MENU Schliessen

«Marc, du bist mein Mentor»

Ivo Kummer
14. Februar 2022

Marc Wehrlin. Bild: zvg

Ivo Kummer hat den am 30. Januar verstorbenen Marc Wehrlin sehr gut gekannt. Lesen Sie hier die Erinnerungen des heutigen Filmchefs an seinen Vorgänger im Bundesamt für Kultur. Ivo Kummer hat die persönlich gehaltene Rede an der Gedenkfeier am 10. Februar in der Berner Nydeggkirche gehalten.   

«Liebe Trauerfamilie, geschätzte Trauernde

 

Als ich vor über dreissig Jahren beruflich im und für den Schweizer Film zu arbeiten begann, war alles viel einfacher und übersichtlicher. Filmschaffende waren eine «spezia rara», Kinos Familienbetriebe und Filmfunktionäre kleine Fürsten. Die Koexistenz zwischen Film und Fernsehen etablierte sich zaghaft und vorsichtig, vor allem in der Deutschschweiz. Die Filmbranche begann sich strukturell zu organisieren, zu professionalisieren und zu manifestieren. Der Schweizer Film konnte nicht mehr marginalisiert werden.

 

Da trat Marc Wehrlin auf die Bühne. Seine Fähigkeiten waren gefragt. Als Jurist und Anwalt sorgte er mit seinem Aussenblick dafür, dass die oft utopischen Tagträume der Film- und Kinoszene realistische und konkrete Formen annahmen. In den bewegten 80er- und 90er-Jahren, als politisch vieles am Oszillieren und zuweilen am Strudeln war, schuf er mit seiner lakonischen und zuweilen schon fast beängstigenden Berner Gemütlichkeit das Fundament für eine nachhaltige Filmpolitik. Sei es als Geschäftsführer des Schweizerischen Filmverleihverbandes, als Gründungspräsident der heute so wertvollen Urheberrechtsgesellschaft Suissimage oder der Stiftung für Weiterbildung audiovisueller Berufe Focal; er erarbeitete dies alles mit seinem Fokus auf das Wesentliche.

 

Die Schweiz ist eine Willensnation. Die notorisch uneinige Filmbranche könnte sich daran ein Beispiel nehmen. Die damalige Filmchefin Yvonne Lenzlinger suchte 1994 den basisdemokratischen Ansatz. Sie berief die Branche zu den «Assisen des Schweizer Films» ins Grand Hotel in Locarno. Der Mann, der diese Gespräche moderierte und bündelte, war Marc Wehrlin. Er führte ergebnisorientiert durch die Tagung. Daraus entstanden prägende Änderungen – wie die Einführung der automatischen Filmförderung «succès cinéma». Ein knappes Jahr später wurde er ihr Nachfolger und schuf in seinem neuen Amt das bis heute geltende Filmgesetz.

Er war kein Mitglied des Fanclubs der «Wordianern, Excel- und Powerpointisten».

 

Ich erinnere mich an einen Moment – wie kann es anders sein – an den Solothurner Filmtagen. Marc lud zum Branchengespräch ein. Ich fragte ihn, was er an Infrastruktur von uns benötige. Er meinte, ein Hellraumprojektor wäre schon noch gut. Einen solchen zu finden war aber fast schwieriger als einen Videobeam zu organisieren. In der Brockenstube fand ich ein solches Gerät. Marc war glücklich. Er projizierte eine einzige Folie auf die Wand: den Verteilplan der Sektion Film.

Seine Stärke war das Wort. Und das Fragen. Wieso und warum und vor allem mit welchem Ziel will man etwas erreichen?

 

Unter seiner Ägide entstand der Schweizer Filmpreis. Lobbyisten drängten auf «die lange Nacht des Schweizer Films» am Festival von Locarno. Wieso nicht an den Solothurner Filmtagen? Ich hatte ein bisschen Angst, diese Frage in den Raum zu stellen. Marc war verblüfft ob dieser Frage und begann, wie immer, wenn er mich angesprochen hat: «Liebe Ivo – das wäre unser Plan». Dass dann der Schweizer Filmpreis Jahre später weiterzog «is another story», würde Marc heute sagen.  

