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Der Standpunkt von Jim McKay

Das Gespräch führte Pascaline Sordet
06. Januar 2020

Jim McKay © Massimo Pedrazzini / Locarno Film Festival

Nach vier Kinofilmen haben Sie zehn Jahre lang als Serienregisseur gearbeitet. Was reizt Sie an Serien?

Zwei Dinge: Erstens ist der Druck viel geringer. Beim Fernsehen muss ich mich nicht ums Drehbuch kümmern. Zweitens arbeite ich mit Drehbüchern, Leuten und einer Ausrüstung, die ich mir bei meinen eigenen Low-Budget-Filme nicht leisten kann. Ich lerne bei jedem Projekt mindestens etwas Neues kennen: einen besonderen Kamerakran, Spezial­effekte, Stunts. Vor zwei Monaten arbeitete ich an «Evil», und wir drehten eine Exorzismus-Szene. Das ist zwar nicht auf dem Niveau einer Superhelden-Serie mit Greenscreen und Sensoren, doch die Schauspielerin hing an einem Seil und flog durch die Luft.

 

Auf dem Fernsehset stehen Sie als Regisseur nicht im Mittelpunkt. Wie finden Sie trotzdem Ihren Platz?

Das ist schwierig. Ich arbeite in einer grossen, gut geölten Maschine und stehe in gewisser Weise im Mittelpunkt, zugleich aber auch gar nicht. Die Entscheidungen werden von Leuten über mir getroffen, und ich muss abwägen, wann es sich lohnt, für eine Idee zu kämpfen, und wann ich besser schweige.

 

Ist die Arbeit mehr teamorientiert als bei einem Kinofilm?

Das hängt von der Art des Films ab, aber im Allgemeinen ja. Es gibt Kostümbildnerinnen, die schon seit drei Staffeln dabei sind und die Serie in- und auswendig kennen, wenn ich zum Team stosse. Theoretisch muss der Regisseur alles absegnen, doch eine solche Mitarbeiterin kann auch einmal Bilder direkt an den Produzenten schicken, und das ist in Ordnung so. Man muss den Leuten vertrauen und sich seinen Platz schaffen. Das Schwierige daran ist, dass man eine neue Welt betritt und sehr schnell verstehen muss, wie die Leute zueinanderstehen und wem man vertrauen kann.

 

Wie ist Ihre Beziehung zu den Drehbuchautoren?

Am Anfang gab ich Rückmeldungen zu den Drehbüchern, doch ich musste feststellen, dass dies nicht gut ankam. Bei den meisten Serien gibt es keinerlei Beziehung zwischen Regie und Autoren, oder eine klare Trennung, selbst wenn Drehbuchautoren zuweilen auf dem Set sind.

 

Was tun sie dort?

Da muss ich mir eine sarkastische Bemerkung verkneifen. Sie übernehmen die Rolle des Showrunners und beantworten Fragen, zum Beispiel der Schauspieler. Manchmal machen sie auch Anmerkungen zur Regiearbeit, dann wird es kompliziert. Wenn sie nicht dort sind, fühle ich mich frei, kleine Änderungen vorzunehmen und Dialoge zu optimieren. Zudem kann man das Autorenteam immer anrufen.

 

Welche Werkzeuge benötigen Sie ausserdem?

Ich bereite mich immer so gut wie möglich vor. Oft gibt es ein Lookbook oder eine Serienbibel, Bilder die eine Richtung weisen. Wenn das Bilder aus Filmen mit sechsmonatigen Dreharbeiten und einem 40-Millionen-Budget sind, kann ich damit nichts anfangen. Bilder aus der Serie selbst sind hingegen sehr hilfreich. Danach sehe ich mir so viele Folgen wie möglich an, auch wenn sie noch nicht geschnitten wurden. Auf die vierte Staffel von «Better Call Saul» habe ich mich drei Monate lang vorbereitet, die drei vorhergehenden Staffeln angesehen sowie «Breaking Bad», um zu wissen, wie die Geschichte weitergeht.

 

Und wenn Sie bei einer Serie von Anfang an dabei sind?

Ich habe die zweite Folge von «Treme» und «Boss» gedreht sowie die dritte Folge von «Mr Robot». Wenn noch nicht viel Material vorhanden ist, hat man wenig Ressourcen. Das ist hart, aber spannend. Es bedeutet, dass ich engagiert wurde, um die Ästhetik der Serie mitzugestalten.

 

Was ist ihr frustrierendstes Erlebnis?

Das war während meines allerersten TV-Drehs, für die vierte Staffel von «The Wire». Das Team war sehr gut eingespielt, denn in Baltimore gibt es nicht viele Techniker. Als unabhängiger Regisseur war ich es gewohnt, Anweisungen zu geben, doch hier hatte ich Probleme mit den Requisiteuren, die sich weigerten, auf mich zu hören. In einer Szene stehlen Kinder ein Auto, und ich wollte ein Auto, das viel Lärm macht, um ein Gespräch zu übertönen und die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie brachten mir alles Mögliche, aber nie das, was ich verlangt hatte. Schliesslich gab ich auf, sie nahmen mich nicht ernst. Am Drehtag kamen sie mit einem unauffälligen Mercedes oder BMW. Als wir drehen wollten, stellten wir fest, dass der Tank leer war. Wir verloren eine halbe Stunde, um den Wagen aufzutanken – so etwas dürfte Profis nicht passieren.

