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Mit tausend Titeln fängt es an

Pascaline Sordet
21. September 2020

Pierre-Adrian Irlé, Projektleiter von Play Suisse. © RTS/Jay Louvion

Die SRG lanciert ihre nationale Streaming-Plattform in vier Sprachen. Mittelpunkt der Verhandlungen mit der Branche sind Rechtsfragen.

Schwarzer Hintergrund, rote Schaltflächen, automatisch laufende Trailer im Vollbildmodus, Filme, die nach Kategorien sortiert sind: Die ersten Eindrücke zeigen eine moderne Plattform, die visuell an jene internationalen Konkurrenten erinnert, die das Publikum schon kennt. Die Sites der Sender – Play RTS, Play SRF, Play RSI und Play RTR sowie der weniger bekannte Play SWI – sind noch keine zehn Jahre alt, wirken im Vergleich zu Play Suisse jedoch bereits veraltet.

So viel zum Auftritt. Was den Inhalt betrifft, so sind für die Lancierung rund tausend Titel vorgesehen, und dann dürften jeden Tag neue hinzukommen. Ein grosser Teil des Katalogs stammt von linearen Sendungen wie Einstein, Falò oder Cuntrast, wobei deren Reportagen wie Filme behandelt werden: «Das Sendedatum oder der Titel der Sendung sind nicht entscheidend, da uns das Thema interssiert. Ich zeige nicht ein ‹Temps Présent›, sondern ‹Les Damnés de Daesch›», sagt Pierre-Arian Irlé, der Projektleiter der Plattform. «‹Temps Présent› ist ein Produzent so wie Point Prod oder  C-Films». Der Inhalt ist in fünf Rubriken gegliedert. In Spielfilme und Dokumentarfilme natürlich, dann auch in Unterhaltung und ­Festivals. Letztere wird Partnerschaften mit Veranstaltungen ermöglichen. Der fünfte Bereich Kategorie listet den gesamten Inhalt gefiltert nach Themen: Gesundheit, Abenteuer, Wissenschaft usw.

 

Verhandlungen über die Rechte

Auch die Koproduktionen der SRG werden auf der Plattform zu finden sein. Da Streaming weder Fernsehen noch Replay ist – auch wenn die Plattform einem Unternehmen wie der SRG gehört –, besitzen die Sender nicht immer die VoD-Übertragungsrechte. Für die Pacte-Produktionen liegen sie bei den unabhängigen Produzenten. Damit Serien wie «Quartier des Banques» oder «Wilder» auf Play Suisse verfügbar sind, muss die SRG diese Rechte kaufen: «Wir verwenden einen grossen Teil unseres Ankaufbudgets für den Erwerb der Rechte an unseren Koproduktionen mit der Branche, was uns im Moment wenig Spielraum für andere europäische Produktionen lässt», sagt Pierre-Adrian Irlé und fügt hinzu, dass Partnerschaften mit Arte oder anderen Service-public-Sendern in Europa derzeit
dennoch im Gespräch sind.

Der Pacte 2020-2023, der seit Anfang Jahr in Kraft ist, war Schauplatz langwieriger Verhandlungen zwischen dem Fernsehen und den unabhängigen Produzenten. «Wir mussten kreativ sein, doch ich kann sagen, dass der Prozess sehr konstruktiv war», sagt Bakel Walden, Direktor Entwicklung und Angebot der SRG und Mitglied der Geschäftsleitung. «Wir kennen die Vergangenheit», fügt er hinzu, «aber nicht die Risiken, die uns erwarten. Während der Verhandlungen wurde mir klar, dass sich die Branche viele Fragen stellte, doch ich hoffe, wir können zeigen, dass diese Plattform eine gute Nachricht für alle ist».

 

Pauschalentschädigungen

In Bezug auf die Filmprojekte sieht der Pacte vor, dass die SRG «in der Regel das Recht hat, die Werke zu Marktpreisen (…) auszuwerten, und zwar nach der Erstausstrahlung durch eine Unternehmenseinheit der SRG SSR». Die Auswertung ist auf das Territorium Schweiz beschränkt und nicht exklusiv, was den Produzenten erlaubt, die Weltrechte an andere Plattformen oder sogar an andere Schweizer Plattformen zu verkaufen.

Zu den Zahlen: Die SRG macht die Produktionen sechs Monate auf Play Suisse zugänglich, die Gegenleistung ist eine Pauschalentschädigung von 5ʼ000 Franken für Spielfilme, 2ʼ500 für Dokumentarfilme und 1ʼ000 Franken für Kurzformate. Der Text präzisiert, und Bakel Walden unterstreicht dies, dass einige Produzenten bei Filmen für ein breites Publikum möglicherweise darauf verzichten werden, «doch wir garantieren die Bezahlung dieser Rechte für alle Filme, auch für die fragilsten».

