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Für die Professionalisierung einer ganzen Branche

Kathrin Halter
14. November 2019

Pierre Agthe © Focal

1990 wurde Focal gegründet. Fast dreissig Jahre mit dabei war Pierre Agthe, der frühere, seit Ende März pensionierte Direktor der Stiftung Weiterbildung Film und Audiovision. Ein Rückblick.

Fragt man Pierre Agthe nach seinen schön­sten Begegnungen als Focal-Direktor, fallen Namen wie Gaston Kaboré, Filmemacher aus Burkina Faso, Krzysztof Kieślowski, der polnische Regisseur, Slawomir Idziak oder Wojciech Marczewski, mit dem Agthe das europäische Programm EKRAN aufbauen half. Freundschaften und interkulturelle Auseinandersetzungen dank Projekten in Afrika oder im Südkaukasus – sie waren Pierre Agthe wichtig. Genau so zählte für ihn aber etwas weniger Spektakuläres: Die Teamwork-­Kultur der Stiftung, «die Bereitschaft der Leute, an einem gemeinsamen Werk zu arbeiten», wie er sich ausdrückt. Dass Focal mit flachen Hierarchien aufgebaut wurde, gemeinsam mit Berufsleuten, als Projekt von Filmschaffenden für Filmschaffende, dieses «Gemeinschaftliche» gefiel Agthe von Anfang an.

 

Ein Quereinsteiger

In Sachen Weiterbildung gab es in den Jahren vor der Focal-Gründung nur wenige Seminare, zur Drehbuchentwicklung etwa und von Suissimage finanziert; auch der Filmtechnikerverband organisierte etwa zwei Weiterbildungsseminare pro Jahr. Die Achtzigerjahre waren laut Agthe eine schwierige Zeit für Schweizer Filme, der Autorenfilm verlor an Publikum. Die grössten Defizite, so befand eine Arbeitsgruppe um Yves Yersin, ortete man bei der Drehbuchentwicklung, in der Produktion und der Regie (Schauspielführung). Pierre Agthe hatte gerade die Leitung einer Tagesklinik für psychisch kranke Kinder abgegeben, als er angefragt wurde, ob er Interesse an der Leitung der neuen Weiterbildungsinstitution habe. Man suchte weniger jemanden, der vom Film kommt als jemanden, der «eine Bude aufbauen konnte». Dass Agthe nicht vom Film kam, galt gerade als Vorteil.

 

Anfängliche Skepsis

Die Vorstellung, dass sich Filmschaffende aus- und weiterbilden sollten, war allerdings nicht selbstverständlich. Prominentester Vertreter der Skeptiker war Alain Tanner, der Filmemachen immer als Kunst begriff und die Idee ablehnte, Kreativität sei vermittelbar. Für Tanner war Focal deshalb eine «blödsinnige, um nicht zu sagen eine gefährliche Idee». Agthe sagt es mit milder Ironie, mit fast schon zärtlichem Unterton; er habe Tanner immer gemocht, und die auch in den Medien ausgefochtene (und längst verebbte) Debatte um drohende Standardisierung, die Tanner da heraufbeschwor, konnte Agthe durchaus nachvollziehen. Aber natürlich ging es bei Focal nie um einen ideologisch belasteten Gegensatz zwischen Film als Kunst versus Film als Ware, sondern schlicht darum, von der Entwicklung bis zur Auswertung und für alle Berufsgruppen gute und bezahlbare Weiterbildung samt internationalen Kontakten anzubieten. Weit über 20ʼ000 Leute haben bisher an über 1ʼ200 Veranstaltungen teilgenommen.

 

Europäische Ausrichtung

Was im ersten Semester mit drei, vier Seminaren begann, wuchs schnell – auch dank dem ersten Präsidenten Marc Wehrlin, der sich auf Bundesebene erfolgreich für einen separaten Kredit für die Weiterbildung einsetzte. Schon bald kam eine Million vom BAK sowie weitere Partner wie die SRG und einzelne Kantone hinzu. Dass eine durch den Bund finanzierte Weiterbildungsstiftung unabhängig bleibt, sei einzigartig in Europa, dafür werde man auch beneidet, so Agthe. Die internationale Ausrichtung und Vernetzung der Weiterbildungsinstitution, die heute als selbstverständlich gilt, ist auch ein Verdienst von Agthe. Als 2014 mit dem Ausschluss der Schweiz aus dem Media-Programm der EU die Schweizer Filmbranche plötzlich isoliert dastand, baute Focal die durch Brüssel finanzierten Programme danach sogar noch aus: Inzwischen machen die Media-Programme dank den Media-Ersatzmassnahmen bei einem Budget von 3 Mio etwas mehr als 400ʼ000 Franken aus – das ist rund das Doppelte als vor dem Rauswurf. 2014 wurde die Tochterfirma «Focal resource» in Holland installiert, «die die Tür zu Europa einen Spalt breit offenhält», wie es Ivo Kummer in einer Hommage an Agthe formuliert (in: ­«Kühler Kopf und heisses Herz», nachzulesen im Archiv von focal.ch).

Jetzt allerdings brauche es jetzt einen kleinen Quantensprung, so Agthe, da die Einnahmen bei gewachsenen Aufgaben plafoniert seien. Das muss ihn nicht mehr direkt kümmern. Ende März ist Pierre Agthe, gleichzeitig mit Präsident Thomas Geiser, verabschiedet worden; die Co-Direktorinnen Nicole Schroeder und Rachel Schmid haben übernommen.

Lesen Sie bald Teil 2 über die Pläne der beiden Co-Direktorinnen.

 

▶  Originaltext: Deutsch

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