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Die nicht so kleine Kinoschule

Emmanuelle Fournier-Lorentz
18. März 2018

Kindern und Erwachsenen eine Leidenschaft fürs Kino vermitteln, das ist das Ziel der «Kleinen Kinoschule». Zur Sammlung von Kurzfilmen gibt es neu eine interaktive Website.

Kino Palace Solothurn, 30. Januar, 12 Uhr: 250 Schweizer Schülerinnen und Schüler aus den Kantonen Jura, Bern, Neuenburg und Freiburg haben sich zur Vorstellung der «kleinen Kino- schule» eingefunden – das zeigt, dass diese Kurzfilmsammlung ihr Zielpublikum erreicht. Doch die Präsenz der Serie an den Solothurner Filmtagen sowie die Einladung einzelner Episoden zu zahlreichen Festivals zuvor zeugt davon, dass die Qualität dieses Projekts auch Erwachsene anspricht. Die auf Initiative der Zauberlaterne gegründete «kleine Kinoschule» umfasst derzeit vier Kurzfilme von renommierten Filmemachern, welche die Welt des Kinos einem Zielpublikum zwischen acht und sech- zehn Jahren näherbringen.

Die zweite Staffel beginnt mit Renato Berta

Zur Lancierung des Projekts wurden diese vier Kurzfilme auf der grossen Leinwand gezeigt. Zudem konnten die Zuschauer die neue interaktive Website entdecken und sich vor Ort mit Ursula Meier und Christian Frei aus- tauschen. Die beiden Autoren haben – neben Frédéric Mermoud und Jean-Stéphane Bron je eine Episode zur «kleinen Kinoschule» beigetragen. Die von Milos-Films produzierten Kurzfilme sind leicht zugänglich und intelligent. Jeder von ihnen behandelt einen Themenbereich rund ums Kino: den Dokumentar- film, den Schauspielberuf, die Vertonung eines Films und die Bedeutung des Blickachsen-Anschlusses. Die zweite Staffel beginnt mit einem Beitrag des Kameramanns Renato Berta – eine Komödie über Schnitt und Licht, die in Solothurn in Vorpremiere gezeigt wurde.

Die Idee zu diesem Projekt entstand 2013 in der Zauberlaterne. «Es ist eigentlich nahe- liegend», sagt Vincent Adatte, Ko-Direktor der Zauberlaterne. Wenn der Filmklub schon Filme für Kinder zeigt, wieso sollte er dann nicht Filme für Kinder schaffen, um ihnen die Welt des Kinos zu erklären?

Bron, Meier, Frei, Mermoud

So sind vier schöne Kurzfilme entstanden. So begleitet Jean-Stéphane Bron in «Der Dokumentarfilm» (2013) die zwölfjährige Ilam, die gerne Geschichten erzählt, und bittet sie, einen Dokumentarfilm zu drehen «über das, was sie am liebsten mag». Rasch wird klar, dass das ein Dokumentarfilm über die Entstehung eines Dokumentarfilms ist, der den Begriff sowie die Gründe und Methoden, einen solchen zu drehen, hinterfragt. So erklärt Jean-Stéphane Bron Ilam, dass jeder Dokumentarfilm subjektiv ist. Er bittet sie, schlecht formulierte Sätze zu wiederholen, ihre Tante besser zu filmen oder ihrer Mutter Anweisungen zu geben. 2015 folgt der Kurzfilm «Kacey Mottet Klein, Anfänge eines Schauspielers» von Ursula Meier, in dem sich Archivbilder des Kindes bei den Proben überschneiden mit der Off-Stimme des inzwischen erwachsenen Schauspielers, der seine Erinnerungen und seine Sicht des Schauspielberufs mit dem Publikum teilt: «Früher war eine Rolle für mich einfach eine Figur, ein Herr XY. Heute ist eine Rolle für mich jemand, den man zum Leben erweckt, für den man einsteht und den man liebt.»