Für alle älteren Projekte, die nicht im Rahmen des Pacte 2020-2023 produziert wurden, gilt eine Regelung von Fall zu Fall. Zum Beispiel werden die Filme von Zodiac Pictures (Produzent von «Die göttliche Ordnung» und «Heidi») auf der Plattform nicht abrufbar sein. «Wir verfügen gar nicht über die Rechte an den Filmen», erklärt Lukas Hobi. «Sie liegen bei den Verleihern, welche die Filme nach dem Kino-Release noch weiter auswerten. Zudem wird es von den kommerziellen Plattformen nicht gerne gesehen, wenn die Filme parallel im Free-VoD angeboten werden. Oft wird diese Auswertung vertraglich verboten». Aus diesem Grund haben die Produzenten der SRG auch vorgeschlagen, Kinofilme kostenpflichtig anzubieten. Doch die SRG wollte dies nicht.

 

Exklusivrecht für Serien

Bei Fernsehserien erstreckt sich das Streaming-Recht ebenfalls über sechs Monate, allerdings ist es exklusiv. Anschliessend kann die SRG dieses Exklusivrecht um sechs Monate verlängern, oder auch um zwölf, sofern eine zweite lineare Ausstrahlung stattgefunden hat. «Das Modell ist sehr klar, weil wir viele Mittel investieren», sagt Bakel Walden. «Wir beginnen mit sechsmonatigen Streaming-Rechten und einer Option für eine Verlängerung. Wir hoffen, unsere Serien sechs Monate oder eine Jahr lang anbieten zu können, je nach Produktion. Manche Auswertungen sind nicht exklusiv, können also auf mehreren Plattformen erfolgen. Die beliebten Serien werden wir vermutlich lange auf der Plattform sehen können».

Die im Pacte vorgesehene Entschädigung wird anhand eines Prozentsatzes berechnet, der vom Koproduktionsvertrag und vom Grad der finanziellen Beteiligung der SRG abhängt. Sven Wälti, Leiter Film SRG, nennt ein Beispiel: «Für eine Serie wie ‹Sacha› mit einer Investition von 4,4 Millionen Franken, wovon 50% Nutzungsrechte sind, würde die SRG 2,5% der 2,2 Millionen für die Verlängerung des Streamings bezahlen, also 55ʼ000 Franken.»

Bevor er Leiter der Plattform wurde, war Pierre-Adrian Irlé Regisseur und Produzent, unter anderem der Serie «Station Horizon», die auf Play Suisse verfügbar sein wird: «Was die aktuellen Produktionen betrifft, so sind die Bedingungen besser als jene, die ich auf dem Schweizer VoD-Markt für meine Produktionen erlebte. Das Projekt ist sowohl für die Produzenten als auch für die Nutzer eine gute Sache. Oft weiss man nämlich gar nicht, wo man die Schweizer Filme und Serien nach ihrer Kinoauswertung und Fernsehausstrahlung sehen könnte. Deshalb ist es wichtig, dass Play Suisse in erster Linie die Plattform für Schweizer Inhalte ist». Die Serien sollten zur gleichen Zeit wie die erste lineare Ausstrahlung in allen Sprachen zugänglich sein, allerdings nach dem ‹Binge›-Prinzip, das heisst alle Episoden auf einmal.

Kein Succès Play Suisse

Wird es ein Succès Play Suisse geben, so wie es ein Succès Passage Antenne gibt? Sven Wälti hat eine sehr klare Haltung: vorderhand nicht. Im aktuellen Vertrag mit der Branche und bis 2023 profitieren alle Koproduktionen von einer linearen Ausstrahlung und damit von den Gutschriften Succès Passage Antenne. Die Erweiterung oder Modifikation dieses Systems dürfte eine der Grossbaustellen der nächsten Pacte-Verhandlungen sein. Sobald die Plattform lanciert ist, wird es möglich sein, ihre Auswirkungen auf die Konsumgewohnheiten zu beurteilen und die Gutschriften ent­sprechend anzupassen.

Auch die Urheber erhalten Vergütungen für das Streaming. Die Verwertungsgesellschaften haben an dieser Front gekämpft, und schon heute haben alle wichtigen Plattformen Verträge mit der SSA und Suiss-
image. Das neue Urheberrechtsgesetz, das seit 1. April 2020 gilt, sieht ein Vergütungsrecht für die Urheber audiovisueller Werke vor. Die verschiedenen Partner sind derzeit noch daran, den Tarif auszuhandeln; er sollte im Laufe des Jahres 2022 in Kraft treten. Da keiner der bestehenden Verträge gekündigt wurde, gelten weiterhin die heutigen Regeln.