 

Ein Glücksfall für die Entwicklung des Schweizer Films war die engmaschige Zusammenarbeit mit Bundesrätin Ruth Dreifuss und BAK-Direktor David Streiff.

Sie hörten auf ihn, schätzten und unterstützten ihn. Marc suchte dabei nie das Rampenlicht. Dieses überliess er gerne anderen. Seine Geselligkeit lebte er nicht bei Empfängen und Apéros. Im Gegenteil. Sie waren ihm lästig, eine «Dienstpflicht».

Als die Rochade im BAK bekannt wurde – vom Filmchef zum Stv. Amtsdirektor, sagte er mir verschmitzt: «Liebe Ivo – jetzt knallen die Champagnerkorken meiner Gegner»!  Nein, schmunzelte ich: wenn schon, sind es deine «geliebten Feinde». 

 

Debatten liebte er, wohlwissend, dass sein Wort Gewicht hat. Er baute Brücken, wacklige wie auch sehr stabile. Zerstrittene Verbände zur Raison zu bringen war und bleibt ein Kraftakt. Während seiner Zeit als Filmchef entstand vor zwanzig Jahren ein zweiter Produzentenverband, die GARP. In meiner jetzigen Zeit kam dann noch ein Dritter hinzu: die IG Film.

 

Es lag auf der Hand, dass nach seinem BAK-Rücktritt Bundesrat Didier Burkhalter Marc für einen Fazilitationsprozess anfragte, um die unterschiedlichen Vorstellungen einer Bundesfilmförderung ein bisschen zu kanalisieren. Der Prozess war aufreibend.

Er sagte mir unmissverständlich: «Diejenigen, die wollen, die sollen sich jetzt einbringen. Höre aber nicht auf diejenigen, die nicht wollen». Mir wurde bewusst, dass es in der Filmpolitik für verlorene Gelegenheiten kein Fundbüro gibt.

 

Marc wäre nicht Marc, wenn er nicht auch immer aushilft. Als die Cinemathèque suisse in ein Führungsloch geriet, übernahm er interimistisch deren Leitung. Als Präsident des Stiftungsrates während sechs Jahren konnte er mit seinen hervorragenden Kontakte zu den Behörden und in die Verwaltung den Neubau Penthaz eng begleiten und erlebte, trotz grossen Bauverzögerungen, deren Einweihung. Die Stiftung führte er aus der Pionier- in die Konsolidierungsphase. Eine meist heikle und anspruchsvolle Mission.

 

Marc hinterlässt eine grosse Lücke. Sein Credo war: Servir et disparaître.

Bei meiner Amtseinführung schaute er trotzdem mit Sorgfalt und einem grossen Herzen dafür, dass mir der Seitenwechsel möglichst sanft gelingen möge. Er besuchte mich in Solothurn. Ich holte ihn am Bahnhof ab – mit meinem damaligen «Alfa Romeo». Als «grüner» Politiker neigte er kurz den Kopf zur Seite – und stieg ein. Bei unseren Mittagessen hörte er aufmerksam zu und motivierte mich: «was du machst, mach es genau. Besser Tun, als beim Nichtstun zu scheitern».

 

Marc, du bist mein Mentor. Dein letztes SMS war: «Nid nahlah gwinnt»! Du hattest Freude an der Revision des Filmgesetzes, an der volkstümlich genannten Lex Netflix. Ich verspreche dir, wir halten durch.

 

Kannst du uns - von ganz oben – dabei helfen?

Wir vermissen dich sehr.»

 

Francine Brücher ist gestorben

SWISS FILMS / SiP
24 Mai 2020

Francis Reusser ist gestorben

Medienmitteilung Cinémathèque suisse / Silvan Preisig
14 April 2020

Marlies Graf ist gestorben

Silvan Preisig
16 Februar 2020

Trauer über den Tod von Tiziana Soudani

Solothurner Filmtage / kah
27 Januar 2020

Interessieren Sie sich für den Schweizer Film?

Abonnieren Sie!

Tarife