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«Das Tessin gerät immer mehr ins Hintertreffen»


01. Dezember 2015

Andres Pfäffli, producteur chez ventura film, s’exprime sur l’aide à la production cinématographique régionale au Tessin, les coproductions avec l’Italie et le fossé qui sépare le Tessin du reste de la Suisse.

Andres Pfaeffli, Produzent von ventura film, über Regionalförderung im Tessin, Koproduktionen mit Italien und die Kluft zwischen dem Tessin und dem Rest der Schweiz. 
 

Das Gespräch führte Kathrin Halter
 

Wie wichtig sind, aus Tessiner Sicht, Koproduktionen mit Italien?

So wie sich die Westschweiz nach Frankreich orientiert und die Deutschschweiz nach dem deutschsprachigen Raum, orientiert sich das Tessin nach Italien; das ist naheliegend. Wobei die Zusammenarbeit schwierig ist. 
So sind wir im Tessin doppelt gestraft. Neben den grossen Pools Zürich und Westschweiz ist unsere Regionalförderung viel kleiner. Und Italien ist sei eh und je in der Krise, besonders in der Filmfinanzierung: Das italienische Kulturministerium gibt nur noch sehr kleine Beiträge für italienische Filme; Koproduktionen mit der Schweiz sind da natürlich zuhinterst auf der Liste. Das erschwert unsere Arbeit schon. 
Verbessert hat sich die Situation, seit es in verschiedenen italienischen Regionen eine relativ gut funktionierende Regionalförderung gibt. Da haben wir allerdings das Problem, dass wir nicht als europäisches Land gelten – als europäischer Produzent kann man direkt eingeben, ohne Umweg über einen italienischen Koproduzenten. 
Schweizer hingegen sind auf Partner in Italien angewiesen, die zum Beispiel als ausführende Produzenten fungieren. So kann man den sogenannten Tax Credit beim Kulturministerium MIBACT (Mini­stero dei beni e delle attività culturali e del turismo) beantragen, was massive Einsparungen bei den Sozialabgaben mit sich bringt. 


Wie wichtig ist Italien für den Vertrieb von Filmen? 

Der italienische Kinomarkt ist stark monopolisiert. 
Es gibt zwei, drei grosse Kinoketten, die kaum Arthouse-Filme spielen. Dann gibt es ein paar kleine Verleiher und das Istituto Luce, das vom Staat den Auftrag erhalten hat, Erst- und Zweitlingsfilme zu vertreiben; diese arbeiten aber mit wenigen Kopien und beschränkten Mitteln. So verschwinden die Filme in der Regel nach zwei Wochen wieder aus dem Programm. 
 

Welche italienischen Städte sind noch am ehesten cinéphil?

Die italienische Filmstruktur ist sehr zentralistisch. Da ist Rom – und nichts anderes. Mailand ist die Hauptstadt des Werbefilms. Doch ausgerechnet Mailand und die Lombardei – eine der wohlhabendsten Regionen Italiens – haben keine mit finanziellen Mitteln ausgestattete regionale Filmförderung . 
 

Welche Regionalförderung ist am wichtigsten in Italien?

Die im Südtirol, dort wollen im Moment alle hin; 5 Millionen Euro werden jährlich vergeben. Schweizer können dort auch ohne italienische Partner direkt eingeben. Bei «Fuori Mira» von Erik Bernasconi zum Beispiel haben wir selektive Förderung erhalten und konnten, weil italienische Schauspieler und Techniker mitwirkten, zugleich Tax Credit beantragen, was den Betrag von der Regionalförderung quasi verdoppelt hat. 
 

Wie sieht es mit der Regional­förderung im Tessin aus? 

Die Höhe der selektiven Filmförderung ist im Tessin direkt an die Billettsteuer geknüpft, im Moment sind das pro Jahr nur etwa 230ʼ000 bis 240ʼ000 Franken. Vor ein paar Jahren haben wir es zudem geschafft, eine kleine automatische Regio­nalförderung auf die Beine zu stellen: Wenn ein Projekt einen Beitrag von mindestens zwei der drei wichtigsten Geldgeber Fernsehen, BAK oder Kanton Tessin erhält, folgt der Automatismus. Dafür standen in den letzten Jahren jeweils etwa 400ʼ000 Franken pro Jahr zu Verfügung. Nun soll der Betrag mit Hilfe des BAK ab nächstem Jahr auf 800ʼ000 Franken jährlich aufgestockt werden. Die italienischsprachige Schweiz kommt so jährlich neu also auf rund eine Million Franken – man vergleiche den Betrag mit den 10 Millionen Franken, die die Zürcher Filmstiftung zur Verfügung hat...
 

Um dort eingeben zu können, braucht es zumindest ein Büro im Kanton Zürich....

