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«Neu werden Auftragsproduktionen möglich»

Kathrin Halter
21. Juli 2022

Patrick Gantner © zvg

Patrick Gantner, Leiter Co-Produktionen bei blue+, über bisherige Investitionen des grössten privaten Fernsehveranstalters in das Schweizer Filmschaffen, über Ausbaupläne und neue Ideen angesichts des revidierten Filmgesetzes. 

Private Fernsehveranstalter investieren in der Schweiz laut BAK pro Jahr insgesamt eine Million Franken in unabhängig produzierte Kinofilme und fünf Millionen in Fernsehfilme und Serien. Wie viel davon geht auf das Konto von blue+, früher Teleclub? 

Pay-TV gibt es in der Schweiz seit 30 Jahren, seither sind wir im Geschäft. Via Teleclub – heute blue+ genannt – haben wir vier Prozent unserer jährlichen Pay-TV-Umsätze in das unabhängige Schweizer Filmschaffen investiert, in Form von Ankäufen, von Koproduktionen und auch in Form von Werbegeldern. Das ergibt über die ganze Zeit gerechnet über 200 Filme und einige Millionen Franken. Detaillierte Zahlen kommunizieren wir keine. Sagen kann man dennoch, dass sämtliche grösseren Schweizer Spielfilme von «Achtung fertig, Charlie!» über «Zwingli» bis zu «Platzspitzbaby» mit unserer Hilfe koproduziert worden sind.  

 

In welchem Stadium sind bei Anfragen die Projekte, die zu euch gelangen?

Es gibt die ganze Bandbreite, von gepitchten Ideen über ausgefeilte Drehbuch-Dossiers bis hin zu fertig produzierten Filmen, die nur noch eine Restfinanzierung brauchen. 

 

Arbeitet ihr bei der Auswahl mit festgelegten Kriterien?

Jein. Es gibt eine Gesamtstrategie, die Schwerpunkte festlegt. Der Bezug zur Schweiz respektive eine lokale Verankerung, Relevanz, Aktualität und natürlich das Storytelling sind wichtige Kriterien. Ein wesentlicher Punkt ist auch die Vermarktbarkeit, die Frage, ob die Projekte zu unserer Plattform passen: Wir sind ja ein kommerzielles Unternehmen. Entschieden wird in einem Team von fünf bis sechs Leuten; in meiner Funktion als «Head of Co-Production» bin ich für den Bereich verantwortlich und entscheide zusammen mit der Gruppe Fiktion letztendlich über die finale Auswahl der Projekte.

 

Wie oft finanziert ihr Dokumentar­filme, im Verhältnis zu Spielfilmen, mit?

Es ist kein grosser Anteil, im Moment sind etwa 80-90 Prozent der Koproduktionen Spielfilme. 

 

Alle von euch mitfinanzierten ­Filme gelangen auch auf die Plattform von blue+? 

Ja, das ist ein grosser Pluspunkt, Swisscom blue TV hat mittlerweile 1,5 Millionen Anschlüsse, das ergibt gute Voraussetzungen, die Filme dort zu positionieren und zu vermarkten. 

 

Auf der Streaming-Plattform von blue+ gibt es je nach Sprachregion eine andere Auswahl, im Oktober 2021 waren es in der Deutschschweiz rund 10’000 Filme, Serien, Dokus und Kinderinhalte, in der Romandie rund 5’000, im Tessin rund 3’000. Dazu zählten je etwa 100 Schweizer Filme. Wieviele Schweizer Titel sind es heute? 

Mittlerweile gut das Doppelte, also über 200 Schweizer Filme. Neben eigenen Lizenzen sind wir ja auch Partner von filmo, auch ihre Angebote sind auf unserer Plattform. 

 

In der Kategorie «Schweizer Filme» auf blue Videos finden sich allerdings aktuell 82 Filme… 

In der Kategorie «Schweizer Filme» ist das so. Es gibt aber zusätzlich die Kategorie filmo mit weiteren 99 Schweizer Filmen. Auf unserem Streaming-Service blue Play sind es bedeutend mehr als bei blue Video – es kommt eben darauf an, unter welcher Kategorie die Filme gesucht werden. Schweizer Filme sind auch unter diversen Genres aufgeführt. Wichtiger als permanente Verfügbarkeit ist beim Kuratieren eine rotierende Filmauswahl; so sieht der Kunde, dass sich etwas bewegt. Dennoch wollen wir das in Zukunft auch noch besser und anders machen.

