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Ein Schweizer Kameramann mit internationalen Projekten

Teresa Vena
07. März 2024

Nach seiner Weltpremiere am Sundance-Filmfestival wurde «The Outrun» von Nora Fingscheidt auch an der Berlinale in der Sektion Panorama gezeigt. Der Schweizer Yunus Roy Imer war für die Kamerarbeit verantwortlich. Wir haben dem Kameramann ein paar Fragen gestellt.

Nach «Systemsprenger» ist «The Outrun» der zweite Langspielfilm von Nora Fingscheidt, für den Sie die Kamera verantworten. Wie kam die Zusammenarbeit mit ihr zustande? 

Nora und mich verbindet eine langjährige Freundschaft. Wir haben uns damals an der Filmakademie Baden-Württemberg kennengelernt. Wir waren im selben Studienjahr und haben schon bald unseren ersten gemeinsamen Film gedreht. Unser intensiver Austausch über Film und das Lebenund unser Zusammenarbeiten haben mein Verständnis von Film sehr stark geprägt. Auch der Editor Stephan Bechinger, der alle unsere gemeinsamen Projekte geschnitten hat, war mit uns im selben Jahr und John Gürtler, Filmkomponist vieler gemeinsamer Projekte, war zur selben Zeit an der Filmakademie. Uns alle verbindet eine langjährige filmisch-familiäre Beziehung.

 

«Systemsprenger» war ein grosser Erfolg, unter anderem wegen der innovativen ästhetischen Sprache des Films. Wie haben Sie das Konzept dafür erarbeitet? 

Nora hatte sehr viel zu dem Thema Systemsprenger recherchiert, was unfassbar wichtig ist für eine solche Arbeit. Für mich war die Faszination an dieser Geschichte schon im Drehbuch zu spüren, ich glaube, ich hatte Herzrasen, als ich es zum ersten Mal las, es war einfach eine Wucht und dieselbe Energie finde, ich überträgt sich glücklicherweise auch im Film. Die Kamera hat sich stark an der inneren Stimmungswelt von Benni orientiert und versucht ihre Agilität zu widerspiegeln und mit ihrem Tempo mitzuhalten – es war herrlich, mit dem Mädchen und der Kamera einfach drauf loszurennen und zu versuchen, mit ihr Schritt zu halten. Mir gefällt an dem Film auch sehr, dass die unterschiedlichen Szenen auch dank des Schnitts sehr unterschiedliche Rhythmen und Dynamiken haben, der Film lässt sehr ruhige und auch sehr laute Momente zu, ermöglicht ein Spektrum der verschiedensten Emotionen. Mit der Hauptdarstellerin Helena Zengel ging ich viel mit zu Konstellation-Castings und Proben, einmal auch auf einen ausgedehnten Spaziergang, bei dem wir sie in verschieden farbigen Kostümen vor unterschiedlichen Farbflächen fotografiert haben, um die Wechselwirkung zwischen ihr und den Farben zu verstehen.

 

Welche Erfahrung haben Sie dabei gemacht, die Sie für «The Outrun» wieder angewandt haben? 

Ich glaube die wichtigste Erfahrung, die ich durch «Systemsprenger» gemacht habe, war ein gewisser Grad an Selbstvertrauen durch das positive Feedback auf diesen Film über die Jahre. «Systemsprenger» war unser Debüt, bei «The Outrun» waren wir 5 Jahre erfahrener und hatten mittlerweile auch viele eigene Erfahrungen bei unterschiedlichsten Filmen gemacht. Interessanterweise hat uns «The Outrun» an viele gemeinsamen Projekte erinnert: Eine Hauptfigur, die bei aller Wildheit versucht, ein sicheres Zuhause zu finden, wie Benni bei «Systemsprenger». In «Ohne diese Welt» das Porträt einer Gemeinschaft auf dem Land und ihr Verhältnis zur Natur, Welt und zu Gott. In unserem Kurzfilm «Synkope», eine Hauptfigur, die ihre Beziehung zu ihren Liebsten und die Dinge um sich herum kaputt macht… Alle diese Filme und Arbeiten haben unsere Herangehensweise an «The Outrun» geprägt und beeinflusst, aber «The Outrun» hat nochmal ganz neue Orte, Themen und Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Was alle unsere Arbeiten und unsere persönliche Herangehensweise prägt, ist der Respekt vor und die Wertschätzung der Menschen und ihren Geschichten, im Falle von «The Outrun» empfand ich besonders schön, dass Nora mit der Autorin Amy Liptrot, die den gleichnamigen autobiografischen Roman geschrieben hatte, zusammen das Drehbuch geschrieben hat und wir mit Einverständnis der Familie der Autorin aber auch den beteiligten Communities an den originalen Locations, wo diese Geschichte tatsächlich stattgefunden hatte, drehen konnten und durften.

