MENU Schliessen

Unbequem und entwaffnend

Nina Scheu
21. Dezember 2018

«Xandi» bei den Dreharbeiten zu seinem letzten Film «Geysir und Goliath», einer Hommage an den Bildhauer Karl Geiser. © Dschoint Ventschr

Am 22. November ist der Filmautor, Publizist und streitbare Intellektuelle Alexander J. Seiler (1928-2018) im Alter von 90 Jahren in Zürich gestorben. Ein Nachruf.

Ein Unbequemer ist gegangen, ein unbeug­samer, kantiger Denker. Einer, der die Auseinandersetzung suchte, der sich rieb an Intoleranz und Ungerechtigkeit, an der Bequemlichkeit der Schweiz und der Menschen überhaupt. In den letzten Jahren so sehr, dass er sich vorgenommen hatte, zu schweigen. Er wolle nicht als Relikt aus einer vergangenen Zeit, als unkende Kassandra wahrgenommen werden, sagte Alexander «Xandi» Seiler bei einem Gespräch anlässlich seines 85. Geburtstags. Die Welt sei in einem so desolaten Zustand, dass Schweigen die einzige angemessene Reaktion sei. Darum drängte es ihn nicht mehr, seine Gedanken zu publizieren – und dennoch liess er sich den Mund auch weiterhin nie verbieten. So auch nicht, als ihm 2014 der Schweizer Filmpreis für sein Lebenswerk zugesprochen wurde: Seiler setzte durch, dass die Ehre endlich auch dotiert wurde und erinnerte coram publico daran, dass man vom Ruhm allein nicht leben kann. 

Filmpolitisches Engagement

Ihm selbst, Spross einer Zermatter Hoteliersdynastie, half eine frühe Erbschaft, seine Überzeugung in kompromisslose Filme und Texte zu giessen. Vor allem aber ermöglichte sie ihm sein meist ehrenamtliches filmpolitisches Engagement. Alexander J. Seiler war Mitgründer des Schweizerischen Filmzentrums, heute Swiss Films, er war Sekretär und Vorstand des Verbands Schweizerischer Filmgestalter, heute ARF/FDS, und Mitglied der Eidgenössischen Filmkommission; er gehörte zu den Gründern der Solothurner Filmtage, gab mit Bruno Schärer die Zeitschrift «Einspruch» heraus und war jahrelang Chefredaktor der «Gazzetta», der dreisprachigen Halbjahreszeitschrift der ProLitteris, in deren Vorstand er sich ebenfalls engagierte. Dazu kamen im Laufe der Jahre unzählige Artikel und Kolumnen in der früheren Weltwoche, der Wochenzeitung WOZ und weiteren Zeitungen und Zeitschriften. 

Italiener, Arbeiter, Künstler

Seine Filme gehören längst zum Schweizer Kulturerbe. Angefangen bei seinem Kurzfilm über das Wasser, «In wechselndem Gefälle», für den er 1962 eine «Goldene Palme» in Cannes gewann. 1964 folgte mit «Siamo Italiani» sein berühmtes Zeitbild über das Leben italie­nischer Fremdarbeiter und -arbeiterinnen in der Schweiz, denen er 2002 in «Il vento di settembre» noch einmal nachspürte. Intoleranz, Fremdenhass und der Ausbeutung der Arbeiterschaft setzte er sein «Cinéma direct» entgegen, Dokumentationen der Wirklichkeit, die ohne Kommentar für sich selbst sprechen. Rhythmische Kompositionen von Bild, Schnitt und Ton, denen eine akribische Recherche zugrunde lag. Als seinen wichtigsten Film bezeichnete er «Die Früchte der Arbeit» von 1977, an dem er über fünf Jahre gearbeitet hatte. Seinen besten Film fand er seinen letzten, das Künstlerportrait «Geysir und Goliath», das 2010 an den Kinokassen floppte. Herauszuheben gilt es auch sein Portrait des Dichters und Freundes Ludwig Hohl (1982) und «Palaver, Palaver», mit dem er sich 1990 in die Debatte um die Abschaffung der Schweizer Armee einmischte. 

Entwaffnender Humor

Ohne die Diskussion, die ständige Auseinandersetzung mit Politik, Kunst und Philosophie, ist Alexander J. Seiler nicht denkbar. Aber man kann und sollte ihn sich auch nicht vorstellen ohne sein persönliches Umfeld, seine Freunde und die Familie. Ohne June Kovach (1932-2010), Ehefrau und Mutter seiner Töchter, die als Co-Autorin, -Regisseurin, Cutterin und Tonmeisterin bis Ende der 1970er Jahre entscheidend an der Entstehung seiner Filme beteiligt war. Oder ohne den Dritten in diesem Bunde, Rob Gnant, Co-Autor und Kameramann in der Mehrzahl von Seilers-Filmen. «Xandi», wie ihn die Freunde nannten, war zwar unerbittlich und gerne auch provokativ in der intellektuellen Debatte, aber er konnte auch nachsichtig sein und entwaffnend mit seinem ebenso scharfen wie liebevollen Humor. Wer ihn je um seine Meinung fragte oder gar einen Text von ihm gegenlesen liess, dürfte ihm bis heute für all diese Eigenschaften dankbar sein.
Eine DVD-Box (herausgegeben von Werner «Swiss» Schweizer bei Dschoint Ventschr) ermöglicht das Wiedersehen mit zwölf der wichtigsten Filme von Alexander J. Seiler. Am 22. November ist der Filmautor, Publizist und streitbare Intellektuelle im Alter von 90 Jahren in Zürich gestorben. 

▶  Originaltext: Deutsch

Hommage Alexander J. Seiler

«In wechselndem Gefälle» und «Geysir und Goliath»

Dienstag, 29. Januar, 15:30

Kino im Uferbau

Mit: Werner Schweizer u.a. 

Für Yves Yersin

Jean-Stéphane Bron
21 Dezember 2018

Das mexikanische Abenteuer

Mariama Balde
21 Dezember 2018

Starke Nerven und Humor

Kathrin Halter
21 Dezember 2018

Sieben Leben

Pascaline Sordet
21 Dezember 2018

Achtundsechzig fand nicht statt

Kathrin Halter
16 November 2018

Interessieren Sie sich für den Schweizer Film?

Abonnieren Sie!

Tarife