 

Wie werden die von blue+ unterstützten Schweizer Produktionen beworben? 

In Form von Kinospots in unseren Kinos, in Form von TV-Spots, von Talk- oder Interview-Formaten. Trailer gibt es auch auf dem frei empfangbaren Sender blue Zoom, beworben wird auch im Newsletter an unsere Kunden.

 

Haben die von euch mitfinanzierten Produktionen einen bevorzugten Platz in blue Cinema, den Kinos?

Nein. Die Filme werden klassisch über ihren Verleih programmiert. Unsere Kinos sind als Multiplex kommerziell ausgerichtet, da muss die Platzierung passen. 

 

Ab 2024 gilt die Investitionspflicht gemäss dem revidierten Filmgesetz bekanntlich auch für die Einnahmen aus dem Streaming-Angebot. Was plant blue im Hinblick auf die verstärkte Zusammenarbeit mit der Schweizer Filmbranche?

Einerseits müssen wir mehr investieren. Es gibt in Zukunft aber auch eine grössere Flexibilität, wie und wann wir dies tun. Bis anhin waren es jährliche Investitionen, mit dem neuen Zeithorizont von bis zu 4 Jahren können wir uns auch an etwas Grösserem beteiligen. Das betrifft vor allem den Serien-Bereich, wo sicher mehr geschehen wird. Neu werden Auftragsproduktionen möglich. Auch im Dokumentationsbereich machen wir uns Gedanken, was wir auf der Plattform neu mit anbieten möchten. Im Dokutainment oder True-Crime-Bereich gibt es interessante Stoffe aus der Schweiz. Wir sind gerade dabei, einen erweiterten Kriterien-Katalog zu erstellen. 

 

Wird dieser Katalog ausgeschrieben, sind die neuen Kriterien einsehbar?

Nein, wir wollen primär an einzelne Produzenten herantreten und ihnen unser Interesse an bestimmten Themen zuspielen; Kriterien werden nicht veröffentlicht. Wir können uns auch vorstellen, im Bereich Drehbuchförderung etwas zu machen. Wie wir es dann konkretisieren, ist noch nicht ganz spruchreif, aber die Überlegungen gehen schon in diese Richtung. Das kreative Potential in der Branche ist da. Ich habe in Gesprächen immer wieder festgestellt, wie dankbar und offen die Leute sind zu erfahren, woran wir Interesse haben. Aufgrund des neuen Gesetzes, das mehr Akteure mehr als bisher in die Pflicht nimmt, wird eine neue Dynamik entstehen, die der ganzen Schweizer Filmlandschaft auch gut tun wird.   

 

Wird blue+ für Auftragsproduktionen auch selber Drehbücher entwickeln (lassen)?

Man kann Auftragsproduktionen auf verschiedene Arten aufgleisen. Wir können entwickelte Stoffe übernehmen und eine ausfinanzierte Eigenproduktion daraus machen. Wir können auch eigene Ideen umsetzen, ein Beispiel dafür wäre die Eigenproduktion «Lohmann hebt ab», ein Comedy-Format von 12 Episoden über einen Callcenter-Mitarbeiter in der Nachtschicht, der sich mit den unmöglichsten Anfragen auseinandersetzen muss. Die Produktion – die Idee stammt von einem unserer Mitarbeiter –, wurde im Auftrag an eine Produktionsfirma vergeben und läuft nun mit 70’000-80’000 Zuschauern pro Episode erfolgreich auf unserer Plattform und auf blue Zoom. So etwas kann aber auch ausserhalb der Investitionsverpflichtung stattfinden.

 

Wird bei blue+ deshalb auch zusätzlich Personal engagiert?

Es ist noch offen, ob wir auch selber entwickeln wollen. Wir haben ja noch etwas Zeit, um die Wirksamkeit des Filmgesetzes zu beobachten und uns bis 2024 aufzustellen. Aber wir wollen wohl kaum ein eigenes Produktionshaus aufbauen, sondern primär die Professionalität in der bestehenden Schweizer Produzentenlandschaft nutzen. 

