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Es ist ja immer alles da

Alex Rühle
16. Mai 2023

Die Filmemacherin, Cutterin und Lebenspoetin Simone Fürbringer ist tot. Ihr Dokumentarfilm «Floating Islands», den sie gemeinsam mit Lebenspartner Nicolas Humbert realisierte, wurde im April bei Visions du Réel und in Memoriam eben gerade beim Dokfest München gezeigt. Alex Rühle hat in der Süddeutschen Zeitung einen Nachruf auf die Schweizerin geschrieben.

Wo auch immer man sie traf, es ging sofort ums Grosse, Ganze. Was machen wir hier auf Erden? Wie kann man dem Rundumschlamassel etwas sinnvoll Schönes entgegensetzen? Und ist die Wiese da vorne nicht der reine Wahnsinn, diese Farben, diese Pracht! Einmal, am Glockenbach, unterbrach sie irgendwelche Lebensklagen: «Aber schau…», sie formte mit vier Fingern eine Art Kameralinse, hielt sie vors Auge und blickte in den blauen Himmel: «…es ist ja immer alles da, oder?»

Am vergangenen Montag hatte Simone Frübringers neuer Film auf dem Münchner Dokfest Premiere. «Floating Islands», geschrieben, gefilmt, geschnitten mit ihrem Mann Nicolas Humbert, ein Filmgedicht und Bildertraum, Hingabe ans Leben und Melancholie des Vergehens.

Alles, was Fürbringers Besonderheit von Anfang ausmachte, ist hier wiederzufinden: Die Liebe zum Zirkus und zum Vagabundendasein (sie hat als Akrobatin angefangen). Die Tiere und Landschaften, Schafe im Spätnachmittagslicht, Insektenflirren, ein Boot in Morgennebelschleiern. Die Suche nach anderen, heileren Lebensentwürfen. Der Blick für die Zwischenräume und die Gabe, die Tonspur eigenständig neben den Bildern herlaufen zu lassen.

 All die grossen Wegbegleiterinnen, Musik- und Lebensfreunde treten nochmal auf. Der uralte Jonas Mekas steht in seinem New Yorker Treppenhaus und sagt mit diesem verschmitzten Jungslächeln, es sei ihm in all seinen Filmen darum gegangen, die Erlebensintensität seines fünfjährigen Alter Egos wiederzufinden. Und dann diese fast schon ekstatisch schöne Szene: Simone Frübringer hält aus einem fahrenden Auto eine Audiokassette, das braune Tonband wird vom Wind erfasst und spult sich immer weiter ab, am Ende flattern 90 Minuten stumme Tonspur im Fahrtwind. Wie sagte doch Gilles Delleuze in einem anderen ihrer filmischen Nomadentagebücher: «Man soll Linien ziehen, nicht Punkte setzen»

Mit «Floating Images» schließt sich noch eine weitere, intimere Kreislinie: Ende der neunziger Jahre haben Fürbringer und Humbert schon mal einen ähnlich radikalen, stillen Gemeinschaftsfilm gemacht: «Vagabonding Images» entstand im Schneideraum wie ein Gespräch, angelehnt an die Kooperationen surrealistischer Dichter, bei denen man etwas schreibt und dem anderen herüberreicht, der dann weiterschreibt, ein cinematographischer Lebens-, Zufalls-, Liebesdialog. Der gemeinsame Sohn Noah, der darin als zukünftiges Leben in ihrem schwangeren Bauch auftaucht, ist mittlerweile berühmter Schlagzeuger und mehrfach auf der flirrenden Tonspur von «Floating Islands» zu hören.

Simone Frübringer, 1957 in Basel geboren, hat die Filme von anderen zur Welt gebracht, indem sie ihnen im Schnitt erst die Form gab. Sie hat auch eigene Dokumentarfilme gemacht, etwa über eine autistische Theatergruppe. Und sie hat im Verborgenen versucht, die Welt ein Nanogramm gerechter zu gestalten, Tag für Tag.

Der Dokumentarfilm «Floating Islands» beginnt mit der Aufnahme des gemeinsamen Grabsteins des Filmehepaares Jacques Demy und Agnès Varda. Dazu hört man die alte Varda selbst aus dem Off sagen: «Vielleicht ist das einzige sehr grosse Ereignis, das uns verändert, der Tod. Weil man vom Leben zum Tod übertritt.» Während «Floating Islands» am Montag gerade in München lief, ist Simone Frübringer in der «Wolfsgrub», dem alten Hof im Voralpenland, wo das Filmemacherpaar lebte und viele seiner Bilder schuf, einem Krebsleiden erlegen. Ihr Lebenszwilling Nicolas Humbert und die drei Kinder der beiden waren bei ihr. Sie wurde 65 Jahre jung.

 

Der Artikel erschien am 13.05.2023 in der Süddeutschen Zeitung, Autor Alex Rühle, © Süddeutsche Zeitung GmbH, München. Mit freundlicher Genehmigung von Süddeutsche Zeitung Content (www.sz-content.de).

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