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«Es braucht engagierte Kinobetriebe, sonst ist die Filmförderung sinnlos»

Kathrin Halter
14. November 2019

Eingang zum Kino Riffraff in Zürich mit seinen vier Sälen. © Neugass Kino AG

Studiokinos kämpfen ums Überleben, auch die unabhängigen Verleiher trifft der Rückgang der Besucherzahlen. Eine Diskussion über Gründe und Lösungsansätze mit einem Kinoverantwortlichen, einem Verleiher und dem neuen Präsidenten des Schweizer Studiofilm Verbands.

 

Im letzten Jahr wurden in Schweizer Kinos knapp 13 Prozent weniger Eintritte verbucht. Der Rückgang betrifft vor allem Studiokinos. Thomas Imbach, wie geht es der Neugass-Kino-AG, wie den Studiokinos?

Thomas Imbach (TI): Reden wir mal nur von der Stadt Zürich. Da gibt es mit der Arthouse-Gruppe und den Kosmos-Kinos bekanntlich zwei weitere Studiokino-Betreiber – wir alle stehen mitten in einem schwierigen Strukturwandel. In der jetzigen Aufstellung ist es gar nicht möglich, zu überleben. Unser Anspruch ist es, die Neugass-Kino-AG langfristig abzusichern. Fusionieren ist vorläufig kein Thema. Hingegen wäre es möglich, mehr miteinander statt gegeneinander zu arbeiten, das würde die Situation nachhaltig verbessern.

 

Wie geht es der Filmcoopi, Yves Blösche?

Yves Blösche (YB): Letztes Jahr war für alle ein schwieriges Kinojahr. Wenn wir die letzten zehn Jahre betrachten, war das eine Ausnahme. Aber solche Ausnahmen können wir uns nicht mehr viele leisten. Die gesamte Branche steht vor strukturellen Anpassungen.

 

Viele Studiofilme laufen nur zwei, drei Wochen im Kino. Hinzu kommt eine Unübersichtlichkeit des Programms, wenn einzelne Filme zum Beispiel nur noch einmal täglich laufen. Sollten Kinos die Programme nicht stark vereinfachen und überhaupt weniger Filme, dafür länger, zeigen?

T.I: Genau daran arbeiten wir. Das gelingt aber nur über eine bessere Absprache. Ein Problem liegt darin, dass sich alle Kinos auf die gleichen Filme stürzen. Je mehr Kinos denselben Film zeigen, desto schneller ist er «abgenudelt». Das Ziel müsste sein, dass wir uns besser organisieren. Das Problem ist eben nicht nur, dass es zu viele Filme gibt, sondern dass wir mit dieser Menge noch nicht richtig umgehen können. Alle sind überfordert, auch das Publikum; es gibt eine grosse Orientierungslosigkeit.

 

Y.B: Aber müssen wirklich alle Filme ins Kino gelangen? Diese Frage stellt sich schon. In der Beantwortung ist sie komplex, denn auch die Fördersysteme bauen auf der Kinoauswertung auf. Realität ist, dass auch Filme, die nicht schlecht laufen, ihren Platz nach drei Spielwochen bereits wieder verlieren – eine Mundpropaganda ist so nicht mehr möglich.

 

T.I: Aber Kinofilme gehören ins Kino, ob sie klein sind oder gross! Die Frage ist eher, wie sie da ausgewertet werden.

 

Könnten die vielen kleineren Studiofilme nicht zwischen den Studiokinos aufgeteilt werden?

T.I: Das Kinogeschäft ist ein freier Markt, Realität ist ein Konkurrenzkampf um die besten Filme. Da sind Absprachen schwierig. Die Konkurrenz kann man nur unterlaufen, indem man aktiv zusammenarbeitet.

 

Daniel Waser (DW): Das ist tatsächlich die zentrale Frage. Einerseits soll das Filmgeschäft ein freier Markt sein. Andererseits ist unbestreitbar, dass es ohne Förderung keine Schweizer oder europäische Filme gäbe. Durch die fundamentalen Veränderungen in der Auswertungskette müssen wir erkennen, dass es zum Erhalt der Angebotsvielfalt auch bei Verleih und Kinos Unterstützung braucht.