 

Wie stellt sich blue+ zu Arthouse-Produktionen?

Entscheidend ist vielmehr die Frage, wo Arthouse-Filme gut aufgehoben sind – jedenfalls eher nicht in unseren Kinos. Aber es gibt für uns ja auch die Möglichkeit, Filme zu lizenzieren und digital verfügbar machen. Das tun wir bereits. 

 

Können Sie etwas zu den Serien-­Plänen von blue+ sagen? Mit «Quartier des Banques» (2017-2019) hat sich Teleclub erstmals an der Mitfinanzierung einer TV-Serie beteiligt. 

Das war eine sehr gute Zusammenarbeit und Erfahrung, wir wollten das ausprobieren und haben festgestellt, es funktioniert. An der Entwicklung waren wir nicht beteiligt, aber die Auswertung wurde gemeinsam mit der Produktionsfirma und der SRG festgelegt. 

Was neue Serien anbelangt, ist im Moment noch nichts spruchreif. Grössere Beteiligungen von bis zu 50 Prozent sind gut denkbar, dass wir eine Serie hingegen vollumfänglich produzieren, halte ich im Moment für unwahrscheinlich, das sind ja sehr hohe Beträge, je nachdem muss man mit 500’000 bis 750’000 Franken pro Episode rechnen. Da stellt sich eher die Frage nach Partnerschaften, mit der SRG sind wir bereits im Austausch, wir haben auch schon Signale von ausländischen Streaming-­Anbietern erhalten. 

 

 Gibt es eine Abgrenzungsstrategie gegenüber der SRG? 

Schweizer Fernsehen hat einen Förderauftrag, um die kulturelle Vielfalt zu gewährleisten, wir haben eine Förderverpflichtung, sind als Pay-TV-Anbieter zugleich kommerzieller ausgerichtet. Daher gibt es gewissermassen eine natürliche Abgrenzung, auch wenn wir die SRG primär als mögliche Partnerin wahrnehmen. 

 

Globale Streaming-Anbieter sind bei gemeinsam produzierten Produktionen auch Konkurrenten, was die Exklusivität betrifft?

In der Vergangenheit spielte die Exklusivität eine zentrale Rolle, doch das ist gar nicht mehr so relevant. Heute geht es eher darum, das Angebot so clever zu kuratieren, dass für die Kunden klar ist, was sie erhalten. 

Aus der Warte eines Anbieters wie wir, die auch aggregieren, sind andere Modelle gut möglich, wir können auch mit Co-Exklusivität gut leben. Ein lokaler Anbieter kann einen Film unter Umständen schon früher anbieten, der globale Anbieter folgt später oder umgekehrt. Für internationale Anbieter steht vielmehr die weltweite Reichweite im Zentrum. Internationale Streaming Anbieter denken global, wir Regionalen denken national. Das erleichtert Partnerschaften und ergibt Chancen für eine Zusammenarbeit. 

 

Originaltext Deutsch

 

Patrick Gantner

Patrick Gantner ist seit zweieinhalb Jahren «Head of Co-Productions» bei blue, dabei ist er für die Auswahl, Evaluierung und Begleitung von Koproduktionen und Lizenzeinkäufen verantwortlich. Er arbeitet seit 28 Jahren bei blue+, früher Teleclub.  

Seit 2020 gibt es die Marken Swisscom TV, Teleclub oder Kitag nicht mehr, die Swisscom fasst ihr gesamtes Unterhaltungsangebot unter der Marke blue zusammen. Swisscom TV heisst nun blue TV, Teleclub blue+, die Kitag-Kinos heissen blue Cinema. 

 

Die Locarno-Vitrine von blue

Bei blue Play, der für Swisscom-Abonnenten kostenlos zugänglichen Mediathek, werden während der Dauer des Festivals rund acht Filmpremieren aus der Sektion ­«Cineasti del presente», internationale Erst- und Zweitlinge also, verfügbar sein. Zudem werden rund 25 weitere Filme aus der 75-jährigen Geschichte von Locarno präsentiert; blue+ ist «Official Streaming-Partner» des Locarno Film Festival 2022. 

 

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