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Ein Blick zurück, zwei nach vorn

Adrien Kuenzy
21. Juli 2022

Christian Frei wurde im August 2010 Präsident der Akademie. © Nina Dick

Nach 12 Jahren tritt Christian Frei als Präsident der Schweizer Filmakademie zurück. An der nächsten Mitgliederversammlung am Locarno Film Festival bewerben sich die Vorstandsmitglieder Séverine Cornamusaz und Samir um die Nachfolge.    

Am Sonntag, 7. August ist es soweit, Regisseur und Produzent Christian Frei gibt in Locarno seine Aufgaben an der Spitze der Schweizer Filmakademie weiter. «Als Präsident sah ich es als meine Aufgabe, zusammen mit dem Vorstand unsere recht komplexe Rolle zu kommunizieren und zu stärken. In den ersten Jahren meiner Präsidentschaft war das nicht immer einfach», so die Bilanz des mehrfach ausgezeichneten Regisseurs, der 2002 mit seinem Film «War Photographer» als bisher einziger Schweizer Dokumentarfilmer in der Kategorie Bester Dokumentarfilm für einen Oscar nominiert wurde.

Die im Mai 2008 gegründete Schweizer Filmakademie umfasst heute über 500 Fachleute aus der Filmbranche. Ihre Mitglieder wählen jedes Jahr die Nominierten, anschliessend die Gewinner:innen des Schweizer Filmpreises in 13 Kategorien. Die Schweizer Filmakademie ist eine politisch unabhängige Institution, die Filme beurteilt, aber nicht an der Preisverleihung mitwirkt. Diese wird vom Bundesamt für Kultur veranstaltet, das auch die Preise vergibt. «Der Schweizer Filmpreis ist ein Unikum», so Christian Frei. «Ich kenne kein anderes Land, in dem die Filmpreise von einer Institution vergeben und auch organisiert werden, die zugleich wichtigster Filmförderer ist. Die meisten Filmakademien sind unabhängige und privatrechtlich organisierte, schlanke und wendige Institutionen, die auch für die Durchführung der Gala verantwortlich sind. Unsere Kernkompetenz ist das Beurteilen der Werke unserer Kolleginnen und Kollegen.»

Die Preiskategorien werden vom BAK bestimmt, doch die Schweizer Film­akademie bringt gemäss ihrem Präsidenten laufend Vorschläge ein: «Die neue Kategorie ‹Bester Ton› ist dank der Initiative unserer Mitglieder schliesslich eingeführt worden. Das war recht komplex, weil die technische Exzellenz nicht auf eine Person reduziert werden kann. Wer schafft ein aussergewöhnliches Klanguniversum. Die Tonmeisterin oder der Tonmeister auf dem Set? Die Person, die für das Sound Design während der Montage verantwortlich ist oder für die Tonmischung in der Postproduktion? Zusammen mit dem BAK haben wir schliesslich eine Lösung gefunden.»

 

Filmpreise schaffen Visibilität

Christian Frei betont die grosse Bedeutung von Filmpreisen: «Filmpreis-­Rennen schaffen Visibilität. Unser Ringen um Sichtbarkeit, Erfolg, filmische Eigenart und Grösse spiegelt sich darin. Sinn und Zweck von Filmpreisen kann man sicher diskutieren. Und ja… künstlerische Exzellenz kann nicht wie im Sport mit klaren Richtlinien und objektiv messbaren Leistungen beurteilt werden. Aber eine Nomination oder ein Quartz können mithelfen, dass anspruchsvolle Filmwerke ein Publikum finden.»

Wie jedes Rennen schafft auch das Rennen um den Schweizer Filmpreis nicht nur Gewinner:innen, sondern auch Enttäuschung oder das Gefühl, nicht gewürdigt worden zu sein. «Die Filme werden auf der Visionierungsplattform in grosser Zahl geschaut. Und immer wieder zeigen unsere Resultate, dass auch verborgene Filmperlen entdeckt und gewürdigt werden. Gleichzeitig fand ich es immer wichtig, dass wir jene Kolleginnen und Kollegen unter uns, die für ein grosses Publikum arbeiten, nicht ausgrenzen. Ein Publikumsfilm kann durchaus auch künstlerische Qualität haben!»

Gemäss Christian Frei haben diesbezügliche Evaluationen gezeigt, dass es keine systematische Diskriminierung gibt von sprachlichen Minderheiten oder in Bezug auf das Geschlecht. Eine Mehrheit der Gewinner:innen in der Königsdisziplin «Bester Spielfilm» ist weiblich und stammt aus der lateinischen Schweiz. Gut so!  

 

Originaltext Französisch

 

 

«Wir vertreten zwei Generationen des Schweizer Filmschaffens» – ein Gespräch mit Séverine Cornamusaz und Samir.

Wann wurde entschieden, Sie für die Nachfolge von Christian Frei vorzuschlagen?

Séverine Cornamusaz (SC): Der Vorstand gibt eine entsprechende Empfehlung an die Mitglieder ab, und diese stimmen an der Mitgliederversammlung  in Locarno darüber ab. Ich war ursprünglich nur einfaches Mitglied, nachdem mein Film «Cœur animal» 2010 zwei Quartz gewann. Samir ist seit Beginn dabei, er ist einer der Gründer der Filmakademie.

