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Neuer Workflow, neues Metier


18. Mai 2017

In einem ausschliesslich digitalen Workflow, aus dem die Labors verschwunden sind, muss jemand den Arbeitsablauf von der Vorbereitung bis zur definitiven Kopie überwachen. Eine Funktion, die es noch zu selten gibt. 

Von Pascaline Sordet

Heute müsse alles der Editor ausbaden, scherzt der Filmemacher Laurent Graenicher, Moderator der Gesprächsrunde über den Digital Workflow, die das Schweizer Syndikat Film und Video (SSFV) vor einem Jahr im Rahmen von Visions du Réel organisiert hatte. Doch sein Lachen ist nicht ganz ungetrübt. Der ebenfalls anwesende Kameramann Patrick Tresch spinnt den Faden weiter und weist auf die handwerklichen Probleme hin, die sich für den Film ergeben: «Die Rollen überschneiden sich, weil die Teams klein sind. Und die Technik täuscht: Sie scheint einfach zu sein, doch viele kleine Fehler häufen sich. Es gibt grosse Unterschiede bei den importierten Dateiformaten, die die  Anpassung an den gewählten Standard einer Produktion erschweren; das verwendete Material ändert sich während der Arbeiten und es entstehen Formatierungsprobleme oder Diskrepanzen bei der Organi­sation der Dateien. All dies kompliziert die Arbeit des Editors, insbesondere weil keine Absprache zwischen den Zuständigen stattfindet. Die Einzelnen mögen ihre Arbeit gut machen, doch es braucht eine Koordination.»

In Nyon wurde deshalb vorgeschlagen, die Funktion eines technischen Supervisors einzuführen, der oder die den digitalen Produktionsablauf und die Schnittstellen zwischen den verschiedenen Arbeitsphasen koordinieren soll. Patrick Tresch erwartet von einem solchen Supervisor, dass er oder sie je nach Projekt auf mögliche Probleme verweist, damit es zwischen den Phasen keine Zuständigkeitslücken gibt – was eigentlich der Arbeit des unabhängigen Postproduktionsleiters Lorin Wüscher entspricht: «Ich sehe mich in erster Linie als Projektkoordinator. Ich bin kein Techniker, obwohl ich technisch bewandert bin, sondern eher ein Ansprechpartner an der Schnittstelle zwischen Technikern und Produzenten.»
 

Weshalb gerade heute?

Die Notwendigkeit einer solchen Funktion, die es in einigen Ländern schon gibt, entstand mit dem Aufkommen des Workflow. «Im Digitalbereich sind die Dinge einfacher und zugleich komplizierter», sagt Lorin Wüscher. «Früher war die Produktionskette standardisiert, man konnte mit dem Zelluloidfilm in ein beliebiges Labor gehen und war vor Überraschungen weitgehend gefeit. Dasselbe galt fürs Fernsehen: Der Arbeitsablauf war unter Kontrolle. Heute im Digitalzeitalter führen tausend Wege zum selben Ergebnis, es gibt so viele Lösungen wie es Hersteller gibt.» Ein Dschungel, in dem sich die Technik rasant entwickelt (dank realer Fortschritte und kommerzieller Zwänge) und in dem jeder Techniker seine Vorlieben, Gewohnheiten und Arbeitsmethoden hat. Die Technik wirkt leichter und produktivitätssteigernd, doch die Arbeit mit ihr ist letztlich komplexer geworden.

Glaubt man den Anwesenden in Nyon, so käme die Suche nach einer Person mit dem skizzierten Anforderungsprofil der Suche nach einer seltenen Perle gleich – und dies für einen «eher undankbaren» Beruf, der «technische und menschliche Kompetenz», «Leadership», natürlich eine «hohe Verfügbarkeit und Verantwortungssinn» erfordert. Die Person muss die künstlerische Wahl «begleiten» können, ohne «Entscheidungsbefugnisse zu haben», sie muss «sehr kompetent» und gleichzeitig «sehr bescheiden» sein. Die Regisseurin Orane Burri schliesst daraus: «Es braucht einen ‹Technikfreak› mit Kommunikationsfähigkeiten.»

Als sich im Saal die Gelegenheit zu Fragen ergibt, greift Boris Rabusseau zum Mikrofon: «Wenn ich das Wort Freak höre, sträuben sich mir die Haare.» Er ist bei Freestudios für die Postproduktion zuständig und versichert, dass es in der Schweiz sehr viel Know-how gibt und man die Tendenz hat, die Dinge komplizierter zu machen, als sie sind. «Ich bin kein Technikfreak, es ist mehr eine Frage der Sichtweise und des Verständnisses für den Arbeitsprozess beim Film. Ich komme vom Animationsfilm her, wo wir schon immer mit Multimedia gearbeitet haben, mit Cartoons, Fotos und 3D, und wo die Probleme beim Workflow viel komplexer sind, als man sich gemeinhin vorstellt. Meine Prioritäten als Postproduktionsleiter sind ein gutes Projektmanagement und eine Aufgabenteilung. Kann man den Prozess von Anfang an begleiten, erzielt man bessere Resultate und muss sich im späteren Produktionsprozess weniger den Kopf zerbrechen.» Allerdings muss die Produktion die Notwendigkeit erkennen und über die erforderlichen Mittel verfügen.
 