2016 dreht Christian Frei «Heidi beim Geräuschemacher»: vierzehn poetische Minu- ten, die durch die Ohren der jungen Heidi-Dar- stellerin die Bedeutung der Tonspur im Film veranschaulichen. «Christian Frei hat für die- sen Film sehr unabhängig gearbeitet und einen leidenschaftlich vermittelnden Essay für die nächste Generation geschaffen», so Vincent Adatte. 2017 dreht Frédéric Mermoud «Mitge- gangen, mitgehangen» und erklärt anhand einer fiktiven Geschichte das Prinzip des Blickachsen-Anschlusses, das so wichtig ist im Film. «Als Regisseur kann ich so dem Publikum zeigen, was die Figur empfindet und Intensität schaffen», erläutert er auf der Website der «kleinen Kinoschule» in einem interaktiven Interview.

«Jetzt bist du dran...»

Dies ist der zweite Grundpfeiler des Projekts: Die Website der «kleinen Kinoschule» ist interaktiv, ausbaufähig und überhaupt eine erfreuliche Sache. Ihre Besucher können sich nicht nur die Filme ansehen, sondern auch auf interaktive Interviews mit den Filmemachern zugreifen, in denen diese ihren Beruf erklären, ihre Art, ihn auszuleben und die Werkzeuge, die sie dazu verwenden. Mit Hilfe eines Frage-und- Antwort-Spiels (Jean-Stéphane Bron fragt zum Beispiel in «Der Dokumentarfilm», ob man die Leute, die man filmt, darum bitten darf, eine erlebte Szene nachzuspielen) werden die Kin- der gefordert und lernen so Schritt für Schritt. Ein weiteres spielerisches Element bietet die Rubrik «Jetzt bist du dran...», wo die jungen Besucher ihren eigenen Dokumentarfilm drehen können, vor der Kamera wie Schauspieler Gefühlsregungen spielen, die sie gar nicht empfinden, oder einen Film ihrer Wahl schnei- den können.

«Diese Website ist ein grosser Spielplatz, den man stundenlang erkunden kann, sowohl zu Hause als auch in der Schule», so Vincent Adatte. Eine lebendige, mehrsprachige und ambitionierte Website, die in Partnerschaft mit SRF entstand und durch private Mittel von der Zauberlaterne finanziert wurde. Die Filme ihrerseits konnten auf die Unterstützung von Cinéforom, BAK, SRF und der Zürcher Filmstiftung zählen.

Der Erfolg der «kleinen Kinoschule» hat die Landesgrenzen längst überschritten, insbesondere dank der Unterstützung von MEDIA. Da eine Schweizer Institution solche Förder- mittel nicht direkt beantragen kann, haben die europäischen Partner der Zauberlaterne Fördergelder erhalten, die dazu verwendet wurden, die Kurzfilme der Sammlung auf Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch, Italienisch und Serbokroatisch zu synchronisieren und auf Polnisch und Georgisch zu untertiteln. Dies eröffnet ihnen zusätzliche Vertriebsperspektiven im Kino und am Fern- sehen. Vincent Adatte dazu: «Filmemacher aus verschiedenen Ländern werden mit uns zusammenarbeiten. Der internationale Erfolg bestätigt sich langsam. So etwas wie die ‹kleine Kinoschule› gibt es kein zweites Mal.»

www.kinoschule.org


▶ Originaltext: Französisch

Die Fortsetzung der Serie

Mehrere Filmemacher haben schon begonnen, an der Fortsetzung der Serie zu arbeiten:Andrea Štakawird zeigen, wie sie ihrem Publikum Angst einjagt.Bettina Oberli wird die verschiedenen Möglichkeiten der Inszenierung veranschaulichen, und Fulvio Bernasconi wird sich mit dem Thema der kinematographischen Zeit befassen.

Die Sammlung wird sich auch international weiterentwickeln. Renommierte Filmemacher wie Olivier Assayas, Céline Sciamma, Albert Serra, Miguel Gomez, Mathieu Amalric und Pippo Delbono haben Interesse an dem Projekt bekundet. Die Beiträge dieser Filmemacher sind als Koproduktionen mit Partnern im jeweiligen Herkunftsland geplant.

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