Es braucht mehr als das. Ich zum Beispiel wohne offiziell im Kanton Zürich, bin eigentlich Zürcher. Die Stiftung akzeptiert das jedoch nicht, weil mein Lebensmittelpunkt im Tessin liegt. 
Das ist unser Problem: Dass wir je länger desto mehr ins Hintertreffen geraten, weil sich die Schere zwischen dem Tessin einerseits und Zürich und der Romandie mit ihrer starken Regionalförderung anderseits immer weiter öffnet. Eigentlich braucht es ein vierblättriges Kleeblatt, damit ein Film aus dem Tessin gut finanziert werden kann: Das BAK, das Fernsehen, die Regionalförderung sowie einen ausländischen Partner. 
 

Brisantes Dauerthema im Tessin sind die italienischen Grenzgänger, hinzu kommt der hohe Frankenkurs – inwiefern ist die Tessiner Filmbranche davon betroffen? Wie gross ist die Konkurrenz von filmtechnischen Betrieben in Italien? 

Beim Fernsehen werden schon Aufträge nach Italien vergeben. Zum Beispiel machte die RSI vor ein paar Jahren einen Eigenwerbungsspot. Da wurden wir von der italienischen Firma, die den Auftrag bekam, angefragt, ob wir ihnen bei der Suche nach Drehorten helfen könnten... Das war schon merkwürdig. Es sollte zumindest eine Ausschreibung erfolgen, bei der Firmen aus dem Tessin mithalten können. 
Auftragsproduzenten stellen meines Wissens gelegentlich Grenzgänger an, um Geld zu sparen. Bei uns, in der freien Filmproduktion, ist das weniger der Fall. Wir haben eher das Problem, dass unser Einzugsgebiet so klein ist, dass jene paar Schauspieler, die italienischsprachig sind und zugleich den Schweizerpass besitzen, an einer Hand abzuzählen sind. Ähnlich ist es bei den technischen Berufen. Wenn ich einen Chefkameramann suche, engagiere ich meist jemanden aus Zürich oder Italien; bei den Cuttern ist es dasselbe. Manche Funktionen wie zum Beispiel Regie­assistenten gibt es im Tessin eigentlich gar nicht. 
 

Das neue Radio- und Fernsehgesetz wurde von der Tessiner Bevölkerung abgelehnt, obwohl die RSI wichtiger Arbeitgeber für die Audivisionsbranche ist und der Kanton am stärksten vom Verteilschlüssel profitiert. Haben Sie eine Erklärung für das Nein? 

Das Fernsehen wird vor allem von rechts ständig angeschossen, weil es als linkslastig gilt – es sind die alten Vorurteile. Politisch wirkt das verheerend, wenn es danach auf Selbstzensur hinausläuft. Schliesslich möchte niemand auf der Frontseite der Lega-Gratiszeitung Il Mattino della Domenica erscheinen, wo regelmässig unter die Gürtellinie gezielt wird. Als 2013 zum Beispiel «Sangue» von Pippo Delbono in Locarno lief, ein durchaus provozierender Film, veranstaltete die Lega ein Riesengeschrei, weil der Film vom Fernsehen mit einem kleinen Beitrag unterstützt wurde. Jetzt produzieren wir seinen neuen Film zu einem ganz anderen Thema – das Fernsehen getraut sich offenbar nicht mehr, sich daran zu beteiligen. 
 

Welches Thema beschäftigt Sie als Tessiner Produzent sonst noch? 

Es gibt ein Abkommen zwischen Italien und Frankreich, ebenso wie zwischen Italien und Deutschland, wonach eine gewisse Anzahl Projekte in Co-Developement entwickelt werden, Projekte, die schon auf Entwicklungsstufe als Koproduktionen zwischen den beiden Ländern angedacht sind und deshalb bessere Chancen bei der Finanzierung haben. Ein solches Abkommen braucht es dringend auch zwischen der Schweiz und Italien. 
Zudem besteht mit der neuen Standortförderung die Gefahr, dass das Tessin noch mehr ins Hintertreffen fällt, weil momentan von einem Mindestbudget von 2,5 Millionen die Rede ist. Diesen Betrag bringe ich hier nicht zusammen. Die Kluft zwischen dem Tessin und dem Rest der Schweiz droht sich so noch zu verschärfen.

 

Andres Pfaeffli lebt und arbeitet in Meride (Tessin), geboren wurde er 1954 in Zürich. Seit 1979 ist er als Produzent und Regisseur tätig. 1991 Gründung von ventura film, zusammen mit Elda Guidinetti (im Bild oben am Filmfestival Locarno bei der Verleihung des Premio Cinema Ticino 2013 an ventura film und Amka Films Productions). 
Andres Pfaeffli hat untern anderem folgende Filme, meist mit europäischen Partnern, (ko-)produziert: «Fuori mira» von Erik Bernasconi, «They ­Chased Me Trough Arizona» von Matt­hias Huser, «Die Frau des Polizisten» und «Die grosse Stille» von Philip Gröning, «Per altri occhi» und «Il comandante e la cicogna» von Silvio Soldini, «Via castellana bandiera» von Emma Dante oder «The Substance» und «Dutti der Riese» von
Martin Witz. 

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