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Damit das VoD-Angebot vielseitiger wird

Kathrin Halter
23. Juli 2020

Markus Duffner ist Projektleiter von Heritage Online © zvg

Heritage Online, im Rahmen von Locarno Pro lanciert, vernetzt Inhaber von Filmrechten mit Betreibern von Streaming-­Plattformen. Das Projekt will damit einen Beitrag zur Bereicherung bestehender Angebote leisten.

Es ist paradox. Als noch jedes grössere Stadt-Quartier über eine Videothek verfügte, waren Filmklassiker fürs Heimkino vermutlich leichter zu finden als heute. Zwar bieten Strea­ming-Portale so viele Filme an, dass einem schwindlig werden kann. Andererseits sind gerade ältere Titel aus dem Kanon erstaunlich schlecht verfügbar, das klassische Hollywood­kino der Dreissiger- und Vierzigerjahre etwa oder die europäische Nouvelle Vague der Fünfziger- und Sechzigerjahre. Federico Fellini oder François Truffaut? Da muss man lange suchen. Und wo, bitte, sind die Filme von Alain Tanner abrufbar?

Hier setzt ein neues Projekt an, das im Rahmen von Locarno Pro lanciert wird: Heritage Online will «die filmischen Horizonte von Video-on-Demand-Diensten erweitern» und «einen Beitrag zur Wiederentdeckung von Werken der Filmgeschichte» leisten. Heritage Online ist allerdings kein weiteres ­Streaming-Portal, sondern setzt auf Vermittlung und Information von Professionellen.

 

Ein Ziel ist die bessere Vernetzung

Gelingen soll dies dank einer Datenbank, auf der Inhaber von Filmrechten – Weltvertriebe, Archive oder Restaurationsstellen – ihre Kataloge hochladen und mit Vertretern von VoD-Plattformen teilen können. Diese Strea­mers genannten Fachpersonen wiederum können sich dort über Kataloge, VoD-Rechte (TvoD für Einzelabrufe, SvoD für Flatrates) und verfügbare Territorien informieren, mit Rechteinhabern in Kontakt treten und auch einzelne Filme ansehen. Projektleiter ist Markus Duffner, der seit 2014 beim Locarno Film Festival arbeitet, für die Zeitschrift Le Film Français schreibt und 2018 die Streaming-Plattform Spamflix gegründet hat (wo vor allem Arthaus-Filme mit einem Hang zum Abseitigen angeboten werden).

Duffner kennt daher aus eigener Erfahrung, wie schwierig es sein kann, als Plattform-­Betreiber Filme aufzuspüren und zu lizenzieren: Er sei sich gewohnt, mit mindestens fünf Personen zu sprechen, bis er den oder die Rechteinhaber(-in) gefunden hat. Heritage online ist allerdings kein Markt, auf dem Filmrechte verkauft werden. Ziel ist die bessere Vernetzung in einem internatio­nalen Umfeld. International sollen auch die Filmkataloge sein, mit Filmen auch aus Indien oder Lateinamerika. Zu den Archiven, die ihre Beteiligung schon zugesagt haben, zählen die Deutsche Kinemathek, die Cinémathèque française, die Cinémathèque suisse, das British Film Institute sowie grosse Rechteinhaber wie Wild Bunch oder Gaumont. Auf Seiten der Plattformen dürfte auch Netflix mit dabei sein – jener Gigant, der vor einem Monat den Katalog von MK2 mit Filmen von Kieślowski oder Agnès Varda gekauft hat und damit immer mehr im Arthaus-Bereich mitmischt, zur Bedrängnis kleinerer Anbieter.

 

Horrende Kosten

Was aber sind die Bedürfnisse von kleineren Streaming-Portalen? Andreas Furler, Betreiber der Schweizer Plattform Cinefile, ist «enorm gespannt», was das «sinnvolle, schöne Projekt» zu Tage fördert. Bei seiner alltäglichen Arbeit zu schaffen machen ihm vor allem die Konditionen von grossen Rechte­inhabern wie Studiocanal oder MK2 sowie der Hollywood Majors, die VoD-Rechte praktisch nur im Grosspaket zu meist sehr hohen, für Nischenanbieter unrealistischen Preisen verkaufen. Von Heritage Online erhofft er sich diesbezüglich wenig Abhilfe. Hingegen hofft er auf interessante Kontakte und schöne Ent­deckungen im Nischenbereich.

Die Kostenproblematik kennt auch Markus Duffner gut: Einmal wollte er für seine Plattform «Freaks» erwerben, den Film von Tod Browning aus dem Jahr 1932. Obwohl der Film einfach auf Youtube zu finden ist und auch auf illegalen Download-Plattformen, konnte er den Rechteinhaber nicht zu einem Verkauf bewegen, der Preis war einfach horrend. Solche Hindernisse wird auch Heritage Online nicht aus dem Weg räumen können.

Umgekehrt komme es aber vor, dass Rechteinhaber sich nicht um ihre Kataloge kümmern, weil ihnen der Aufwand zur Bewirtschaftung zu gross ist. Auch werden viele Filme erst dann digitalisiert, wenn Anfragen von Portalen (und Kinos) vorliegen. Bei der Digitalisierung – Voraussetzung für die Verfügbarkeit im Online-Bereich – gibt es schliesslich immer noch einen grossen Nachholbedarf bei weniger bekannten Filmen, die auf ihre Wiederentdeckung warten, so Markus Duffner. Es sind die berühmtesten Filme, die als erstes restauriert und digitalisiert worden sind.

Welche Rolle aber sollen die Archive und Kinematheken bei Heritage online spielen? Diese verfügen ja meist nicht über die Rechte der Titel, von denen sie Filmkopien ausleihen. Sie können einen Link bilden zwischen Rechteinhabern und Plattformen, so Markus Duffner: als Orte des Wissens und dank ihrer Hauptrolle im internationalen Verleih von Filmgeschichte.

▶  Originaltext: Deutsch

Heritage Online Roundtable

«The distribution and presence of Heritage and Library films in Streaming Services»

Mit: Frédéric Maire (Cinémathèque suisse), Emilie Cauguy (Cinémathèque française), Penelope Bertlett (Criterion Channel) u.a.

Moderation: Nick Vivarelli

8. August, 17:00-18:00 Uhr.

Anmelden unter: www.locarnofestival.ch

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