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«Festivals sind Teil des Auswertungskreislaufs»

Kathrin Halter
02. November 2021

Skadi Loist © Tom Wagner

Über 8ʼ000 Festivals gibt es weltweit. Für viele Filmen ist der Festivalcircuit lebenswichtig. Ein Gespräch mit Skadi Loist, Professorin an der Filmuniversität Babelsberg, über globale Filmzirkulation und Festivalnetzwerke.  

 

Sie forschen darüber, wie sich Filme nach der Festivalpremiere in der Festivallandschaft bewegen. Weshalb ist es sinnvoll, mehr über diese Zirkulation zu erfahren? 

Wir wollen uns anschauen, wie sich Filme im Festival-Circuit bewegen, weil sich immer mehr herausstellt, dass Festivals zu einem eigenen Auswertungssegment werden: Festivals sind nicht nur Durchlaufort, sondern selbst Teil des Verwertungskreislaufs. Da werden nicht nur Premieren gefeiert und über Prestige, Preise und Presse für die anschliessende Kinolancierung symbolisches Kapital erzeugt. Für viele Filme ist die Zirkulation im Festivalnetzwerk die einzige Auswertung. Das wollen wir genauer anschauen – auch was dies zum Beispiel für Kurzfilme bedeutet. Diese sind, ähnlich wie Dokumentarfilme, besonders auf Festivals angewiesen. Die Annahme, dass Filme alle primär fürs Kino gemacht werden, stimmt schon lange nicht mehr. 

 

Man spricht dann von sogenannten «Festivalfilmen». Der Begriff wird oft abwertend verwendet ...

Festivalfilme ist ein Begriff für Filme, die hauptsächlich mit Festivals assoziiert werden: Man spricht dann von einem typischen «Cannes-Film» oder «Sundance-Film», der meist eine bestimmte Art von Ästhetik oder des Storytelling bedient. Es handelt sich dabei immer um Arthaus- oder um Kunstkino, berühmte Beispiele dafür sind die Filme von Lav Diaz oder von Apichatpong Weerasethakul. Festivalfilme stellen also gewissermassen etwas für Kenner dar, erreichen meist kein Massenpublikum und dürften in den meisten Ländern Schwierigkeiten haben, einen Verleih für eine reguläre Kinoauswertung zu finden. 

Ob man das nun positiv oder negativ findet, hängt von der Haltung ab: In der Festivalforschung sprechen die einen von einem alternativen Distributionsnetzwerk, durch das Filme einen Platz in der globalen Filmkultur finden, der teilweise unabhängig von Marktstrukturen ist. Andere sprechen von einem geschlossenen Kreislauf, der Festivalfilme in einem System gefangen hält und ihnen eine freie Bewegung im Markt verwehrt. 

 

Ein Vorurteil gegenüber «Festivalfilmen» lautet, dass diese kaum Geld einspielen. Stimmt das? 

Nein! Gerade kleinere Festivals sind gewohnt, eine Screening-Fee zu bezahlen. Wenn ein Film bei 80 bis 100 Festivals läuft, und der Hauptteil von ihnen zwischen 300 und 1ʼ000 Euro zahlen, dann kommt da einiges zusammen, vor allem für kleinere Filme mit eher niedrigem Budget. Die meisten Sales-Agents versuchen sich mit den Festivals auf einen Festbetrag zu einigen. Manchmal wird auch nach Eintritten abgerechnet oder eine Beteiligung an der Kinomiete ausgehandelt. Die grossen Festivals bekommen die Filme, ohne dafür zu bezahlen: Ihre Währung ist das Renommee, Sichtbarkeit, Presse und Reisekosten. Das Dilemma dabei ist, dass sich kleinere Verleiher oft fragen, weshalb sie einen Film noch ins Kino bringen sollen, wenn er schon an Festivals lief und in den grösseren Städten sein Publikum womöglich schon erreicht hat. 

 

Was weiss man über den prozentualen Anteil von Filmen ohne Kinoauswertung nach dem Festivalrun? 

Zahlen aus unserem Forschungsprojekt, das Filme verfolgt, die im  Festivaljahr 2013 bei sechs Festivals gestartet sind, ergeben folgendes Bild: 76 Prozent der beim TIFF in Toronto gelaufenen Filme hatten eine Kinoauswertung, die restlichen 24 Prozent nur eine Festivalauswertung; in Cannes waren es 71 bzw. 29 Prozent, bei der Berlinale 65 bzw. 35 Prozent. Wobei bei Cannes und TIFF der Anteil der Filme, die sowohl einen grossen Kinostart als auch einen langen Festivallauf hatten, besonders hoch ist (36 Prozent bei Cannes und 33 Prozent beim TIFF). Anders sieht es bei den kleineren, spezialisierten Festivals aus, da ist die Zahl der Filme, die nur auf Festivals laufen, deutlich höher: So bewegten sich 53 Prozent der queeren Filme von Frameline und knapp zwei Drittel (61 Prozent) der Kurzfilme vom Festival in Clermont-Ferrand ausschliesslich auf Festivals weiter. 

 

Sie beschreiben die sogenannte «Zirkulationskraft» von Festivals als Einfluss von Festivals auf die Auswertungskette von Filmen. 

Eine Festivalpremiere verspricht Aufmerksamkeit bei der Presse und Verkäufe an Verleiher­innen, worauf weitere Festival­teilnahmen, abgestimmte Verleihstrategien und Kino­starts folgen. Dabei hängt die Zirkulationskraft eines Festivals von der hierarchischen Stellung des Festivals im Festivalökosystem ab. Diesbezüglich sind die A-Festivals Cannes, Berlin, Venedig und Toron­­to die wichtigsten Festivals weltweit. Dabei darf man nie vergessen, dass es weltweit über 8ʼ000 Festivals gibt. Sie alle spielen für die Gesamtökologie der Festivalwelt und die Zirkulation in der globalen Filmkultur eine Rolle. 