 

Y.B: Viele Kinobesitzer fürchten, etwas zu verpassen, weshalb sie jeden Film anfordern und einem Film, der unter Umständen gut läuft, den Platz wegnehmen. Es gibt bei Verleihern wie bei Kinobetreibern zwei konträre Haltungen: a) Filme sind rentabler, wenn möglichst viele Kopien gestreut werden. Und b): Filme sind rentabler, wenn sie möglichst exklusiv laufen.

 

T.I: Aber Kinos, die verantwortungsvoll wirtschaften, können kein Interesse an einer möglichst breiten Auswertung haben, weil sich der sogenannte Box-Office-Split von 50:50 nach zwei Wochen zugunsten der Kinos auf 30:70 verschiebt. Das heisst, je länger ein Film prolongiert werden kann, je weniger Leute braucht es im Kino, damit gleich viel verdient wird, wobei das Verhältnis auch Verhandlungssache ist. Umgekehrt nehmen Verleiher durch eine Erhöhung der Startkopien mehr ein; die eigentlichen Verlierer der Digitalisierung sind die Kinobetriebe.

 

Verleiher profitieren also von Multi­kopien-Starts in vielen Kinos – auch in denselben Städten?

T.I: Es gibt grosse Verleiher, die ihr Geschäftsmodell darauf bauen. Früher war es nicht möglich, einen Film schweizweit mit 100 Kopien laufen zu lassen, da gab es maximal dreissig – durch die Digitalisierung sind die Kosten von DCPs irrelevant geworden. Und diese 50 Prozent abzuschöpfen, ist ein Mainstream-Verhalten.

 

Y.B: Es ist ein freier Markt. Wenn ein Verleih die Politik verfolgt, möglichst viele Kopien während zwei Wochen für 50 Prozent auszuwerten, um so am meisten Profit zu erwirtschaften, ist das auch eine Geschäftsphilosophie ... aber da muss man als Kino ja nicht mitmachen. Bei uns ist es aber so, dass wir im Schnitt nie über vierzig Prozent erhalten. Je erfolgreicher ein Film läuft, desto kleiner der Anteil für den Verleih. Wenn der Film kurz läuft, dann gibt es eine Neuverhandlung.

 

Auf Multikopien-Starts setzen also eher die Majors?

Y.B: Das ist nicht unsere Strategie. Wir bezahlen an Produzenten oder den Weltvertrieb oft eine Minimumgarantie für Filme, womit wir eine Verpflichtung eingehen. Hinzu kommen die Werbekosten, die wir vorschiessen, auch wenn es mit Produzenten einen Verteilschlüssel gibt. Das bedeutet für uns ein grosses Risiko. Wenn der Film maximal drei Wochen im Kino läuft, kommt man nie auf einen grünen Zweig. Wenn Filme nur kurz laufen, bedeutet das für uns ein Verlustgeschäft.

 

DW: Wenn einzelne mächtige Verleiher anderen die Politik aufzwingen, ebenfalls möglichst viele Kopien zirkulieren zu lassen, um bestehen zu können – da kann man sich durchaus fragen, ob im Studiofilm-Bereich nicht andere Schwerpunkte gesetzt werden können. Zumindest wenn ein Ziel die Angebotsvielfalt bleibt.

 

Grössere, begehrte Studiofilme wie der neue Almodóvar werden auch in Popcornkinos gezeigt. Weshalb schliessen sich die Studiokinos nicht zusammen, um mehr Macht im Verhandlungspoker um jene einträglicheren Studiofilme zu haben, um die sich alle reissen?

TI: Eine berechtigte Frage. Es gibt auch da Bestrebungen, enger zusammenzuarbeiten, auch zwischen verschiedenen Städten. Man muss aber sehen: Die Kinobranche ist eine gewachsene Branche, die leider noch zu wenig gemeinsam hat mit der restlichen Filmbranche. 

 

DW: Es kann kein Ziel sein, dass es nur noch eine Studiokino-Schweiz-AG gäbe, die dann das Programm diktiert. Die Frage lautet eher, wie man das Angebot so halten kann, dass auch die Schweizer Filmproduktion ihren Platz findet. Eine monopolistische Kette wäre für kleinere Filme wie «Dene wos guet geit» ein Nachteil, solche Filme wären für sie uninteressant. Für ein Riffraff hingegen kann es interessant sein, «Dene wos guet geit» zu zeigen. Ich frage mich auf Grund meiner Erfahrungen eher, wo die nationale und regionale Förderung sich absprechen und neue Anreize setzen könnte. Und was der SSV in dieser ­Diskussion beitragen kann.