 

Sie leben in Deutschland, arbeiten aber sowohl mit deutschen als auch mit Schweizer Künstlern und Künstlerinnen zusammen. Wie würden Sie die Unterschiede in der Arbeitsweise zwischen den beiden Ländern beschreiben? 

In der Zusammenarbeit mit der Regie empfinde ich keine grundsätzlichen Unterschiede. Aber bei den Produktionen und der Crew habe ich den Eindruck, dass bei Schweizer Filmen spezifische Themen auch mal in grösseren Runden Gewerke übergreifend diskutiert werden, im Gegensatz zu Deutschland, wo eine stärkere Trennung eingehalten wird. Ich erkläre mir das teilweise dadurch, dass die Schweiz von einer eher familiär und kleinunternehmerische Arbeitskultur geprägt ist als Deutschland, wo eine eher gross unternehmerische und strengere Hierarchie die Arbeitsweise geprägt hat. Auch habe ich den Eindruck, dass es in Deutschland manchmal etwas zackiger zu und her geht, wobei ich oft denken musste, nur weil in der Schweiz die Stimmung manchmal etwas weniger zackig ist, heisst das nicht unbedingt, dass es unproduktiver ist. Die Kraft kann auch in der Ruhe liegen. Ich denke, in der Schweiz wird viel vorbesprochen, weil auch durch den kleineren Markt Standards teilweise weniger vorgegeben sind und die Mittel effizienter ausgenutzt werden müssen, als in Deutschland, weshalb in der Vorbereitung manchmal mehr Raum für Besprechungen und Lösungsansätze da ist, wobei in Deutschland eher von gewissen Standards ausgegangen wird, die teilweise nicht mehr angesprochen, aber auf jeden Fall gefordert werden. Ein gewisses Mass an Austausch und eine Investition in die Vorbereitung mit den verschiedenen Departements ist bestimmt eine gute Sache und kann auch zu einer gewissen Nachhaltigkeit und einer höheren Effizienz führen, aber manchmal kann auch eine Flexibilität gefordert sein, die einfach nur mit mehr Arbeitskräften, ihrem Know-how, Equipment und Budget zu bedienen geht.

 

Wie würden Sie die Chancen und Herausforderungen spezifisch in Ihrem Feld in den jeweiligen Ländern bezeichnen?

In Deutschland werden mehr unterschiedliche und grössere Projekte gedreht, es gibt viele internationale Koproduktionen, Deutschland ist dem globalen internationalen Markt näher als die Schweiz und Berlin als grosse internationale Stadt prägt natürlich auch eine ganz andere Filmszene. Die Chancen und Qualitäten der Schweiz liegen für mich in ihrer kulturell tief verwurzelten sprachlich kulturellen Vielfalt und direkten Nähe an Frankreich, Italien, Österreich und auch Deutschland, ich finde, das ist schon ein einzigartiges Alleinstellungsmerkmal, was für mich die Stärke der Schweizer Kultur und Filmwelt ausmacht, die sich die Schweizer Filmbranche auch unbedingt erhalten und fördern sollte. Im Endeffekt bin ich sehr froh in beiden Ländern arbeiten zu dürfen, ich würde, weder das eine noch das andere missen wollen, die Kombination ist perfekt und ich möchte gern auch weiterhin noch in vielen anderen Ländern arbeiten.

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