 

Wie lässt sich diese globale Festivallandschaft beschreiben? 

Zum einen geografisch, wobei die meisten Festivals in den USA und in Europa liegen; grosse Teile von Afrika bleiben zum Beispiel in der Festivallandschaft leer. Dann kann man identitäts- und kulturbasierte Festivals wie queere Festivals, jüdische Festivals, Frauenfilm-Festivals, lateinamerikanische oder asiatische Filmfestivals, von Genre-Ausrichtungen wie Dokumentarfilm- oder Animations­film-Festivals unterscheiden. Und natürlich lässt sich die Landschaft hierarchisch gliedern. Es gibt Festivals, die einen grösseren Einfluss auf die Sichtbarkeit und Verbreitung von Filmen haben, zum Beispiel aufgrund von Premieren oder ihrer Filmmärkte und FachbesucherInnen, während andere Festivals eher als Publikumsfestivals relevant sind.

 

Wird die Bedeutung von A-Festivals nicht überschätzt?

Dazu sollte man sagen, dass sogenannte «A-Festivals» solche sind, die von der FIAPF als Festivals mit Weltpremierenstatus eingestuft wurden. Eine Akkreditierung durch die FIAPF ist ja keine Auszeichnung. Seit den 1930er-Jahren vergibt dieser globale Produzentenverband die Akkreditierung als eine Form von Limitierung und industriellem Zugang. Historisch gesehen hat die Akkreditierung den Zugriff auf bestimmte Filme und das Recht auf Weltpremieren verschafft. Über die Jahrzehnte hat sich das Spiel allerdings verändert und ausdifferenziert, gute Beispiele sind Rotterdam oder Sundance, die nicht zu den weltweit 15 A-Festivals (mit internationalem Wettbewerb) zählen, aber dennoch überaus einflussreich sind. Die meisten Festivals haben sich ihren Status unabhängig von der FIAPF erarbeitet. Die Relevanz der Festivals speist sich immer auch aus ihrer Position innerhalb eines umfassenderen Gefüges, zu dem auch kleinere Festivals und Events innerhalb der globalen Filmkultur gehören. 

 

Worin liegt die Chance der kleinen Festivals? Indem sie sich profilieren?

Die Chance kleiner Festivals liegt darin, ein klares Profil zu erarbeiten. Je klarer kommuniziert wird, was zu erwarten ist, desto besser lässt sich beurteilen, ob ein Festival erfolgreich ist. Soll zum Beispiel der Nachwuchs oder eine bestimmte thematische Ausrichtung an Filmen präsentiert und gefördert werden oder geht es um das Erreichen eines breiten, lokalen Publikums? Je nach Ziel sind andere Parameter wichtig, Wettbewerbe, FachbesucherInnen aus der Branche oder Filmvermittlung, Gesprächsangebote und gesellschaftliche Kooperationen. 

 

Sie haben über Festivals für queere Filme promoviert. Wie hat sich dieses Segment in den letzten Jahren entwickelt?

Das ist ein klassisches Beispiel für aktivistische Festivals, die aus der Idee entstanden sind, wie wichtig Repräsentation ist. Die ersten queeren Festivals sind in den Sechziger- und Siebzigerjahren, zeitgleich mit der Schwulen- und Lesben-Bewegung, entstanden. Frameline, das San Francisco International LGBTQ+ Film Festival zum Beispiel, das grösste queere Filmfestival überhaupt, entstand 1977. Mittlerweile gibt es weltweit rund 270 queere aktive Festivals, die sich wiederum weiter ausdifferenzieren und spezialisieren zu Festivals mit migrantischem, dokumentarischem oder transgender Schwerpunkt. Davon sind, dank einem exponentiellen Wachstum, zwei Drittel erst in den letzten 20 Jahren entstanden, ungefähr die Hälfte sogar in der letzten Dekade. 

 

▶  Originaltext: Deutsch

Das Forschungsprojekt

Das Forschungsprojekt

«Filmzirkulation im internationalen Festivalnetzwerk und der Einfluss auf globale Filmkultur» (2017-2022) untersucht, wie Filme sich in der Festivallandschaft bewegen. Das Projekt verfolgt den Film-Run von mehreren tausend Filmen nach ihrer Festivalpremiere. Diese Datensammlung bildet die Grundlage für die Entwicklung einer neuen Methode für ein Mapping der Festivalläufe von Filmen. 

 

Skadi Loist ist Juniorprofessorin für Produktionskulturen in audiovisuellen Medienindustrien an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf und leitet das genannte Forschungsprojekt. 2015 hat sie mit einer Arbeit zu Filmfestivals und queerer Filmkultur promoviert (Queer Film Culture: Performative Aspects of LGBT/Q Film Festivals). Sie ist Gründerin des Film Festival Research Network und hat selber an Filmfestivals gearbeitet. 

Internationale Kurzfilmtage Winterthur

12.11.2021 - 15:15-16:45

Alte Kaserne Winterthur

Panel: The Future of Shorts – Film Circulation on the International Film Festival Network and the Impact on Global Film Culture (en)

Prof. Dr. Skadi Loist präsentiert einige Resultate des Forschungsprojekts und zeigt erste Trends für den Kurzfilm auf. Im Anschluss werden die diversen Aspekte der Resultate, sowie potenzielle weiterführende Kooperationen gemeinsam diskutiert.

Moderation: John Canciani

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