Samir (S): Wir waren uns rasch einig, dass wir eine Frau an unserer Spitze möchten. Aufgrund meiner Erfahrung, und da es in der Branche einige Veränderungen geben wird, insbesondere als Folge des revidierten Filmgesetzes, wurde ich angefragt, ob ich an der Präsidentschaft interessiert sei. Doch ich hatte keine Lust, dieses Amt alleine zu übernehmen, einerseits weil ich es wichtig finde, dass die vier Kulturen unseres Landes bestmöglich vertreten sind, und andererseits weil Gleichstellung ein zentrales Anliegen ist. Als Einwanderer, der in den Sechzigerjahren in die Schweiz kam, stehe ich selbst für eine Art von Diversität.

SC: In unserer Verschiedenheit liegt unsere Stärke. Wir gehören unterschiedlichen Altersgruppen an und können daher zwei Generationen des Filmschaffens vertreten. Unsere Zusammenarbeit ist sehr anregend und schafft so etwas wie eine dritte Kompetenz. Ich glaube, man hat mir diese Ko-Präsidentschaft vorgeschlagen, weil «Cœur animal» einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat und auch heute noch viel Sympathie erfährt.

 

Was sind die aktuellen Herausforderungen der Schweizer Filmakademie?

S: Zunächst müssen wir die Brücken zwischen den vier Kulturen stärken, und dann die Übergabe an die nächste Generation vorbereiten. Den Vereinen fehlt der Nachwuchs; die Akademie stellt hier keine Ausnahme dar. Doch ein gutes Netzwerk ist unerlässlich, und die jungen Filmschaffenden müssen verstehen, dass es an ihnen ist, dieses Netzwerk neu zu gestalten – Gott wird es nicht an ihrer Stelle tun (lacht).

SC: Ohne eine Nominierung Mitglied der Akademie zu werden ist schwierig; das erklärt einiges. Für mich ist das eine der grossen Herausforderungen: die Vertretung der Frauen und der jungen Generation, die frisch vom Studium kommt, zu stärken. Auch das Tessin ist nicht ausreichend repräsentiert.

 

Wie würden Sie die Rolle der Filmakademie definieren, die ja unpolitisch bleiben muss?

SC: Unser Ziel ist es, Schweizer Filmen zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen und die Branche gegenüber diversen Instanzen zu vertreten. Die Akademie ist ein Ort des Austauschs und des künstlerischen Denkens. Diesen Aspekt möchten wir unterstreichen und verstärken. In der Schweiz gibt es bereits genügend Inter­es­sen­verbände mit politischen Zielen. Wir hingegen müssen auch die Beziehungen zwischen Mitgliedern, dem Vorstand und dem BAK pflegen.

S: Schliesslich vergibt das BAK die Preise, auch wenn die Akademie die Preisträger:innen auswählt. Dazu muss man anmerken, dass wir im Gegensatz zu den meisten europäischen Akademien ein sehr begrenztes Budget haben, das sich nur aus Mitgliederbeiträgen speist. 

SC: Die Akademie ist auch ein Ort der Demokratie, den es unbedingt zu bewahren gilt. Gewisse Personen, die öffentliche Ämter bekleiden, können sich dort frei ausdrücken und anonym für einen Film stimmen. Das ist ein enormer Luxus.

 

Widerspiegeln die Kategorien des Schweizer Filmpreises die Realität der audiovisuellen Landschaft ausreichend?

S: Diese Diskussion wird jedes Jahr aufs Neue geführt. Andere Länder vergeben beispielsweise auch einen Regiepreis usw. Das alles muss mit dem BAK abgesprochen werden, das die Preisgelder bezahlt, sowie mit unseren Gründerverbänden und Mitgliedern.

SC: Wir verstehen, dass gewisse Berufsgruppen enttäuscht sind, weil viele wichtige Berufe nicht vertreten sind. Zu diesem Zweck wurde der Spezialpreis geschaffen, mit dem Personen ausgezeichnet werden können, die keiner bestehenden Kategorie angehören. 

 

Was ist die Rolle des Film Academy Network Europe, dem auch die Schweizer Filmakademie angehört?

SC: Jedes Mitgliedland des FAN bringt einmal pro Monat seine dringlichsten Themen zur Sprache. In letzter Zeit wurde natürlich viel über die Ukraine diskutiert, die sämtliche Filmakademien Europas aufgefordert hat, alle russischen Filme zu boykottieren. Im Gegensatz zur europäischen Filmakademie hat die Schweiz dies abgelehnt.  

 

Die Mitglieder in Zahlen

Aktuell sind 73 % der Akademie-Mitglieder deutschsprachig, 22,2 % französischsprachig und 4,9 % italienischsprachig; 62 % sind Männer und 38 % Frauen.  Die Altersgruppe von 40-64 stellt 67,3 % der Mitglieder, die 20-39-Jährigen 12,7 % und  18 % sind 65-79 Jahre alt. Die zwei meistvertretenen Berufsgruppen sind Produktion und Regie; Drehbuch und Ton sind am schwächsten vertreten.

Quelle: filmakademie.ch

 

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