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Der Unbequeme

Andreas Scheiner
30. Juli 2018

Thomas Imbach, Filmemacher

Ist er jetzt enttäuscht? Man habe ja gar nicht über Filmpolitik gesprochen, wundert sich Thomas Imbach, als sich draussen die Sonne schon tief über die Gleise senkt. Die Aussicht aus Imbachs Atelier, man kennt sie: Hier an der Hohlstrasse in Zürich West hatte der gebürtige Luzerner jahrelang seine 35mm-Kamera am Fenster stehen, daraus ist dann «Day is Done» (2011) geworden. Der Film mit dem Anrufbeantworter. Dieses bestechende Kinokabinettstück, das Imbach aus Mailboxnachrichten und Alltagsbildern montierte: eigenwillig, bild- und schnittgewaltig, irgendwo zwischen Essayfilm, Cinéma vérité und Mockumentary. Das ist seine Handschrift. Gefunden hat er sie schon vor einem Vierteljahrhundert, als er sich mit «Well Done» (1994) hervortat, ein Dokumentarfilm, der das bizarre Innenleben eines Schweizer Finanz­instituts sezierte. Über die Jahre wandte er seine Methoden dann vermehrt auf den Spielfilm an, bewies sich mit «Mary Queen Of Scots» (2013) auch im Kostümfach.


Kein «Höhenfeuer» für 2018

Gerade steht die Kamera wieder vor dem Atelierfenster. Imbach arbeitet an einer Art Sequel von «Day Is Done»: Der alte Güterbahnhof, der einst das Herz war, das Zürich mit allem Lebensnotwendigen versorgte, wurde 2013 abgerissen, jetzt kommt ein Polizei­zentrum an die Hohlstrasse. «Das kann man nicht ungestraft geschehen lassen», findet der Filmemacher, Mitte fünfzig, die Haare lang, Kusturica-Look. Aber das Projekt zehrt an ihm, die Förderung hängt noch. Sagt’s, und man ist schon fast drin in der Diskussion über Film­politik.

Aber eigentlich will man da gar nicht unbedingt rein. Denn erstmal kommt jetzt «Glaubenberg», Imbachs neuer Spielfilm. In Locarno ist Premiere, im Wettbewerb. Carlo Chatrian, hört man, habe schon vor einem Jahr Interesse angemeldet, offensichtlich hatte er einen Riecher. Uns zeigt Imbach eine fast fertige Arbeitskopie, das Verdikt darf man erst nach der Festival-Vorführung sprechen. Aber was man sagen kann: Kein Mensch mag über Filmpolitik reden, wenn er diesen «Glaubenberg» gesehen hat!

Imbach erzählt von einer ins Inzestuöse gehenden Geschwisterliebe, von einer Gymnasiastin (Zsofia Körös), die unheilvoll für ihren älteren Bruder (Francis Meier) schwärmt. Das Thema Geschwisterliebe, der Gebirgspass im Filmtitel – nein, «Glaubenberg» ist kein «Höhenfeuer» fürs 2018. Imbach lacht: «‹Höhenfeuer› würde heute noch besser laufen als damals; alles über 2000 Meter läuft ja verdammt gut.» Sein Film sei aber kein Alpenfilm: «Der Glaubenberg ist unter 2000 Meter», meint er lakonisch. Der Pass spielt auch nur eine Nebenrolle, er ist eine Kindheitserinnerung der Geschwister. Mittlerweile hat der Bruder die Matura gemacht und ist in die Türkei gereist, um sich im antiken Aphrodisias als Nachwuchsarchäologe zu versuchen. In der Schweiz drückt die Schwester tagträumend die Schulbank, und fantasiert sich zu ihrem Adonis-Bruder mit den goldenen Locken.


Eine vielsagende Widmung

Vorangestellt ist dem Film ein «based on true characters», im Abspann steht eine vielsagende Widmung. Darauf, das weiss Imbach natürlich, wird man sich stürzen, alle werden fragen: Ist die Figur im Film seine Schwester? Imbach zögert: «Ich habe mich während des Drehs mit Händen und Füssen gewehrt, öffentlich über diesen Film zu reden, weil er mir zu nahe war.» Der Kern der Geschichte, sagt Imbach, sei etwas, das ihn Jahrzehnte lang beschäftigt habe, nämlich wie aus einer Leidenschaft heraus ein Wahnsinn entstehen kann. Dann erzählt er davon, wie er beim Schreiben Ovid getroffen habe, wie die Geschichte von Byblis, deren Sehnsucht nach ihrem geliebten Bruder Kaunos jedes Mass verliert, dem Film zu seiner Struktur verholfen habe.


Pflegeleicht ist er nicht

Auch «La vie d’Adèle» sei ihm eine In­spiration gewesen. Wie Abdellatif Kechiche darin eine Nähe zu seinen Figuren schuf, das imponierte Imbach. Und um diese Nähe herzustellen, stellte er den Dreh auf den Kopf. Statt stundenlang Sets aufzubauen, sagte er einfach: «Kamera läuft!» Und so bewegte man sich gemeinsam als Team vor laufender Kamera in die Szene hinein. Wahrscheinlich habe er weit über hundert Stunden gedreht, sagt der Filmemacher, verschmitzt fügt er hinzu: «Das hat mich Nerven gekostet beim Schneiden.»

So ist Imbach: Er pusht seine Crews, verlangt aber auch sich selbst alles ab. So jemand macht sich nicht nur Freunde. Vielen gilt er als arrogant, das weiss er. Aber er nimmt’s gelassen. «Ich stelle halt Ansprüche an die Leute. Und es stimmt, ich bin nicht pflegeleicht.» Er sei «nicht gern der Regisseur, der von einem Produzenten diktiert bekommt, wie viele Drehtage er zur Verfügung hat.» Stattdessen nimmt er die Verantwortung auf sich und produziert selber. «Ich bin jemand, der lieber zu viel alleine macht.» In der Szene sieht man ihn als Querdenker, ein Filmkritiker von «Screen» nannte ihn einmal den «maverick», den Aussen­seiter des Schweizer Films. Imbach findet’s gut: «Es gibt ja Autos, die so heissen, es war bestimmt als Kompliment gemeint.»

▶ Originaltext: Deutsch

Warum Zürich ein Filmgesetz braucht

Simon Hesse, Co-Präsident Verein Zürich für den Film, Vertreter des Initiativkomitees für ein ­Zürcher Film- und Medienförderungsgesetz
30 Juli 2018

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