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«Oberflächenreiz reicht heute nicht mehr»

Kathrin Halter
21. September 2020

Christian Jungen (© Gabriel Hill / ZFF)

Christian Jungen, neuer künstlerischer Direktor des ZFF, über seine erste Festival-Ausgabe, Programmpolitik im Jahr der Pandemie und die prominente Rolle des Schweizer Filmschaffens.

 

Wie war Ihr Einstand als neuer künstlerischer Direktor während der Pandemie?

Ich habe am 1. Januar übernommen. Es hat gut angefangen, mit vielversprechenden  Begegnungen beim Sundance und an der Berlinale. Als sich das Ausmass der Pandemie zeigte, war das schon ein Schock – auch weil alle alles fallenliessen. Ich fand immer, wir müssen weitermachen, auch wenn es anstrengend wurde, weil Finanzierungen wegbrachen. 

 

Sie waren Ihr Berufsleben lang Filmjournalist – ein eher ungewöhnlicher Background für einen Festivaldirektor.

Untypisch ist das nicht. Thierry Jobin oder Emmanuel Cuénod waren einst Filmkritiker, Irene Bignardi und Carlo Chatrian …. Die Festivalwelt kenne ich durch meine bisherige Arbeit, auch als Buchautor, sehr gut. Ich war auch nicht naiv. Natürlich ist ein gutes Kontaktnetz wichtig: Die Festivalwelt ist ein People-Business – ob man den Zuschlag für einen Film bekommt oder nicht, hat auch mit persönlichen Beziehungen zu tun. Am Schluss machen sie es auch für dich.   

 

Konnte das ZFF im internationalen Bereich wie erhofft von verschobenen Premieren und ausgefallenen Festivals profitieren?

Ja und nein. Ein paar Titel konnten wir tatsächlich erben. Was dieses Jahr hingegen fehlt, sind typische Cannes-Filme wie der neue von Nanni Moretti. Auch viele erhoffte US-Filme – wie «The French Dispatch» von Wes Anderson – wurden auf 2021 verschoben. Dafür zeigen wir in unserem stark europäisch ausgerichteten Programm so viele Weltpremieren wie kaum zuvor und haben dabei sicher ein paar mutige Entscheide gefällt. Ein Politthriller wie «New Order» des Mexikaners Michel Franco hätte es früher vermutlich nicht ins Gala-Programm geschafft. Auch die Wettbewerbe werden cineastisch gewagter sein.

 

Das ZFF bedeutet vor allem: Stars und Nachwuchs, Gala-Vorpremieren grosser Herbst-Titel und Arthaus-Kino. Das war manchmal ein Spagat. Wie wollen Sie sich als neuer Direktor gegenüber Ihren Vorgängern profilieren?

Das Wichtigste ist, dass das ZFF für die Filme da ist und nicht umgekehrt. Was wir tun, tun wir für die Filme – damit sie entdeckt werden und eine grössere Chance haben, ein Publikum zu finden. Zweitens bekennen wir uns ganz klar zum Kino. Damit unterscheiden wir uns von den Opportunisten der Stunde: Andere Festivals zeigen jetzt auch noch Games oder VR oder wollen Teile des Programms auch langfristig ins Netz stellen.

Das ZFF wurde in den sorgloseren Nullerjahren gross, als Karl Spoerri und Nadja Schildknecht gegen viel Argwohn bewiesen haben, dass Stars auch in die Schweiz anreisen. Das hatte etwas Sensationelles. Wir leben – auch ohne Pandemie – in anderen Zeiten. Das Zusammenleben wurde komplizierter, der wirtschaftliche Druck grösser. Oberflächenreiz reicht heute nicht mehr, das Publikum verlangt mehr. Wir werden weiterhin Stars einladen, aber die Attraktion soll mehr von den Inhalten, von der Substanz und dem Tiefgang von Autorenfilmern ausgehen. Da möchte ich mehr in die Tiefe arbeiten.

 

Und was bedeutet das für die drei Wettbewerbe?

Wir wollen diese Filme mehr ins Zentrum zu stellen – insbesondere den Fokus-Wett­bewerb für Filme aus der Schweiz, Deutschland und Österreich, der gegenüber dem Spielfilm- und dem Dokumentarfilm-Wettbewerb gleichwertig ist. Deshalb wurde auch das Preisgeld des Fokus auf 25ʼ000 Franken angeglichen. Filme wie «Cronofobia» oder «Blue My Mind» haben ihre Festivalkarriere hier angefangen. Generell möchte ich die Position des ZFF im deutschsprachigen Raum noch mehr stärken –  da sind wir das zweitgrösste Festival nach der Berlinale, grösser als das Filmfest Hamburg, die Viennale oder das Filmfest München.

 

Neu laufen Schweizer Filme nur noch im Fokus, nicht mehr im internationalen Spielfilm- oder Dokumentarfilm-Wettbewerb. Weshalb diese regionale Beschränkung?