 

YB: Man muss auch sehen: Früher machten grosse Studiofilme 80ʼ000-100ʼ000 Eintritte, heute sind es 40ʼ000 bis 60ʼ000. Zudem drängen Majors in den Studiomarkt, Produktionen wie «Three Billboards…» von Martin McDonagh , «The Dead don’t Die» von Jim Jarmusch oder «Lady Bird» von Greta Gerwig  wurden von Majors ausgewertet. Andere Studio­produktionen gehen weltweit zu Netflix, ohne Kinoauswertung. Für uns ist es schwieriger worden, an grosse Filme heranzukommen.

 

Werden sich demnach Verleiher zusammenschliessen müssen?

YB: Wenn man über die Grenze schaut: Jetzt hat gerade der grosse, renommierte französische Verleih Mars Films Zahlungs­unfähigkeit angemeldet, Océan Films ist letztes Jahr eingegangen – ja, die Luft wird dünner. Das Geschäft birgt ein grosses Risiko. Dass sich Verleiher verschiedener Länder zusammenschliessen, um mit Majors konkurrieren zu können, macht Sinn. Aber innerhalb eines Landes? Schwierig...

TI: Es gibt einen grossen Unterschied: Ein Verleih kann sich leichter neu organisieren. Kinos sind in Beton gegossen, die sind da weniger flexibel.

 

In einem Argumentarium, das die Neugass-Kino-AG den Verbänden hat zukommen lassen, wird eine Verdoppelung der Succès Cinéma-Beiträge an (sämtliche) Kinobetriebe gefordert. Weshalb ist aus eurer Sicht eine solche Verdoppelung das richtige Mittel für die Krise?

TI: Es geht nicht in erster Linie darum, den Kinos mehr Geld zu geben – sondern darum, für jene einheimische Filmproduktion, die vom Bund gefördert wird, einen Ort für die Auswertung zu sichern. Das war bis Ende der Neunzigerjahre gewissermassen geschenkt, weil Kinos aufgrund des internationalen Angebots selbsttragend waren und so auch Schweizer Filme zeigen konnten. Heute müssen wir mit Succès Cinéma diejenigen Kinos unterstützen, die dem einheimischen Schaffen verpflichtet sind. Über Succès Cinéma trifft man automatisch die richtigen.

 

Was halten die Verleiher von der Forderung?

YB: Bis Mitte der Nullerjahre war die Unterstützung in den Augen der Kinobetreiber nicht nötig; jetzt ist die Situation offensichtlich eine andere, deshalb vertreten wir diese Forderung ebenfalls. Allerdings kann sie nicht auf Kosten der Verleihförderung gehen, welche in den letzten Jahren stetig gekürzt wurde. Der ganze Auswertungszweig sollte mehr ge­fördert werden, da er an Wichtigkeit gewinnt. Dafür sollte man gemeinsam kämpfen.

 

TI: Während die Filmproduktion in der Schweiz grösstenteils subventioniert wird und die Verleihförderung anteilmässig je nach Kanton bis maximal 60 Prozent ausmacht, werden Kinos weniger als 5 Prozent gefördert. Es braucht engagierte Kinobetriebe, sonst ist die Produktionsförderung sinnlos. Hinzu kommt die Innenstadt-Kultur: Wenn man die Entwicklung nicht aufhält, gibt es in fünf bis zehn Jahren nur noch Shoppingcenter-Kinos in der Agglomeration.

 

DW: Erschwerend kommt hinzu, dass das aktuelle Succès-System für alle Beteiligten zu einem Paradox führt: In den erfolgreichen Jahren werden die Beiträge um 20-45 Prozent zusammengekürzt, weil ein Deckel existiert, der überdies viel zu niedrig angesetzt ist – für die Kinos beispielsweise 3ʼ000 Franken pro Film und Kino; 120ʼ000 für den gesamten Betrieb pro Jahr. Eine «automatische» Förderung sollte nach Auffassung des SSV auch in erfolgreichen Jahren funktionieren. Ein schneller, pragmatischer Ansatz zur Förderung der Kinos wäre eine Aufhebung dieser Deckelung oder zumindest eine Verdoppelung der Maximalsummen. Zudem zeigen die Bestrebungen der Zürcher Filmstiftung, dass es durchaus Möglichkeiten gibt, wie eine «automatische» Erfolgsförderung ausgestaltet werden kann, ohne dass das Budget einer Förderinstitution ausser Kontrolle gerät.