 

Erste Bilanz nach sechs Monaten

Bakel Walden äussert sich nicht zur Zahl der Anmeldungen, die in den ersten Monaten erwartet werden, wichtig sei vor allem, dass die Nutzer das Angebot als redlich und umfassend empfinden und dass es eine Bereicherung darstellt für das Mandat als Service public.

Pierre-Adrian Irlé präzisiert, dass nun die Indikatoren fürs Gelingen definiert werden: «Sechs Monate nach der Lancierung werden wir eine erste Bilanz ziehen, und können ab dann realistische Prognosen erstellen». Er kommt auf eine der Besonderheiten der Plattform zu sprechen: die Tatsache, dass es sich um ein Start-up handelt. «Wir lancieren ein Produkt im Entwicklungsstadium, das mit den Feedbacks der Nutzer ständig verbessert wird». Mit Bugs vielleicht – doch vor allem mit grossen Hoffnungen.

 

▶  Originaltext: Französisch

 

Untertiteln mit Anspruch

Einen Film in einer Fremdsprache zu untertiteln, ist in der Schweiz teuer. Selbst wenn man im unteren Bereich der Preisspanne rechnet, würden die Kosten für 1000 Filme von durchschnittlich 40 Minuten, untertitelt in drei Sprachen, weit mehr als die Hälfte des Gesamtbudgets von 5 Millionen verschlingen, das Play Suisse für Rechteerwerb, technische Entwicklung, Unterhalt und Marketing zur Verfügung steht. Verständlich also, dass das Thema Untertitel dem Projektleiter der Plattform Pierre-­Adrian Irlé den Schweiss auf die Stirn treibt.

Doch es ist ein erklärtes Ziel von Play Suisse, Inhalte aus den verschiedenen Sprachregionen in allen Landessprachen (einschliesslich Rätoromanisch für gewisse Inhalte) zu zeigen. Eine beträchtliche Herausforderung, denn auch die grossen internationalen Plattformen werden regelmässig für die miserable Qualität ihrer Untertitel kritisiert: falsche Platzierung, fehlende Anführungszeichen, Nichtbeachtung der Lesegeschwindigkeit, wörtliche Übersetzungen usw. Insbesondere Netflix wurde vorgeworfen, Lohndumping zu betreiben und bei der Untertitelung – zum Leidwesen der Abonnenten – nicht auf Qualität, sondern nur auf Schnelligkeit zu setzen.

 

Kulturelles Anliegen

Um die Sprachbarrieren zu überwinden, ohne das Budget zu sprengen oder sich dem Spott der Online-Community auszusetzen, musste Play Suisse Lösungen finden. «Für 80% der Werke bestehen Untertitel für Gehörlose und Hörbehinderte in Originalsprache. Das ist eine gute Basis», erklärt Pierre-Adrian Irlé. «Wir haben versucht, diese Untertitel maschinell zu übersetzen, doch das Ergebnis war sehr enttäuschend.» Zweiter Versuch: Um die Qualität zu verbessern, wurde aus den Untertiteln ein fortlaufender, grammatikalisch korrekter Text erstellt und dieser wiederum maschinell übersetzt. Das Ergebnis war besser, aber immer noch nicht zufriedenstellend: «Wir haben beschlossen, diese erste Übersetzung von einem professionellen Übersetzer korrigieren und danach von einem Korrektor überprüfen zu lassen. Das ergibt nicht Broadcast-Qualität, doch es ermöglicht ein komfortables Anschauen der Inhalte.» Dank diesem System konnten die Kosten auf unter 10 Franken pro Minute gedrückt werden. Pierre-Adrian Irlé fügt hinzu, dass der Prozess sich mit der Weiterentwicklung der Übersetzungssoftwares kontinuierlich verbessern werde. «Es wird immer noch nicht perfekt sein, aber dafür bezahlbar, und wird sich laufend verbessern», schliesst er. «Das Wichtigste ist jetzt, vorwärts zu gehen» und die Plattform zu lancieren.

Es dauerte sechs Monate, bis Swiss TXT – die Multimedia-Agentur der SRG, die unter anderem für Untertitelung und Audiodeskription zuständig ist – und Play Suisse einen funktionierenden Prozess ausgearbeitet hatten. Für die tatsächliche Untertitelung blieben also nur noch vier Monate. In der Schweiz ist dies ein politisches, aber auch ein kulturelles Anliegen. Bong Joon-ho drückte es so aus, als er den Oscar für den besten internationalen Film in Empfang nahm: «Wenn Sie erst einmal die Hürde der Untertitel überwunden haben, können Sie eine ganze Menge erstaunlicher Filme entdecken.» Dies gilt gemäss Pierre-Adrian Irlé auch für die Schweizer Autorinnen und Produzenten, vor allem jene aus der Westschweiz, «deren Publikum so von zwei auf acht Millionen anwächst.» (Pascaline Sordet)

 

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