmtagen. Aufsicht und Operation waren stark verflochten. Das führte zu diversen Problemen. Es war ein Kraftakt, eine kollaborative und gendergerechte Arbeitshaltung zu schaffen und transparente Arbeitsprozesse zu etablieren.
Das hat nichts mit der Grösse, sondern mit Professionalität zu tun. Im Gegenteil, wir sind in Bezug auf das Gesamtbudget kleiner geworden, seit ich angefangen habe. Vorher sind deutlich über die Hälfte der Ausgaben ins Ausland geflossen, in aufwändige Programme, die viel personelle Ressourcen brauchten, auch wenn es bei der Finanzierung Partnerschaften gab . Dank meiner Umschichtung konnte das Angebot in der Schweiz wachsen, obwohl wir heute weniger Finanzen zur Verfügung haben. Wir konzentrieren uns. Im Ausland finden nur noch sehr spezifische Programme statt.
Da gibt es zwei Bewegungen. Zum einen helfen wir dabei, Schweizer:innen aus der Filmbranche in die bestmöglichen europäischen Programme zu bringen. Das tun wir gemeinsam mit Media Desk Suisse. So konnten wir dank Partnerschaften zwei Plätze in zwei schwer zug änglichen Programmen sichern.
Zum anderen wollen wir selber im Ausland präsent sein. Doch seit uns seit 2014 das Netzwerk von Creative Europe fehlt, ist es viel schwieriger geworden, Finanzierungspartner zu finden für unsere Programme. Ich versuche das teils durch mein Netzwerk wettzumachen, das ich in meiner Arbeit als Leiterin von Media Desk Suisse und als Eurimages-Delegierte aufgebaut habe. Dennoch müssen wir für unsere Angebote in Europa viel in die Promotion investieren.
Überhaupt nicht, und dies nicht nur, weil die Schweiz gute Saläre bezahlt; die Schweiz gilt als attraktiv. Rund die Hälfte unserer Dozierenden stammen aus dem Ausland.
Ich denke, es macht Sinn, wenn die Programmverantwortlichen von Zeit zu Zeit wechseln, so dankbar wir sind für die teils langjährigen Engagements. Wichtig ist uns auch, dass die Leute wirklich im Beruf arbeiten und Branchennähe aufweisen. Die neue Besetzung hat den Austausch untereinander gestärkt und ist auch im Team ist vieles intensiver geworden.
Wir bleiben dabei, dass bei uns erfahrene Berufsleute und nicht Lehrpersonen unterrichten. Aber die Ansprüche an den Unterricht sind grösser geworden. Während der Pandemie, als der Unterricht hybrid wurde, holten wir uns Anregungen von der pädagogischen Hochschule Zürich; einiges davon wird Bestand haben. Anspruchsvoll ist, dass die Kurse immer kürzer und somit kompakter werden. Focal deckt ungefähr 80 von hundert Filmberufen ab und es kommen immer noch neue hinzu. Aktuell planen wir ein noch divers eres Angebot nicht nur für die kreativen Köpfe, sondern auch für die filmtechnischen Berufe, wo ein regelrechter Fachkräftemangel existiert.
Der Fachkräftemangel ist einerseits strukturell verursacht: Die Fachhochschulen bilden viele Leute in den Bereichen Regie, Drehbuch oder auch Kamera aus, aber für Filmtechniker:innen gibt es nach wie vor kaum eine Ausbildung in der Schweiz. Am stärksten zeigt sich der Mangel im Bereich Produktionsleitung, Produktionsassistenz und Aufnahmeleitung. Da besteht ein Ungleichgewicht. Nun wollen die Verbände mehr Quereinstiege ermöglichen, wir sind dabei, dazu die entsprechenden Weiterbildungsangebote zu kreieren.