 

Wenn aber der Filmkredit nicht erhöht wird, fehlt das Geld anderswo...

TI: Alle müssten in einer Opfersymmetrie ihren Anteil beitragen, es sollte ja auch Anliegen der Produzenten sein, dass Kinos überleben. Es braucht eine Gesamtsicht auf die Filmproduktion.

 

DW: Wir finden auch, dass es diese Gesamtsicht dringend braucht – Filmförderung sollte von der Stoffentwicklung bis zur Filmbildung reichen, da wurde in der Kulturbotschaft etwas nicht zu Ende gedacht. Da das jüngere Publikum wegbricht, müsste man zum Beispiel im Bereich Filmbildung prioritär etwas tun.

 

Gibt es von Seiten des SSV weitere Ideen, wie man der Krise begegnen könnte?

DW: Im SSV sind sowohl Verleiher wie Kinobetreiber vertreten, denn alle sitzen im gleichen Boot, auch wenn sie teils unterschiedliche Interessen haben. Im Verband wurde klar, dass man neue Geschäftsmodelle entwickeln muss, die auf mehr Kooperation hinauslaufen. Das betrifft dann die Filmförderkonzepte. Es geht weniger darum, neue Subventionen zu erfinden als um eine Anschubfinanzierung für solch neue Geschäftsmodelle. Dabei müsste man berücksichtigen, wie man den Kinobesuch auch für Jüngere attraktiver gestalten kann, vom Preis bis zum Komfort.

 

TI: Einen schweizweit gültigen Passepartout für Studiokinos haben wir schon diskutiert. Wir müssen aber auch den Ort Kino wieder neu besetzen, zum Beispiel als netzfreie Zone. Überall liest man, das Kino sei ein Problemkind und habe kaum Chancen gegen Streamingdienste wie Netflix. Dieses Lamento können wir uns nicht mehr erlauben. Nun müssen neue Ideen her.

 

▶  Originaltext: Deutsch

Der SSV zur neuen Kulturbotschaft

Die Bedeutung des Kinos als Kulturvermittlerin komme in der Kulturbotschaft zu wenig zum Ausdruck, schreibt der Schweizer Studiofilm Verband SSV in seiner Vernehmlassung. Er fordert, dass verstärkt Anstrengungen zur Bewahrung der Kino- und Filmkultur unternommen werden. «Filmförderung muss daher auch Kinoförderung umfassen.» Folgende Massnahmen werden vorgeschlagen:

- Finanzierung von Projekten zur Förderung des Filmpublikumsnachwuchses (Filmbildung)

- Unterstützung zur Entwicklung neuer ökonomischer Modelle

- Marketing- und Promotionsförderung für Verleih und Kino

- Bereitstellung genügender Mittel zur Bewältigung der zweiten Welle der Digitalisierung

- Verdoppelung des Succès-Cinéma-Beitrags für die Kinos
(2017 und 2018 galt ein Maximalbetrag von 3.50, effektiv wurde wegen der Deckelung deutlich weniger ausbezahlt, Anm. der Red)

Succès-Cinéma-Gelder sollen zudem in erfolgreichen Jahren nicht mehr gekürzt werden und die Deckelung aufgehoben werden. Dabei sollen Succès-Mittel nicht umverteilt, sondern das Gesamtbudget soll erhöht werden.

 

Weniger ausführlich und wenig konkret geht Cinésuisse in ihrer Vernehmlassung auf die Kinos ein. Dort heisst es lediglich, die Bedeutung des Kinos als Kulturvermittlerin gelange in der neuen KB zu wenig zum Ausdruck. Es seien «neue Unterstützungsmassnahmen und –formen erforderlich».

Die Gesprächsteilnehmer

Thomas Imbach ist Filmemacher und Produzent. Seit August 2018 ist er  Verwaltungsratspräsident der Neugass Kino AG.

Yves Blösche ist geschäfts­führender Partner und Mitinhaber beim unabhängigen Filmverleih Filmcoopi Zürich.

Daniel Waser  ist neuer Präsident des Schweizer Studiofilm Verbands. Von 2004 bis 2018 war er Geschäftsführer der Zürcher Filmstiftung.

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