 

Was ist die grösste Herausforderung für die Schöpfer einer Serie?

Darüber werde ich in Solothurn sprechen: Es gibt laufend neue Herausforderungen, die ganz anders sind als bei einem Kinofilm. Wenn Sie beim Dreh der dritten Folge feststellen, dass ein Schauspieler Ihnen nicht passt, müssen Sie unter Umständen trotzdem vier Staffeln mit ihm drehen, wenn er eine tragende Rolle hat. In kreativer Hinsicht muss man sehr langfristig denken; zu viele Geschichten gehen nur deshalb weiter, weil es noch eine Staffel braucht, und nicht weil sie so gut sind.

 

Was würden Sie einem Regisseur raten, der ins Seriengeschäft einsteigen will?

Ich denke, heutzutage gibt es viele Möglichkeiten, seine eigene Serie zu machen. Wenn Sie «CSI» drehen wollen, müssen Sie natürlich in das System einsteigen. Da kann ich nur einen Rat geben: hartnäckig sein. Möchte man sein eigenes Ding machen, so dreht man am besten 10-minütige Pilotfilme – dazu reicht ein kleines Budget. «Broad City» und «High Maintenance» haben so angefangen. Wenn es gut gemacht und originell ist, wird jemand darauf aufmerksam werden. Das Fernsehen ist eine Welt für sich, in der die jungen Leute sich bestens auskennen. Sie reden ganz selbstverständlich über die Handlungsstränge von Staffeln, sogar mehrerer Staffeln, denn sie schauen mehr Serien als Filme. Hier hat eine Trendwende stattgefunden, auch wenn mein Herz nach wie vor für den Film schlägt.

 

War es schwierig, zum Film zurückzukehren?

Ich habe nützliche Dinge gelernt, aber auch schlechte Angewohnheiten angenommen. Der auffälligste Unterschied ist, dass man beim Fernsehen immer aus möglichst vielen verschiedenen Blickwinkeln filmt, um sich abzusichern, denn «sie» könnten diese oder jene Einstellung ver­langen. Beim Film gibt es keine «sie», und man muss wieder lernen, weniger zu drehen und von Anfang an zu wissen, was man will.

 

Das Gespräch führte Pascaline Sordet

▶  Originaltext: Französisch

 

Jim McKay

ist ein amerikanischer Regisseur, Drehbuchautor und Produzent. Er lebt in New York, wo er auch all seine Spielfilme gedreht hat: «Girls Town» (1995), gefolgt von «Our Song», «Everyday People» und «Angel Rodriguez». Er arbeitete zehn Jahre lang als Serienregisseur für «The Wire», «Big Love», «In Treatment», «Treme», «Mr Robot», «The Americans», «The Good Wife», «Breaking Bad» und «Law and Order». 2017 kehrte er zum Film zurück und drehte «En el séptimo día», der in Locarno im internationalen Wettbewerb gezeigt wurde.

Fokus: «Im Bann der Serien»

Der diesjährige Fokus der Solothurner Filmtage dreht sich um Serien. Gezeigt werden Schweizer und internationale Produktionen. Die Podien und Gespräche mit Simultanübersetzung finden im Kino im Uferbau statt.

SAMSTAG

14:15 – 15:15

Die Künstlerin Cemile Sahin (DE) liest aus ihrem seriell strukturierten Debütroman «Taxi» und spricht über die Einflüsse, die Serien auf ihr Werk ausüben.

 

16:00 – 17:15

Geschichte(n) in Serie: Serien haben sich in den letzten Jahren zu einem dominanten Vermittler historischer sowie aktueller gesellschaftspolitischer Ereignisse entwickelt.

Mit Gilles Marchand (Generaldirektor SRG), Monika Dommann (Historikerin), Daniel Eschkötter (Filmwissenschaftler), Mischa Hedinger (Regisseur), Delphine Lehericey (Regisseurin).

MONTAG

09:45 – 10:30

Das neue ABC der Serien

Expertinnen und Experten definieren das Serien-Vokabular.

 

11:00 – 12:15

Neue Schweizer Serien

Mit Nathalie Wappler (Direktorin SRF, Stv. Generaldirektorin SRG), Romain Graf («Helvetica»), Luc Peter («Bulle»), Pierre Monnard («Wilder»), Adrian Spring («Nr. 47»).

 

13:30 – 14:30

Im Writer’s Room – Schreiben für Serien

Mit Jana Burbach (DE), Autorin im Writer’s Room von «Bad Banks», und Nicolas Steiner (CH).

 

15:00–17:15

Masterclass Jim McKay

Auf Englisch

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