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Er wollte immer schon Agitationsfilme machen

Geri Krebs
27. März 2019

Christian Labhart (Bild: zvg)

Manchmal kann sich auch die renommierte Zürcher Filmstiftung irren. «Das Projekt hat kein Publikums­potential.» Genüsslich zitiert Christian Labhart aus dem Ablehnungsentscheid für das Förderungsgesuch seines vorletzten Kinofilms «Giovanni Segantini – Magie des Lichts». Labhart realisierte den Film trotzdem – vor allem mit Unterstützung des Fernsehens – und landete einen der erfolgreichsten Schweizer Dokumentarfilme. 72’000 Eintritte erzielte der Film über Leben und Werk des italienischen Malers und Freigeistes, der Ende des 19. Jahrhunderts im Oberengadin eine neue Heimat fand und einer der Wegbereiter der Moderne war. Damit liegt das Künstlerporträt, das ganz ohne Talking-Heads auskommt und mit Bruno Ganz als Sprecher einen prominenten Protagonisten hat, auf Platz sechs auf der Hitliste einheimischer Dokumentarfilme.

Nun läuft «Passion – zwischen Revolte und Resignation», Christian Labharts neuer Film und zugleich die letzte Arbeit des verstorbenen Kameramanns Pio Corradi, als Weltpremiere bei «Visions du Réel» – als einziger Schweizer Beitrag im internationalen Wettbewerb. Das ist jener Film, genau, den die Auswahlkommission der Solothurner Filmtage nicht ins Programm aufnehmen wollte. Zur Kontroverse, die Christian Labhart damit in Solothurn auslöste, möchte er sich nicht mehr äussern, betont aber: «Auf gar keinen Fall wollte ich damit einem Jungen den Platz wegnehmen.»

Junge – seine eigenen, mittlerweile erwachsenen Kinder – seien es denn auch gewesen, die ihm den Anstoss zur Realisierung von «Passion» gegeben hätten, in dem es um Labharts Engagement seit 1968 geht. «Papi, mach doch endlich mal einen politischen Film», hätten ihm sein Sohn und seine Tochter gesagt. Das war vor über zehn Jahren, erzählt Labhart und lacht, als der Schreibende eine Bemerkung über Ideologielastigkeit und Pathos des Films fallenlässt. Unumwunden erklärt er: «Ideologie ist mittlerweile zum Schimpfwort des Mainstreams geworden. Wenn das bedeutet, sich ohne Wenn und Aber gegen soziale Ungleichheit zu stellen, habe ich kein Problem damit. Ich hatte schon immer den Wunsch, Agitationsfilme zu machen.»

 

Langjähriger Lehrer

Dabei hatte die filmische Karriere des 1953 geborenen Regisseurs in den wilden 1970er-Jahren als Darsteller in einem politischen Interventionsfilm begonnen. «Aufpassen macht Schule» (1976) heisst das Werk des Zürcher Filmkollektivs (Hans Stürm, Mathias Knauer, Urs Graf), in dem Christian Labhart als junger Primarlehrer zu sehen ist. Darin geht es um die Atmosphäre an den Schulen, als Zürichs Erziehungsdirektor Alfred Gilgen ein wachsames Auge auf angebliche linke Unterwanderungsversuche im Bildungswesen geworfen hatte. «Nein, das Mitwirken in diesem Film hatte keinerlei negativen Auswirkungen auf meine weitere Karriere als Lehrer», meint Labhart. Er blieb noch einige Jahre Lehrer, arbeitete fünf Jahre in einem landwirtschaftlichen Kollektiv und kehrte nochmals in den Schuldienst zurück, dann erst drehte er seinen Erstling.

Ein ganzes Vierteljahrhundert liegt zwischen Labharts Auftritt vor der Kamera und «Die Brücke von Mitrovica» (2001), einem Film, den Labhart kurz nach dem Ende des Kosovo-Kriegs aus der Betroffenheit heraus realisierte, dass er in seiner Klasse Schüler und Schülerinnen beider Kriegsparteien unterrichtete. Der filmische Autodidakt blieb weiterhin Lehrer und liess sich für die Realisierung seiner – mittlerweile ein Dutzend – Filme jeweils beurlauben. Seit nunmehr zehn Jahren ist er ausschliesslich Filmemacher. Bei «Passion», der an Schauplätzen rund um den Erdball gedreht wurde, kam  ihm zu Hilfe, dass er dank des Erfolgs des Segantini-Films reichlich ­Succès-Cinema-Gelder zur Verfügung hatte.

Einer, der seit 2010 bei fünf Filmen mit Christian Labhart zusammenarbeitet, ist der Toningenieur und Sounddesigner Reto Stamm, der selber Dokumentarfilme realisiert («La reina del condón»). Stamm betont die Genauigkeit, Effizienz und minutiöse Planung, mit der Labhart arbeite – und die grossen Freiheiten, die Labhart seinen Mitarbeitern gleichzeitig lässt. «Man kann ihn schon als linken Ideologen bezeichnen, aber er lebt auch, was er verkündet», sagt Stamm. Für Labhart sei es zum Beispiel selbstverständlich, überschüssiges Geld am Ende eines Projekts unter die Mitarbeitenden zu verteilen. Getreu seinen Grundsätzen.

▶  Originaltext: Deutsch

 

«Passion – zwischen Revolte und Resignation»

Sonntag, 7. April, 15:30, Grand Salle, Visions du Réel, Nyon

Im Anschluss Debatte

Montag 8. April, 11:00,  Grand Salle

Compétition internationale Longs Métrages

Kinostart in der Deutschschweiz: 18. April

 

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