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Zum Tod von Alexander J. Seiler

Nina Scheu
26. November 2018

Alexander J. Seiler. Copyright: Dschoint Ventschr

Am 22. November ist der Filmautor, Publizist und streitbare Intellektuelle Alexander J. Seiler (1928-2018) im Alter von 90 Jahren in Zürich gestorben.

Ein Unbequemer ist gegangen, ein unbeugsamer, kantiger Denker. Einer, der die Auseinandersetzung suchte, der sich rieb an Intoleranz und Ungerechtigkeit, an der Bequemlichkeit der Schweiz und der Menschen überhaupt. In den letzten Jahren so sehr, dass er sich vorgenommen hatte, zu schweigen. Er wolle nicht als Relikt aus einer vergangenen Zeit, als unkende Kassandra wahrgenommen werden, sagte Alexander «Xandi» Seiler bei einem Gespräch anlässlich seines 85. Geburtstags. Die Welt sei in einem so desolaten Zustand, dass Schweigen die einzige angemessene Reaktion sei. Darum drängte es ihn nicht mehr, seine Gedanken zu publizieren – und dennoch liess er sich den Mund auch weiterhin nie verbieten. So auch nicht, als ihm 2014 der Schweizer Filmpreis für sein Lebenswerk zugesprochen wurde: Seiler setzte durch, dass die Ehre endlich auch dotiert wurde und erinnerte coram publico daran, dass man vom Ruhm allein nicht leben kann. 

Filmpolitisches Engagement

Ihm selbst, Spross einer Zermatter Hoteliersdynastie, half eine frühe Erbschaft, seine Überzeugung in kompromisslose Filme und Texte zu giessen. Vor allem aber ermöglichte sie ihm sein meist ehrenamtliches filmpolitisches Engagement. Alexander J. Seiler war Mitgründer des Schweizerischen Filmzentrums, heute SWISS FILMS, er war Sekretär und Vorstand des Verbands Schweizerischer Filmgestalter, heute ARF/FDS, und Mitglied der Eidgenössischen Filmkommission; er gehörte zu den Gründern der Solothurner Filmtage, gab mit Bruno Schärer die Zeitschrift «Einspruch» heraus und war jahrelang Chefredaktor der «Gazzetta», der dreisprachigen Halbjahreszeitschrift der ProLitteris, in deren Vorstand er sich ebenfalls engagierte. Dazu kamen im Laufe der Jahre unzählige Artikel und Kolumnen in der früheren Weltwoche, der Wochenzeitung WOZ und weiteren Zeitungen und Zeitschriften. 

 

Eine prägende Figur des Neuen Schweizer Films

 Seine Filme gehören längst zum Schweizer Kulturerbe. Angefangen bei seinem Kurzfilm über das Wasser, «In wechselndem Gefälle», für den er 1962 eine «Goldene Palme» in Cannes gewann. 1964 folgte mit «Siamo Italiani» sein berühmtes Zeitbild über das Leben italienischer Fremdarbeiter und -arbeiterinnen in der Schweiz, denen er 2002 in «Il vento di settembre» noch einmal nachspürte. Intoleranz, Fremdenhass und der Ausbeutung der Arbeiterschaft setzte er sein «Cinéma direct» entgegen, Dokumentationen der Wirklichkeit, die ohne Kommentar für sich selbst sprechen. Rhythmische Kompositionen von Bild, Schnitt und Ton, denen eine akribische Recherche zugrunde lag. Als seinen wichtigsten Film bezeichnete er «Die Früchte der Arbeit» von 1977, an dem er über fünf Jahre gearbeitet hatte. Seinen besten Film fand er seinen letzten, das Künstlerportrait «Geysir und Goliath», das 2010 an den Kinokassen floppte. Herauszuheben gilt es auch sein Portrait des Dichters und Freundes Ludwig Hohl (1982) und «Palaver, Palaver», mit dem er sich 1990 in die Debatte um die Abschaffung der Schweizer Armee einmischte. Eine DVD-Box (herausgegeben von Werner «Swiss» Schweizer bei Dschoint Ventschr) ermöglicht das Wiedersehen mit zwölf seiner wichtigsten Filme. Nun ist der Filmautor, Publizist und streitbare Intellektuelle am 22. November im Alter von 90 Jahren in Zürich gestorben. 

 

Filme von Alexander J. Seiler: 

1961: Auf weissem Grund

1962: In wechselndem Gefälle (Goldene Palme für den besten Kurzfilm in Cannes)

1964: Entwicklungshilfe

1964: Siamo italiani

1966: Mixturen

1966: Im Lauf des Jahres

1967: ...via Zürich

1968: Musikwettbewerb

1968: Fifteen

1971: Unser Lehrer (Buch: Peter Bichsel)

1974: Wer einmal lügt oder Victor und die Erziehung (Regie: June Kovach, Produktion: Alexander J. Seiler)

1977: Die Früchte der Arbeit

1979: Der Handkuss – Ein Märchen aus der Schweiz (nach Friedrich Glauser)

1981: Zorn oder Männersache / Todsünde 6

1982: Ludwig Hohl – Ein Film in Fragmenten

1990: Palaver, Palaver (nach Max Frisch)

1992: Wenn zu Hause Krieg ist

1995: Der Nestbeschmutzer / Der Unruhestifter (Zweiteiler über Roman Brodmann)

2002: Il vento di settembre (Septemberwind)

2010: Geysir und Goliath (über Karl Geiser)

Bild: Bei den Dreharbeiten von «Geysir und Goliath», mit André Pinkus (rechts)





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