Ja, und das ist auch nach wie vor ein guter Weg, diese Berufe zu lernen. Ein Problem besteht jedoch darin, dass die Leute heute viel zu schnell in Positionen wechseln, die sie überfordern, zum Beispiel von der Produktionsassistenz zur Produktionsleitung. Eine Herausforderung besteht also darin, dass die Fachleute nicht so schnell wieder aus den Berufen aussteigen. Unsere Angebote können dazu beizutragen. Dabei geht es auch um Soft-Skills wie Konfliktmanagement, Abgrenzungstechniken, Resilienz, Selbstmarketing – lauter Fähigkeiten, die im Beruf ebenfalls essentiell sind.
Zum Teil ist in der Branche aber auch ein Umdenken nötig. Eine schwedische Fachkollegin sagte mir letzthin, dass sich in Schweden bei Dreharbeiten ein neuer Rhythmus etabliert hat von 4 Tage Dreh, drei Tage Pause usw. Produktionen werden damit nicht teurer, sie dauern nur länger, werden damit aber zugleich attraktiver. Gerade junge Leute wollen einfach eine bessere Work-Life-Balance. Dass die Arbeit im Film krank machen kann, wissen wir alle.
Nein, überhaupt nicht. Dabei müssen wir uns überlegen, was wir ändern müssen, damit die Arbeit beim Film wieder attraktiver wird. Es gibt mittlerweile viele Kreativwirtschaften, die besser aufgestellt sind. Der Film ist immer noch sehr hierarchisch organisiert, oft überfordernd, wenn auf Phasen der Überarbeitung Phasen von Arbeitslosigkeit folgen. Das ist ein strukturelles Problem, das man angehen kann – ähnlich wie das Thema Nachhaltigkeit.
Es ist wie bei der Gleichberechtigung, diese kann man auch nicht von oben einfordern. Der Wandel geschieht eher von unten, mit jungen Generationen, die sich einbringen. Junge Produktionsfirmen arbeiten schon heute anders, es gibt mehr Kollektive, neue Formen von Zusammenarbeit auch unter Produzent:innen. Das finde ich spannend.
Um sich nach der Ausbildung in der Branche behaupten zu können, braucht es oft zusätzliche Qualifikationen. Jährlich werden an den Filmschulen etwa fünfzig Leute ausgebildet. Das sind so viele, dass wir gezwungen sind, zu selektionieren. Dies obwohl unter meiner Leitung deutlich mehr Gelder in den Nachwuchs unter 35 fliessen. Insbesondere für Stage Pool, d.h. in projekt- und betriebsbezogene Praktika also, darauf bin ich stolz.
Wir haben schon erste Erfahrungen mit Streamern gemacht. So haben wir, was eine einmalige Chance war, für Netflix ein Weiterbildungsprogramm (Production Value) in Indien durchgeführt. Auf das revidierte Filmgesetz reagieren wir einerseits durch besagte Antwort auf den Fachkräftemangel. Dann auch durch Angebote für neue Berufe, die es bei der Zusammenarbeit mit Streamern braucht. Ich denke hier zum Beispiel das komplexe Accountance Reporting . Oder die total unterschiedliche Budgetierung und Drehplanung. Die Streamer arbeiten ja anders als unser Fernsehen, da werden die Produktionspläne und Budgets noch ohne Drehbücher entworfen, was eine ganz andere Planung erfordert.
Originaltext: Deutsch
Rachel Schmid leitet Focal seit März 2019. Sie begann ihre berufliche Laufbahn 1987 als Theater- und Filmproduzentin. 1999 Spezialisierung zur Expertin für Script Development. 2005-2011 Geschäftsleiterin von Media Desk Suisse und anschliessend stellvertretende Leiterin des Master Film an der ZHdK. 2012-2019 Eurimages-Delegierte des Bundesamtes für Kultur und Kommissionsmitglied in diversen Filmförderungen. Verfasserin mehrerer Studien zur Filmförderung. Rachel Schmid hat in Zürich, Berkeley und Paris Betriebswirtschaft, Germanistik und Theaterwissenschaft studiert und in Hamburg ein Nachdiplomstudium in Kulturmanagement besucht.