Der Fokus ist doch nicht regional…! Der deutschsprachige Raum hat 100 Millionen Einwohner. Den Erstlings- bis Drittlingswerken kann im Fokus viel Aufmerksamkeit zukommen – das ist jene Sektion, die im letzten Jahr am meisten Zuschauer hinzugewonnen hat. Zudem ist in der Festivallandschaft die Unterscheidung nach Ländern ein weit verbreitetes Konzept.

 

Wirken Filme aus der Romandie im Fokus nicht verloren?

Der Fokus ist ein Dreiländerwettbewerb, wir sind ein viersprachiges Land – weshalb soll das ein Problem sein? Auch «Cronofobia» - ein italienischsprachiger Film – begann seine Festivalkarriere im Fokus. 

 

Schweizer Filme im Fokus – sowie solche an Gala-Premieren – erhalten vom BAK keine Succès-Punkte, das ist ein Nachteil.

Wir haben jetzt die absurde Situation, dass das BAK Succès-Punkte für den Spielfilm und den Dokumentarfilm-Wettbewerb gibt – ausgerechnet dort also, wo per Definition keine Schweizer Filme laufen. Und dies in einem Jahr, wo es für Filmschaffende sowieso schwierig ist, Succès-Punkte zu sammeln, weil Locarno und Nyon nicht regulär stattfinden konnten. Wir hoffen schon, dass der Fokus-Wettbewerb vom BAK in Zukunft unbürokratisch anerkannt wird (Anm. der Red: siehe Box). Für eine Zulassung zur Nomination beim Schweizer Filmpreis wurde der Fokus hingegen anerkannt.

 

Dass Schweizer Filme am ZFF stark präsent sind, ist auch der Pandemie geschuldet. Bleibt das so, wenn die Stars wieder anreisen können?

Rolf Lyssy habe ich bereits im letzten Dezember eingeladen, als von Covid noch kaum die Rede war... Unter meiner Direktion wird der Schweizer Film eine starke Präsenz behalten, auch wenn nächstes Jahr vermutlich ein paar einheimische Filme weniger laufen, weil sie schon an anderen Festivals zu sehen waren. Überdies wäre es ja absurd, wenn wir nicht auf den Schweizer Film fokussieren würden: Cannes pusht das französische Kino, Venedig stellt das italienische Kino in die Vitrine – und das Festival in der Filmhauptstadt der Schweiz, wo zwei Drittel aller Produktionsfirmen und Verleiher ansässig sind, pflegt den hiesigen Film.

 

Das ZFF ist zu über 90 Prozent privat finanziert. Wie gross ist das Spardruck wegen der Folgen der Pandemie?

Das einst vorgesehene Budget von 7,8 Millionen Franken musste um rund 10 Prozent reduziert werden. Wegen der Wirtschaftskrise haben wir mehrere Sponsoren und Partner verloren, die selber handfeste Schwierigkeiten haben.

 

ZFF gehört seit 2016 zur NZZ-Mediengruppe. Im neuen Filmgesetz wurde die sogenannte Lex ZFF* gestrichen.

Nachdem wir 2018 kein Geld erhalten haben, hat uns Isabelle Chassot versichert, dass wir wieder vom Bund unterstützt werden. Dieses und nächstes Jahr sind es je 250ʼ000 Franken. Natürlich finden wir, dass wir in Zukunft schon mehr erhalten dürften, wenn man bedenkt, was wir für den Schweizer Film leisten.

 

*Die sogenannte Lex ZFF sollte verhindern, dass Festivals, die gewinnorientierten Unternehmen gehören, Subventionen erhalten.

 

▶  Originaltext: Deutsch

 

Keine Succès-Punkte beim ZFF

Seit 2013 ist das ZFF auf der Festival-Liste des BAK. Succès-Punkte werden wie bisher ausschliesslich im internationalen Spielfilm- und Dokumentarfilm-Wett­bewerb vergeben. Gerade dort sind Schweizer Filme neu nicht mehr zugelassen – sie ­laufen ausschliesslich im Fokus (Erstlings- bis Drittlingsfilme aus Deutschland, Österreich und der Schweiz).

Ivo Kummer sagt dazu, das BAK könne nicht im laufenden Jahr die Spielregeln ändern, um sich der Programmpolitik des ZFF anzupassen (die Liste wurde Anfang Juli 2020 publiziert). Zudem sei die Festivalliste gemeinsam mit Experten entstanden. Wichtigstes Kriterium für Succès-­Festival-Punkte sei die international kompetitive Ausrichtung von Programm-­Sektionen. In der Vergangenheit kam es nur ausnahmsweise vor, dass Schweizer Filme in den internationalen Wettbewerben des ZFF liefen. Meistens waren sie im Fokus zu sehen – sowie «ausser Konkurrenz». Ändern kann sich diese Patt-Situation frühestens 2022, falls das BAK die ­Succès-Liste nächstes Jahr  anpassen sollte.

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