Wenn es chaotisch wird

Brauchte es eine Begründung, so würde das finanzielle Argument ausreichen. «Bei der Fernsehserie ‹Quartier des Banques› haben wir extrem auf den Workflow geachtet, weil es ein Vermögen kostet, etwas im Nachhinein zurechtzubiegen. Die Personen, die die Dateien konvertieren, müssen bezahlt werden, und es können sich dann in allen Postproduktionsphasen Probleme ergeben», erklärt Jean-Marc Fröhle, Produzent bei Point Prod. Diese Firma ist insofern speziell, als sie ein eigenes Postproduktionsteam hat. «So vermeiden wir Probleme. Doch, ehrlich gesagt, war das für uns alle ein Lernprozess. Sogar die Postproduktionstechniker mussten dazulernen. Viele Schwierigkeiten entstehen, wenn drei oder vier Bearbeitungsinstanzen mit im Spiel sind und alle koordiniert arbeiten sollten. Es besteht dann die Gefahr, dass jemand – oft aus löblichen Gründen – aus dem Prozess ausschert und eigene Lösungen sucht, die anderen aber nicht darüber informiert. Dann herrscht das Chaos.»

Zum Profil wird in Nyon auf eine kleine Nuance hingewiesen: Der an ein Studio gebundene Postproduktionsleiter steuert die Logik des Films im Rahmen der kommerziellen und technischen Gegebenheiten dieses Studios . Arbeitet er jedoch unabhängig und wird von der Produktion wie ein Produktionsleiter engagiert, beaufsichtigt er ein grösseres Ökosystem, das alle Leistungserbringer umfasst. Es ist freilich sinnlos, einen Postproduktionsleiter für die gesamte Produktionsdauer zu hundert Prozent anzustellen, wenn eine Beratung genügt. Dabei ist das einzige Risiko, dass man die Bedeutung dieser Rolle unterschätzt.
 

Desinteresse für die Technik?

«Ich habe den vagen Eindruck, dass ein gewisses Desinteresse an der Technik besteht», sagt Lorin Wüscher. Gewichten die Produzenten das Schreiben oder das Casting stärker als die Technik? «Es besteht eine Fehl­einschätzung hinsichtlich des Zugangs zu digitalen Lösungen», fährt er fort. «Man kann mit einem simplen Computer alles machen, und alles scheint auch einfacher zu sein, obschon die Ansprüche gestiegen sind. Man arbeitet gleich viel wie früher, doch die Fristen sind kürzer geworden. Es gibt zudem einen gewissen Fatalismus gegenüber der Technik; letztlich wird ja alles funktionieren, und das Ergebnis rechtfertigt die ganzen Beschwerlichkeiten.» Doch der Produzent Jean-Marc Fröhle schenkt den Fragen rund um den Workflow viel Aufmerksamkeit: «Ich bin zwar kein Ingenieur, obschon ich relativ viel weiss. Ich habe mich vom Laien zum fortgeschrittenen Laien gemausert. Als Produzent kann ich aber kein Spezialist sein». Deshalb ist eine sorgfältige Vorbereitung wichtig: «Vor den Dreharbeiten braucht es Sitzungen, zum Zeitpunkt der Kameratests muss die ganze Produktions­kette geprüft werden, um mögliche Probleme zu antizipieren. Dann ist auch während des Drehs darauf zu achten, dass bei Stress, Müdigkeit oder einer plötzlichen Eingebung niemand das festgelegte Format verändert: Es gibt immer ein Genie, das sich sagt, das könnte anders bestimmt auch funktionieren. So etwas geschieht immer wieder und blockiert den gesamten Prozess.»

Bei kleineren Projekten bittet man die Kameraleute oft, bei Problemen selber eine Lösung zu finden, denn schliesslich kommt ja dann noch der Editor, die exponierteste Person. Aber kann man von ihm ein technisches Wissen erwarten, das alle Kameras, Formate, Marken kennt, vom Ton ganz zu schweigen? Die Editorin Maya Schmid betont in Nyon, dass es in der Verantwortung eines jeden liegt, seine eigenen Grenzen zu kennen, damit die Produktion sich darauf  einstellen kann, was die betreffende Person gern macht und kann, oder eben nicht. Lorin Wüscher verteidigt nicht seine Stellung – die von ihm beschriebene Funktion könnte auch ein Produktionsleiter oder -assistent einnehmen, wenn dieser motiviert und kompetent ist – doch er verteidigt die Notwendigkeit einer Supervision. Und sei es nur, weil sie Geld sparen hilft: «Ich weise nach, was ich koste, der Kunde spart diesen Betrag oder noch mehr ein. Sogar wenn der Produzent die Zeit hat, diese Supervision selber zu machen, zahlt sich meine Arbeit für ihn aus, wenn ich frühzeitig einbezogen werde.»

Es gibt keine Patentlösung, eine Fiktion erfordert andere Abläufe als ein Dokumentarfilm, eine allein arbeitende Ethnologin braucht nicht das gleiche wie das Team einer Fernsehserie. Oder mit den Worten des amerikanischen Technikers Ben Schwartz: «Workflows sind wie Schneeflocken: Jede ist anders».

 

▶  Originaltext: Französisch

 

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